Markt Nr. 15, Theophil Rosenthal
Dietmar Plate. Erstveröffentlichung in der „Bunzlauer Heimatzeitung“, Ausgabe Juni 2017
Bis in die dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein präsentierte sich das Haus Markt Nr. 15, Ecke Zollstraße in besonders markanter Weise. Irgendwann nach 1933 war man dann eine umfangreiche Renovierung fällig, die das Haus zumindest äußerliche stark verändert. Über Schönheit lässt sich bekanntlich streiten. Es mag jeder für sich entscheiden, was besser aussah. Daher also zwei Bilder des Gebäudes vorher und nachher.
Das Bekleidungsgeschäft in Haus Markt Nr. 15 hatte eine lange Tradition. Schon 1875 wird es erwähnt, Salinger Hammer ist Hauseigentümer. In den diversen Zeitungen liest man folgende Notizen: 1875: Mein großes Tapetenlager empfehle ich. S. Hammer. 1875: Ein anständiges Kindermädchen wird zum sofortigen Antritt gesucht von B. Berliner, Ring, im Hause des Kaufmanns Herrn Hammer. 1879: Eine große Partie Resterleinen empfehle ich zu sehr billigen Preisen. S. Hammer am Markt. 1886: Regenmäntel, Jaquettes, Paletots, Dolmans, Räder etc., Kleiderstoffe, Lamas, Kleider- und Rockflanelle, Gardinen, Möbelstoffe, Teppiche, Tischdecken, Reisedecken und Pferdedecken empfiehlt in größter Auswahl zu billigsten Preisen S. Hammer. Salinger Hammer war lange Jahre Mitglied des Vorstands der Bunzlauer Synagogengemeinde, Schiedsmann in den Stadtbezirken 1 – 4, Geschäftsführer des Vereins Kredit-Reform, Kassierer des Vereins zur Abschaffung der Kinderbettelei. Kurz ein Musterbeispiel des im städtischen Bürgertums fest verankerten und anerkannten Geschäftsmannes jüdischen Glaubens.
1903 wird das Geschäft von Georg Zepernick geführt, einem Schwiegersohn von Salinger Hammer. Der hat sich dann allerdings nicht lange gehalten, schon 1913 ist Theophil Rosenthal Inhaber des gleichnamigen Sortimentshauses. 1915: Von Freitag d. 22. bis Mittwoch d. 27. Oktober Extra billige Blusen-Tage. Beachten sie gefl. die Blusenfenster! Sortimentshaus Theophil Rosenthal. 1927: Die noch vorhandenen Restbestände in Sommer Hüten, Mänteln und Kleidern zu außergewöhnlich billigen Preisen! Sortimentshaus Theophil Rosenthal. 1932: Theophil Rosenthal, Bunzlau u. Naumburg. Dieses Haus mit seiner großen Auswahl, seinen guten Qualitäten, seinen niedrigen Preise ist die beliebteste und bequemste Einkaufsstätte. Sortiments Haus Theophil Rosenthal. Das Haus der guten Qualitäten.
Der Rentier Salinger Hammer ist noch 1924 Hauseigentümer, im Adressbuch von 1935 wird Theophil Rosenthal als Besitzer genannt. Auch er war vermutlich ein Schwiegersohn Hammers. 1901: Stadtblattkalender: „Als Schiedsmänner fungieren gegenwärtig: 1. Herr Kaufmann S. Hammer, Ring, für den 1., 2., 3. und 4. Stadtbezirk“. 1903, 1913 und 1924 ebenfalls als solcher genannt. 1903: S. Hammer, Geschäftsführer des Vereins Kredit-Reform. Kassierer des Vereins zur Abschaffung der Kinderbettelei (Spinnschule). 1913 S. Hammer, Agent der „Concordia“ Lebensvers.-Ges. in Köln. 1935: Sortimentshaus Theophil Rosenthal. Das Haus der guten Qualitäten. Bunzlau, Naumburg. Kaufmann Theophil Rosenthal. Sortimentshaus. Filiale in Naumburg am Queis. 1935 Inhaber Heinz Rosenthal. Handelsregister-Nr. 240. Heinz Rosenthal wohnte 1935 in der Alt Jäschwitzer Straße 12.
1940 ist die Firma Hermann Fiedler Inhaberin des nun als Kaufhaus Fiedler bezeichneten Geschäftes. Eigentümer war Gerhard Schneider, als Geschäftsführerin wird Bärbel Ihme genannt. Über das Schicksal der Rosenthals erfahren wir folgendes: Rosenthal wurde zunächst nach Berlin umgesiedelt und dann später verhaftet. Er und seine Frau wurden in Auschwitz ermordet. Sein am 13. 1. 1906 geborener Sohn Heinz überlebt die KZs Stutthof, Buchenwald und Theresienstadt. Seine Frau ist in Riga erschossen worden.
Heinz Rosenthal kehrte im August 1945 nach Berlin zurück. Ein von ihm gedrehter Amateurfilm mit dem Titel „Der Bunzlauer Taubenmarkt im Wandel der Zeit“ wurde im Dezember 1978 im 3 Fernsehprogramm im Rahmen einer Amateurfilmreihe gezeigt. 1989 berichtet Herbert Scholz in der BHZ: „… Großmutter hatte schon mal in den Geschäften der Stadt herumgehört und dabei festgestellt, daß ein einigermaßen besserer Anzug bei dem Juden Borowa (Richtig ist Borower) am billigsten sei. Das Hemd und die Fliege würde bei Rosenthal zu kaufen sein. Nun gab ich aber zu bedenken, daß doch Schilder an den Geschäften gehangen hatten »Deutsche kauft nicht beim Juden«.
Die SA-Männer, die in der Stadt herumliefen, wußten wohl scheinbar selber nicht, wie sie sich richtig verhalten sollten. Es war damals alles so neu mit diesen Parolen, und es gab wohl keinen, der nicht auch in den jüdischen Geschäften gekauft hätte. Viele wußten, daß Rosenthal im letzten Weltkrieg als Offizier an der Front gewesen war. Wir gingen jedenfalls eines nachmittags los und kauften einen Anzug mit Weste, nicht ganz schwarz, aber der Stoff war erste Klasse.”
Über den von Heinz Rosenthal gedrehten Film berichtete die Bunzlauer Heimatzeitung im April 1979: „Film aus Bunzlau klärt Judenschicksal: Daß das Leben oft sonderbare Wege geht, beweist wieder einmal eine Nachricht, die uns Landsmann Hans Christiani übermittelte und die bestimmt für viele unserer Leser von Interesse ist. Und wer sie gelesen hat, der wird es sicher bedauern, im Fernsehen die Serie „Familienkino“ nicht genügend beachtet zu haben. Aber lesen sie selbst. Vom 31. Dezember 1978 bis zum 6. Januar 1979 lief im 3. Fernsehprogramm täglich um 19.15 Uhr die siebenteilige Serie „Familienkino“, Amateurfilme von 1903 bis 1963, im Auftrag des NDR zusammengestellt von Alfred Behrens. Ein Füllhorn von Überraschungen breitete sich vor dem Zuschauer aus. Die größte Überraschung aber passierte hinter den Kulissen am Neujahrsabend. Folge zwei wird ausgestrahlt: „Mit dem Selbstauslöser nach Monte Carlo“. Sie enthält einen kurzen – auf dem Sperrmüll aufgefundenen – Film mit dem Titel: „Der Bunzlauer Taubenmarkt im Wandel der Zeiten“ (1931 bis 1934). Die Zuschauer sehen Jahrmarktsbilder, Umzüge, Menschenmengen. Immer wieder kommt das Sortimentshaus Theophil Rosenthal ins Bild. Alfred Behrens kommentiert den Film: „Ich weiß, was im dritten Reich passiert ist, ich frage mich: Waren sie Juden, die Rosenthals aus Bunzlau? Wenn sie Juden waren, leben sie noch? In England, in Israel, in Amerika?“
Am Morgen nach der Sendung klingelt beim NDR das Telefon: Heinz Rosenthal, der Sohn von Theophil Rosenthal. Er hat den Film gedreht, er lebt in West-Berlin. In der Erwartung, Tips für Amateurfilmer zu erhalten, hatte er die Sendung eingeschaltet.
Den verblüfften „Familienkino“-Veranstaltern lieferte Rosenthal die Stationen seines Lebens nach – ein Leben, das 1906 begann, dann Lehr- undPraxisjahre im elterlichen Betrieb, Umsiedlung nach Berlin, Verhaftung. Rosenthals Frau wird in Riga erschossen, seine Eltern werden in Auschwitz ermordet. Er selbst überlebt das KZ Stutthof, das Lager Buchenwald, das Lager Theresienstadt. Im August 1945 kehrt er zurück nach Berlin.Außer dem jetzt im Fernsehen gezeigten Film vom Bunzlauer Taubenmarkt hat Heinz Rosenthal seinerzeit mindestens 50 andere Amateurstreifen gedreht. Sie werden noch gesucht.
Heute man dem Hause an der Ecke Markt/Zollstraße einen Laubengang „verordnet“. Mit dem Gebäude vor 1945 hat es nicht mehr viel gemein.