Ludwig Hersel, geb. in Ullersdorf (Kreis Bunzlau)

Veröffentlicht von Peter Börner am

Nachruf auf einen verdienten Heimatforscher

Wieder einmal haben die Bunzlauer aus Stadt und Kreis einen unersetzlichen Verlust erlitten. Am 19. Februar 2023 starb in Würzburg der Ullersdorfer Chronist Ludwig Hersel, seit 1975 wohnhaft in Erlabrunn, Julius-Echter-Straße 2.

Ludwig Hersel wurde am 21. April 1935 in Ullersdorf am Queis geboren. Der Sohn des Baumeisters und Ullersdorfer Chronisten Johannes Hersel und dessen Frau Elfriede, geborene Eisele, wurde als ältestes von sieben Kindern geboren. Von 1941 bis 1945 besuchte er die Volksschule in Naumburg am Queis. Am 27. Januar 1945 flüchtete die Familie Hersel aus ihrer Heimat und fand nach mehreren weiteren Stationen ein neues Zuhause zunächst im sächsischen Elstra. Eine abenteuerliche Flucht führte sie im Jahre 1949 in den Westen Deutschlands. Im hessischen Neu-Isenburg wurden sie sesshaft, Ludwig Hersel machte 1955 auf dem dortigen Goethe-Realgymnasium sein Abitur.

Sein Jurastudium, begonnen in Frankfurt am Main, schloß er im Dezember 1959 mit dem 1. Staatsexamen ab. Das 2. folgte im April 1965. Sein beruflicher Werdegang startete 1950 mit einem Referendariat am Oberlandesgericht Bamberg. Nach verschiedenen Tätigkeiten u. a. als Anwaltsassessor trat er am 21. 1. 1972 seinen Dienst bei der Bezirksfinanzdirektion Würzburg an. Bereits 1976 war er dort als Oberregierungsrat tätig, seit 1. 11. 1993 war er Leitender Regierungsdirektor, und als solcher ging er am 26. 1. 1999 in den Ruhestand. Im Dezember 1965 heiratete er, er wurde Vater von zwei Töchtern und zwei Söhnen.

Irgendwo las ich mal einen Satz, der in etwa so klingt: Nur wer die Vergangenheit kennt, wird Gegenwart und Zukunft richtig verstehen. Aber wie soll man einen Blick in die Vergangenheit werfen, wenn alte Archive vernichtet oder nur schwer bzw. gar nicht zugänglich sind; wenn die früher übliche mündliche Überlieferung im Dorfe nicht mehr funktioniert, weil die Menschen in alle Himmelsrichtungen verstreut sind? Nur die vielen Dorf- und Stadtchroniken – geschrieben vor und nach dem Kriege – sind geblieben.

Etwas ganz Besonderes hat dabei Ullersdorf am Queis zu bieten. Kaum ein Ort dieser Größenordnung ist so genau, so vielfältig und umfangreich dokumentiert. Dafür steht eine eher seltene Familientradition. Hermann Hersel, seines Zeichens Maurer- und Zimmermeister, verfasste 1927 die Chronik „Die Entwicklung des Heimatortes Ullersdorf am Queis, Kreis Bunzlau“. Sein Sohn Johannes Hersel baute auf diesem Werk auf und veröffentlichte 1978 „Ullersdorf am Queis – Beiträge zu einer Dorfchronik, Band l“.

Der Enkel, Ludwig Hersel schloss diese Trilogie mit seinen Beiträgen zur Dorfchronik ab. Viele Jahre hat er unter schwierigsten Umständen, auch unter großen persönlichen Opfern, alles zusammengetragen, was an Informationen, an Dokumenten über seine Heimat aufzufinden war. Im Jahre 2004 veröffentlichte er dann das Ergebnis dieser aufopferungsvollen Tätigkeit: eine Broschüre mit einem Umfang von 224 Seiten.

Dabei hat er die Schriften von Vater und Großvater nicht einfach fortgesetzt, sondern sie um viele Details erweitert und vertieft. Er beschreibt nicht nur das, was sich Bemerkenswertes im Orte ereignet hat, sondern er setzt auch den Ullersdorfern vergangener Tage ein Denkmal, liebevoll beobachtet und teilweise auch höchst amüsant geschildert.

Viel Lebenszeit hat Ludwig Hersel damit verbracht, mit persönlichen Befragungen das Wissen der alten Ullersdorfer zu erfragen und zu dokumentieren. Viel Zeit hat er damit verbracht, teilweise verloren geglaubte Unterlagen aufzufinden und wieder zugänglich zu machen. Ein maschinenschriftliches Manuskript seines Großvaters mit dem Titel „Die Geschichte des Klosterdorfes Ullersdorf am Queis, Kreis Bunzlau, Oberlausitzer Anteil“ seines Großvaters war erhalten geblieben und nach dem Kriege in der Universitätsbibliothek Breslau gelandet. Sorgfältig inhaltlich und redaktionell überarbeitet, wurde es zur wichtigen Grundlage von Ludwigs Hersels Arbeit. So hat er nicht nur ein wertvolles Stück Heimatgeschichte selbst beschrieben, sondern auch seinem Großvater Hermann Hersel und dem Vater Johannes Hersel ein Denkmal gesetzt. Wir können nur hoffen, dass dieses Erbe der Hersels  weiter bewahrt und behütet wird. Ich bin da guter Dinge.

Sein Wirken im Sinne der schlesischen Heimat beschränkte sich nicht auf Ullersdorf allein. Eine unvollständige Liste seiner weiteren Aktivitäten teilte uns sein Sohn Christian mit. Demnach gehören dazu  Aufzeichnungen über Flucht und Vertreibung fast aller Einwohner Ullersdorfs; Forschungen zum Verbleib der Ullersdorfer Glocken; die Stammbaumforschung der eigenen Geschichte der Familien Hersel (väterlicherseits) sowie der Familien Eisele (mütterlicherseits). Mehrere Besuche in seiner schlesischen Heimat und Kontakte mit jetzt dort lebenden Polen waren für ihn wichtig. Er legte eine umfangreiche Fachbuchsammlung über Schlesien an, die in Teilen der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften e.V. und der Stiftung Kulturwerk Schlesien zur Erweiterung deren landeskundlicher Fachbibliothek in Herzogenaurach vermacht wurde. Die Unterlagen zur Familienforschung wurden an seinen Bruder Otmar Hersel übergeben.

Menschen wie Ludwig Hersel sind nicht zu ersetzen, das Lebenswerk aber bleibt. Die Bundesheimatgruppe Bunzlau Stadt und Kreis in Siegburg spricht der Familie Hersel ihr tiefes Mitgefühl aus, Ludwig Hersel wird nicht vergessen.

Dietmar Plate

Kategorien: Persönlichkeiten