Rund um den Schwibbogen
Dietmar Plate. Erstveröffentlichung in der Bunzlauer Heimatzeitung September 2019.
Als die Sowjets die Stadt Bunzlau im Februar besetzten, geschah dies fast kampflos. Die Stadt war weitgehend unzerstört, auch sein Aushängeschild, der Markt. Als die Polen die Verwaltung übernahmen, war die Innenstadt schon nur noch ein Trümmerfeld. Das blieb natürlich auch dem Markt nicht erspart. Nur wenige Gebäude waren den Brandschatzungen und Plünderungen entgangen. Am Obermarkt waren das die Häuser Nr. 40 (Behmack/Finkelde) und Nr. 41 (Hotel Kronprinz von Preußen). Zu Beginn der siebziger Jahre waren sie baufällig und wurden abgerissen. Man beschloss sie nicht zu ersetzen. Damit war zwar das einheitliche Bild des so typischen Schlesischen Ringes zerstört, aber man hatte eine wunderbaren Blick auf die Schokoladenseite der katholischen Kirche gewonnen. Der Blick auf diese, wenn man die Zollstraße entlang in Richtung Stadtzentrum geht, tröstet über diese eigentliche Bausünde hinweg.
Man hat sich einmal so entschieden, man mag es also dabei belassen. Diskussionen darüber, ob man die Baulücke wieder schließt, soll es ja in den letzten Jahrzehnten mehrfach gegeben haben. Wer heute den Blick auf den Bunzlauer Ring wirft (in Bunzlau hieß es immer Markt, nur selten Ring. Was wohl mit der Nähe zur sächsischen Lausitz zu tun hat), dem sollte klar sein, das er nicht den Markt vor sich hat, wie er vor 1945 ausgesehen hat. Den älteren Bunzlauer, besonders den direkten Anwohner, war das durchaus bewusst.
Aber wenn man berücksichtigt, wie andernorts „Wiederaufbau“ betrieben wurde, so muss man doch zugeben, das er hier sehr gut gelungen ist. Ach ja, noch etwas hat die Stürme von 1945 und danach überstanden: An der Ecke Bahnhofstraße blieb das Haus Nr. 28, das Kaufhaus Heinze erhalten. Dieses markante Gebäude ist auch ein Grund, warum man meint, die alte Stadt aus der Zeit vor 1945 vor sich zu haben. Und natürlich der Schwibbogen.
Was ist ein Schwibbogen, wird sich der ein oder andere Leser fragen, besonders wenn er kein Schlesier ist. Es gibt da wohl verschiedene Erklärungen, die einfachste ist: Es handelt sich um einen Bogen, der über der Straße „schwebt“ und unter dem man hindurchgehen kann. Eigentlich ist ein solcher Bogen nichts ungewöhnliches in schlesischen Städten. Manche hatten viele davon. Auch in Bunzlau gab es noch weitere solcher Durchgänge z. B. an der Spießgasse. Aber wenn man vom Schwibbogen sprach, dann meinte man die Durchfahrt zwischen den Häusern Nr. 6 und 7 am Markt in die Nikolaistraße. Und war auch ein wenig stolz darauf.
Wie der Schwibbogen entstand, beschrieb im Heimatbuch von 1964 Dr. Alfred Zobel: „Die Gründungsurkunde der deutschen Stadt Bunzlau. Artur Zobel 1964. Bunzlau hatte bei der Gründung nur die beiden Tore im Zuge der Fernstraße. Wie nach Osten keine Verkehrsstraße nach Sprottau zog, da diese Stadt erst 1263 gegründet wurde, so gab es auch keine nach Löwenberg im Süden. Dort wurde ein Ausgang erst geschaffen, als der neue Kirchhof mit der Nikolaikirche vor der Stadt angelegt wurde. Und die Straße dahin mußte unter einem schon gebauten Hause in der Ringfront hindurchgelegt werden. So entstand der Schwibbogen.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. So oder ähnlich erzählen es alle Chronisten. Die erste Erwähnung findet sich im Schöppenbuch von 1581, von man vom „Schwibbogen bei des Apothekers Gießrinne“ spricht.
1938 schreibt Karl Springer: „Die Stadt Bunzlau wurde dort gegründet, wo die uralte Handelsstraße von Westen nach Osten durch die lang und oft schwierige Furt des Bobers zog. Die Ost-West-Richtung ist bei der Anlage der Stadt entscheidend gewesen: Nieder- und Obertor waren die wichtigsten Durchgänge in der Stadtmauer, verbunden durch die breitesten Straßen der Ansiedlung. Das dritte Tor, nach Süden sich öffnend, war weit weniger wichtig; die Nikolaistraße diente nur der Verbindung mit den Nachbarstädten Löwenberg, Lähn und Hirschberg; die Fortsetzung dieses Weges nach Norden durch die siedlungsarme Heide fehlte vollkommen,. Deshalb war die Nikolaistraße auch schmaler, und ihre Einfahrt am Markte konnte ohne Schädigung es Verkehrs auch für Wohnzwecke nutzbar gemacht werden; so entstand der Schwibbogen. Man konnte damals nicht ahnen, daß der Nord-Süd-Verkehr in unserer Gegend sich gewaltig steigern würde. Seitdem die Straße Sprottau – Bunzlau – Löwenberg für Riesengebirgsreisen zu Wagen sehr wichtig geworden ist, genügen die Verkehrswege der inneren Stadt nicht mehr. Man half sich durch Umleitung über die äußere Stadt und mußte trotzdem noch die Nikolaistraße mit dem engen Schwibbogen zur Einfahrtstraße erklären als Ausfahrt an der Südseite des Marktes. Den entsprechenden Zugang zum Markte mußte man über Stockstraße – Baderstraße – Kirchplatz leiten. Damit entstand die Gefahrenecke Baderstraße – Kirchplatz.“ Das Bunzlauer Stadtblatt berichtet am 13. 4. 1928: „Wie die wilde Jagd raste gestern abend kurz vor 7 Uhr ein auswärtiges Gespann, ein sogenannter Fleischerwagen, mit drei Pferden bespannt durch die Nikolaistraße nach der Löwenberger Straße. Der Lenker des Wagens war total betrunken und hatte nicht mehr die Fähigkeit, die Pferde in seine Gewalt zu bekommen. Das so dahinlaufende Gefährt war eine schwere Gefahr für den regen Verkehr auf der Straße. Ja, sogar die Passanten der Bürgersteige hielten sich für gefährdet und wichen zur Seite. Es dauerte gar nicht lange, so kehrte das Gespann wieder in einem mörderischen Tempo zurück und brachte damit erneut Gefahr für Wagen, Radfahrer und Fußgänger. Als ein Wunder muß man es bezeichnen, daß namentlich in der engen Nikolaistraße nichts passiert ist. Erst auf dem Marktplatz kam das Verhängnis. Der Führer ließ den Pferden freien Lauf und das Gefährt landete auf den Zieranlagen an der Südseite des Rathauses, wo ganz erheblicher Schaden angerichtet wurde. Bemerkenswert ist, daß das Gespann bei seiner zweiten Fahrt durch die Straßen nur noch mit zwei Pferden bespannt war. Anscheinend hatte sich das dritte Pferd bei der wilden Jagd losgerissen. Die Polizei machte nun die erforderlichen Feststellungen. Es handelte sich um einen Bierverleger P. aus Neuhammer, der mit dem Gespann eines dortigen Fleischermeisters die wilde Jagd begangen hatte. Bald nach der Festnahme des betrunkenen Führers fand sich auch der Eigentümer des Gespanns ein.“ Man mag damals weniger Verkehr gehabt haben, Verkehrsrowdys gab es auch früher schon genug.
Im Jahre 1957 war das Ende des Bauwerkes absehbar. In der Heimatzeitung konnte man lesen: „Wie wir schon wiederholt berichteten, besteht die Gefahr, daß der Schwibbogen, eins der Wahrzeichen des Bunzlauer Marktplatzes und der Stadt Bunzlau überhaupt, zusammensinkt und damit eins der schönsten Baudenkmäler unserer Heimatstadt verloren geht. Am 1. Februar dieses Jahres kam die ganze Giebelseite des Schwibbogens herunter. Das Gewölbe selbst steht noch, da es seit langem schon gestützt worden ist. Beim Abreißen des Seitenflügels der Stadtapotheke in der Nikolaistraße stürzte die Giebelseite des Schwibbogens mit ein. Nun geht man daran, die Kellergewölbe der Stadtapotheke auszuschachten. Es ist zu befürchten, daß dabei der ganze Schwibbogen zu Bruch geht. Die Bauleute glauben das anscheinend nicht, denn sie buddeln ruhig weiter.“ Und wie wir heute wissen, hatten die „Bauleute“ recht. Er ist noch immer da, der schwebende Bogen an des Apothekers Gießrinne.
Vor dem Schwibbogen stand eine Laterne, die vom Gewerbeoberlehrer Karl Robert Pohl Ende der zwanziger Jahre entworfen wurde, wofür er sich im Stadtparlament eine besondere Belobigung durch den damaligen Stadtverordnetenvorsteher Dr. Neißer zuzog. Karl Wiechmann 1966: „Der Schwibbogen zeigt nur kleine Veränderungen; so fehlt zum Beispiel die Bogenlampe über dem Torweg, links der Pfeil „Einbahnstraße“ und rechts das Verkehrsschild „5,5 t“. Jetzt hängt dort ein Werbeschild eines Zahnarztes. Daß die Stuben im Schwibbogen zur Stadtapotheke oder zum Wohnraum des Apothekers gehörten, ist uns noch in Erinnerung.“
Der Blick die Nikolaistraße entlang in Richtung Rathaus und Schwibbogen war eines der beliebtesten Motive der Bunzlauer Photographen. Es gibt davon ungezählte, das ein oder andere möchte ich hier präsentieren. Ende der dreißiger Jahre wurde dann auch der Blick direkt durch den Bogen auf das Ratskellertor interessant. Denn anlässlich des Heimatfestes 1939 wurde eine Replik aus Beton vor das Rathaus gestellt. Am 8. Oktober 1940 schreibt das Bunzlauer Stadtblatt: „Die auf der Südseite des Marktes stehende getreue Nachbildung des echten Bunzlauer Großen Topfes, des Wahrzeichens unserer Stadt, ist gestern abgebrochen worden. Wie wir mitteilen können, soll der „Große Topf“ auf dem Markte nicht für immer verschwinden. An seine Stelle kommt eine neue Schöpfung, die dem echte Großen Topfe noch getreuer nachgebildet ist, da sie aus Ton hergestellt wird, während das Material des abgebrochenen Topfes aus Beton besteht.“
Getragen wurde der Schwibbogen von den Häusern Nr. 6 und 7. Nr 7 ist die Bunzlauer Stadtapotheke. Eine genaue Darstellung der Apotheke würde allein viele Seiten füllen. Notgedrungen muss ich mich also an dieser Stelle mit Informationen einschränken, es würde sonst den Rahmen sprengen. Aber vielleicht ein andermal?
Die Chronisten Fechner (1785) und Bergemann (1829) nennen als ersten Apotheker Heinrich Weißkopf im Jahre 1558. Dr. Wernicke bestreitet das vehement, aber Geheimrat Schiller gibt den beiden erstgenannten Recht. Im Jahre 1884 übernimmt Richard Loebner die Stadtapotheke. Er starb 1893. Zu seinen Lebzeiten wurde das Eingangsportal des Hauses abgebaut und an das Rathaus verlegt. Auf ihn folgte Heinrich Teichmann. Nach seinem Tode übernahm zunächst seine Witwe Margarete das Geschäft, bevor dann ihr Sohn Kurt Teichmann Eigentümer wurde. Kurt Teichmann, geboren am 7. 8. 1884, hat am 11. 2. 1945 gemeinsam mit seiner Frau Hedwig geb. Landgraf (* 2. 2. 1888) und seiner Tochter Susanne (* 25. 10. 1916). Das Haus Markt 7 zog sich weit in die Nikolaistraße hinein. 1935 befanden sich hier noch zwei Geschäfte mit Eingang an der Nikolaistraße: Das Friseurgeschäft von Willi Dietrich und das Uhrmachergeschäft von Ernst Arlt. Willi Dietrich verstarb 1972 in Bad Hersfeld, wo seine Gattin Frieda geb. Helbig noch 1977 lebte. Ernst Arlt lebte 1979 in Herrnhut, seine Ehefrau verschied 1978 am selben Ort.
1957 stand in der Bunzlauer Heimatzeitung: „Leider fiel dem Wiederaufbau – wohl infolge von Unkenntnis oder Unvorsichtigkeit – das solide und festgebaute und unversehrt gebliebene Gebäude der Stadtapotheke zum Opfer; es stürzte im Februar 1957 beim Ausschachten des Nachbarhauses ein, und nur mit Mühe konnte der Schwibbogen erhalten und Anfang 1960 wieder hergestellt werden, obwohl seine Front nach der Nikolaistraße mit eingestürzt war.“ Karl Wiechmann 1966: „Kurt Teichmanns Haus Nr. 7, die Stadtapotheke hatte einst im Parterre neben dem Schwibbogen ein schmales Fenster, wie links auch rechts von der Tür. Ueber diesen drei Fenstern und Tür lief in goldenen Lettern in fast voller Breite der Hausfront „Kgl. Priv. Stadtapotheke“. Sie war also auch noch bei Ebert, Hindenburg und Hitler „königlich“ geblieben. Daß die Stuben im Schwibbogen zur Stadtapotheke oder zum Wohnraum des Apothekers gehörten und daß dieses Haus, und das von Frau Rauhut je ein langes Hintergebäude in der Nikolaistraße hatte, ist uns noch in Erinnerung.“
Das soll es an dieser Stelle über die Stadtapotheke gewesen sein, beschäftigen wir uns nun ausführlich mit dem Haus Nr. 6. Dieses Gebäude, genannt das „Feigehaus“ nach seinen langjährigen Eigentümern über mehrere Generationen hinweg, befand sich 1935 im Besitz des Kaufmanns Karl Ulbrich. Artur Schiller schreibt 1931: „Nr. 6 das sogenannte Feigehaus mit der schönsten Fassade Bunzlaus. Über dem Portal das Tschernin’sche Wappen, der Kranich, der in der einen aufgehobenen Klaue als Zeichen der Wachsamkeit einen Stein hält. Daher möglicherweise das Geburtshaus des Dichters Andreas Tscherning (Anmerkung: das wird heute bestritten). Sein Hauptwerk: Teutscher Gedichte Frühling. Unter dem Wappen eine Chronogramminschrift (die goldenen Buchstaben sind als lateinische Zahl zu lesen und zu addieren), auf eine Reparatur von 1622 bezüglich.“ Schiller beschäftigte sich mehrfach mit dem Haus. Am 26. 6. 1930: „Eine Entdeckung macht uns Freude. Der Christian Gottfried Schneider, der nach dem Chronogramm im Jahre 1732 das schöne Portal des „Feigehauses“ (Markt 6) erbaute, ist derselbe, der an der Kirchhofsmauer den 21. Stein, vom Portal ab gerechnet, hat (vergl. „Stadtblatt“ Nr. 65 vom 18. März 1923). Nach diesem Epitaphium war er Bürger und Weinschenk, ein Sohn des Laboranten Israel Schneider in Conradsdorf und der Rosine, geb. Kindler, aus Liegnitz. Beide Eltern starben in hohem Alter 1769. Er hinterließ nicht weniger als sieben Söhne und zehn Töchter. Sein Leben wird auf dem Grabstein mit einem fruchtbaren Weinberge verglichen. Das Stadturbar lobt sein Denkmal als besonders geschmackvoll.“ Und noch einmal 1931: „Am Seitenhause (Nicolaistraße) des Feige-Hauses: Recte faciendo neminen timeas. Aedifcatan 1670. Renovatum 1818. S.g.f. (=Feige).“
Rektor August Dörner schreibt im „Führer durch Bunzlau“: „Erwähnt sei in diesem Zusammenhange noch das Feigesche Hausgrundstück, das durch seine reich ausgestattete Fassade die Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Von Interesse ist das von abgeschrägten Pilastern eingefaßte Portal, dessen kräftig hervorstehender Torbogen in der Mitte ein aus Sandstein gemeißeltes Wappenschild mit einem Kranich und rechts und links korinthisierenden Bekrönungen der Pilaster je eine Steinfigur trägt. Die die Fassade belebenden Pilaster treten im schöngeformten Giebel stark hervor. Die Vorderseite dieses Hauses trägt auch sonst noch mancherlei ornamentalen Schmuck.“ Damals befanden sich noch zwei Geschäfte im Hause. Links Ulbrichs Strumpf- und Wollwarengeschäft, rechts das Bekleidungsgeschäft von Isidor Pick. Das Haus, wahrscheinlich um 1700 von Baumeister Simonetti erbaut, wurde 1934 auf Anraten des Landeskonservators in der Dachpartie wieder in seine ursprüngliche Form gebracht. Karl Wiechmann berichtet 1966: „Nebenan bei Frau Rauhut (Karl Ulbrichs Erben) ist die schönste Fassade aller Bunzlauer Markthäuser erhalten geblieben. Die beiden großen Fenster neben dem Schwibbogen sehen heute sogar schmucker aus als vor dreißig Jahren. Damals befand sich an dieser Stelle ein Schaufenster und eine schmale Ladentür, an die Edgar Pick, wenn es nicht regnete, Jacken und Mäntel, mit denen er handelte, als Lockware hinhängte. Vor zwölf Jahren brachten wir ein Bild, auf dem er bei der Hochzeit des Chemikers Gerdi Grünfeld mit Marialuz Ecleverria Latham in Santiago de Chile zu sehen war, an der sogar der damalige chilenische Staatspräsident Ibanez teilnahm, denn der Vater, denn der Vater der braut war ein von ihm hochgeschätzter Divisionsgeneral. Der Laden wurde nach der Emigrierung Picks in den dreißiger Jahren umgebaut. Die linke Partie im Parterre des Hauses wurde ein großes Schaufenster, die rechts ebenfalls, jedoch mit dem Ladeneingang links.“ Unter Emigrierung müssen wir die Flucht der jüdischen Familie Pick verstehen. Edgar Pick steht nicht im Adressbuch von 1935, möglicherweise ist er der Sohn von Isidor. Die Ulbrichs übernahmen dann auch den rechten Teil des Ladens. 1913 wird noch die Rentiere Auguste Feige als letzte der alten Eigentümerfamilie als Besitzerin des Hauses genannt. 1924 sind es die Feigeschen Erben, 1935 Karl Ulbrich.
Neben den beiden Geschäften von Pick und Ulbrich (jeweils schon 1903 im Gebäude genannt) befand sich hier auch der „Gasthof zum Schwibbogen“. 1903 steht neben dem bis zuletzt als Wirt genannten Karl Schmidt auch noch sein Vorgänger Robert Opitz im Adressbuch. Die Gaststätte scheint also auch eine lange Tradition zu haben. Karl Schmidt war bis 1935/36 Pächter der Gaststätte am Schwibbogen. Dann ist er nach Dresden verzogen. Er ist 1945 gestorben, sein Sohn 1942 in Rußland gefallen. Seine Wohnadresse war Nikolaistraße 1a. Da er früher Korbmacher war nannte man ihn Körbel-Karle oder Körbel-Schmidt. Zu diesem Grundstück gehörte ursprünglich noch ein Hof mit Pferdestall und ein Hinterhaus. Hier hatte Schmidt im ersten Stock seine Wohnung, während im Laden Pantoffel-Morchner seine Ware feilbot. 1935 ist der Nikolaistraße zugeordnet und trägt nun deren Nummer 1a. Karl Ulbrich scheint sein Geschäft aber erst nach 1907 hier eröffnet zu haben. Noch 1905 befand sich hier das „Sächsische Leinwandgeschäft C. A. Frenzel und Sohn“, Inhaber Hermann Schönfelder. Das Geschäft wurde um 1906 in das Haus Oberstraße 2 verlegt und bestand dort im Besitz seiner WitweMarie Schönfelder und der Tochter Helene Voß geb. Schönfelder bis 1936.
Illo vom Bunzel ist der Verfasser eines Aufsatzes über die Familie Ulbrich. Erschienen ist der Text im „Bunzlauer Tageblatt“ am 30. April 1927. „Die Familie des Strumpfstrickers Ulbrich ist wohl eine der ältesten Familien des Kreises Bunzlau. Bis in das 15. Jahrhundert lassen sich ihre Vorfahren nachweisen. Sie stammt aus Paritz, ein Ort am Queis der zum Kirchspiel Naumburg gehört. Von Paritz verzog die Familie nach Naumburg wo sie 200 Jahre verblieb.
Am 17. September 1751 zog der Ur-Ur-Großvater von Bruno Ulbrich, dem jetzigen Oberhaupte der Familie, nach Bunzlau und betrieb in einem Hause vor dem Obertore das ehrbare Hutmacherhandwerk. Das Haus ist weggerissen und stand ungefähr dort, wo jetzt die Städtische Sparkasse sich befindet. Joseph war sein Name. Sein Handwerk hatte er bei seinem Vater Johann Caspar Ulbrich (geb. 1660) in Naumburg gelernt. Auch dessen Sohn Anton war Hutmacher. Das war der Urgroßvater von Bruno Ulbrich. Diesem wurde 1799 ein Sohn geboren, Karl Franz. Das war der Großvater von Bruno Ulbrich. Er lernte von 1815 bis 1819 beim Strickmeister Franz Schulz die Strumpfstrickerei, in dem Hause, wo jetzt Johannes Kuhnert wohnt. Von 1819 bis 1827 ging er auf Wanderschaft. Im Jahre 1826 war er in Breslau in Stellung. Da sagte eines Tages die Meisterin zu ihm: Bunzlauer geh’n sie nur heim und schmeißen sie nicht mehr den Meistern die Kräfte in den Kasten, denn sie sind alt genug zum anfangen! Er hatte wohl durchblicken lassen, das sich selbständig machen wolle. Von Breslau gelangte er um Weihnachten 1826 nach Bautzen. Diese Stadt besuchte er, um sich Handwerkszeug anzuschaffen. Am 6. Januar 1827 kam er auf der alten Heerstraße über Naumburg, Thiergarten, Birkenbrück gewandert. Wir sehen ihn da im tiefen Schnee einherstapfen, bekleidet mit schwarzem Tuchrock, schwarzer Tuchhose, hohem Hut, das Ränzel auf dem Rücken, den eichenen Knotenstock in der Hand. Es war kalt. Ein eisiger Ostwind pfiff durch die Wipfel der Bäume. da griff er nach dem Tabaksbeutel, der an seiner Seite hing und alles enthielt, was zum Rauchen nötig war, also Tabak, Zuder, Stahl und Stein. Er stopfte sich die Pfeife, pinkte mit dem Stahl am Stein, bald glimmte der Zuder, den er dann mit einem Gefühl der Befriedigung obenauf legte. Nun tat er einige kräftige Züge, daß sie richtig in Brand kam, dann stapfte er weiter. In der Jagdschänke wollte er sich etwas ausruhen.
Er ging in die Gaststube, und nachdem er die wenigen anwesenden Gäste zünftig begrüßt hatte, setzte er sich in die Nähe des wärmenden Kachelofens und bestellte bei der Mutter Brandenburg einen Korn. Die Gaststube muß wohl damals schon in fast demselben Zustand gewesen sein, wie sie vor 10 Jahren noch war. Jetzt hat ja die Neuzeit einige Änderungen an ihr vorgenommen, aber die alte große Gaststube ist noch zu erkennen.
Die Jagdschänke war vor 100 Jahren, und ist noch heute in dem Besitz der Familie Brandenburg. Als nun die Mutter Brandenburg ihm den bestellten Korn brachte, sagte sie zu ihm: „Na, Langer? Sie sein gewiest durchgefroren, ich mar Ihn’ od a Reegl heeßen Koffee breng’!“So dauerte es auch nicht lange, da brachte sie ein Krügel mit weißgemachten Kaffee und auf einem Teller ein paar Streißel Kuchen. Zwar war schonnein wenig hart, denn er war noch von den Weihnachsfeiertagen, aber da er ihn in den Kaffee tunkte, ging es eben.
Die Freundlichkeit der Mutter Brandenburg, so erzählte Bruno weiter, hat ihr mein Großvater nie vergessen. Zeit seines Lebens nicht; denn er pilgerte jedes Jahr am 6. Januar hinaus nach der Jagdschänke, und da konnte es noch so kalt sein, da konnte der Schnee noch so hoch liegen. Zumal sie von dem armen Handwerksburschen für den Kaffee durchaus kein Geld nehmen wollte.„Weigen dam Reegel Koffee!“ meinte sie. Er starb im Jahre 1893. Auf seinen Spaziergängen nach der Jagdschänke hatte ihn schon mein Vater begleitet, dann wir Jungen. Aber auch sonst haben sich die Ulbriche den Nachkommen der guten Mutter Brandenburg dankbar erwiesen.
Im Jahre 1802 hatte Robert Ulrich, der Vater von Bruno, das Geschäft übernommen. Waren die Ulbriche im 18. Jahrhundert alle Hutmacher gewesen, so waren sie von 1827 ab alle Strumpfstricker. Am 12. September 1827 eröffnet Ulbrich eine Strumpfstrickerei in dem schon erwähnten Ulbrichschen Hause vor dem Obertore. Am 18. Mai 1862 übernahm der Vater Robert Ulbrich das Geschäft und verlegte es nach der Zollstraße 14 wo es sich heute noch befindet. Er übernahm das Grundstück von einem Strumpfstricker Schwabe, in dessen Familienbesitz es von 1740 bis1882 gewesen ist. Im Jahre 1902 übergab Robert Ulbrich das Geschäft seinem ältesten Sohn Bruno. Der jüngere Sohn Karl eröffnete ein Geschäft mit Wollwaren, Trikotagen und so weiter in der Nikolaistraße, daß er später in das Feigesche Haus am Markte verlegte, wo es sich noch befindet.
Im Jahre 1909 verstarb der Vater Robert Ulrich hochbetagt und hinterließ außer den beiden Söhnen Bruno und Karl noch einen Enkel Franz. Dieser verstarb vor einigen Jahren und hinterließ zwei Söhne, so daß die Fortdauer der Familie im Mannesstamm gesichert zu sein scheint. In diesem Jahre am Heiligedreikönigstag hatte Bruno seine Freunde und Jagdgenossen zu einer kleinen Feier in der Jagdschänke eingeladen. Er hielt die Festrede und gedachte des Tages, an dem vor 100 Jahren sich sein Großvater von der Mutter Brandenburg bewirten ließ. Und das am 12. September dieses Jahres das Geschäft das Jubiläum des 100jährigen Bestehens feiern könne.
Wir feiern im Geiste mit und rufen aus:
„Viel Glück und Segen zu den nächsten hundert Jahren!“
Karl Ulbrich starb am 4. 4. 1953 in Frankfurt, seine Ehefrau bereits zwei Jahre zuvor. Die Töchter Martha Rauhut, Margarete Steinbach und Marianne Dietrich lebten nach 1945 in Frankfurt am Main und Landau.
Zum Schluss noch ein paar Anzeigen aus den Zeitungen: 1872: Ein herrschaftl. (!!!) Quartier am Markt im ersten Stock ist Neujahr 1873 und ein desgl. im zweiten Stock, bestehend aus 5 Piecen und Zubehör, zum 1. Novbr. 1872 zu beziehen. H. Feige, Ring 6. 1881: Julius Hiller, Ring 6, empfiehlt für Weihnachts-Einkäufe in großer Auswahl billigst: Kopftücher, Garnituren, Taillentücher, Stulpen, Kapotten, Kragen, Westen, Schleifen, Strümpfe, Korsetts, Handschuh, Chemisetts, Filzröcke, Oberhemden, Jacken, Kravatten, Hosen, Schürzen, Cache-nez, leinene Taschentücher. 1900: Sächsisches Leinwandgeschäft C. A. Frenzel & Sohn. Hirschfelde in Sachsen. Eigene Weberei. Verkaufsstellen in Görlitz, Liegnitz, Goldberg, Löwenberg, Lauban, Hirschfelde, Bunzlau, Ring 6. 1903: I. Pick. Ring 6 am Schwibbogen. Spezial-Geschäft für Herren- und Knaben-Garderobe. Bestellungen nach Maass in guter Ausführung zu soliden Preisen. 1914: Freundschaftsbund. Sonnabend, den 5. Sept., abds. 1/2 9 Uhr, in Schmidts Restauration (Schwibbogen): General-Versammlung. Wichtige Tagesordnung! Pünktliches und zahlreiches Erscheinen dringend erwünscht. Der Vorstand. 1924: E. Göldner Nachf. Paul Morchner. Holzschuh- und Pantoffelfabrikation. en gros en detail. Markt 6. 1924: I. Pick, Markt 6. Spezialgeschäft für Herren-, Burschen- und Knabengarderobe. Fernsprecher 202. Postscheckk. 52135 Breslau. 1924: C. Ulbrich, Strumpf- u. Wollwarenhaus. Niederlage: Bleyles Knabenanzüge. Markt 6. Fernsprecher 334. 1929: 28. 6. Unser Saison-Ausverkauf beginnt Sonnabend, den 29. Juni. Wir haben zu diesem Verkauf große Posten Waren, als: Strümpfe, Socken und Söckchen zurückgestellt, welche spottbillig verkauft werden! Auf alle anderen Waren geben wir 10 Prozent Kassenrabatt, außer Markenartikel. Strumpf- und Wollhaus Bruno Ulbrich, Zollstraße 14. Strumpf- und Wollhaus Carl Ulbrich, Markt 6. 1929: 28. 6. Wieder ist Saison-Ausverkauf und wieder bieten sich Ihnen außergewöhnliche Vorteile denn meine bekannt guten Qualitäten in Herren- u. Knaben-Kleidung jeder Art gelangen jetzt zu bedeutend ermäßigten Preisen zum Verkauf. Auf alle nicht herabgesetzten Waren 10% Rabatt. Ring 6. J. Pick am Schwibbogen. 1932. J. Pick, Bunzlau. Spezialhaus für Herren- und Knabenkonfektion. Fernsprecher Nr. 202. Bankkonto: Dresdner Bank Geschäftsstelle Bunzlau. Postscheckkonto: Breslau Nr. 52135. Postschließfach Nr. 76. 1935: Gastwirtschaft Schwibbogen, Eingang Nikolaistraße. Inhaber Karl Schmidt. Wohnadresse Nikolaistraße 1a.
1969 schreibt Karl Wiechmann: „Wir brachten kürzlich auch ein Bild vom Karl-Ulbricht-Haus neben dem Schwibbogen. Dazu bemerkt Paul W., es sei das einzige Haus am Marktplatze, das beim Wiederaufbau der Markthäuser dreimal renoviert worden sei. Aeußerlich habe man nichts verändert, aber innen die Holzbalken durch Eisenträger in den Zimmerdecken ersetzt, einschließlich der Stuben in dem Schwibbogen. Eine Zeitlang habe es so ausgesehen, als solle der Schwibbogen verschwinden. Die Russen hätten das nur zu gern gesehen, denn sie lieben breite Straßen und große Plätze, und sie wünschten eine pompöse Anfahrt zu ihrem Kutusow-Museum, das sie im Sterbehaus des russischen Feldmarschalls und Gegners Napoleon eingerichtet hatten.“