Im Neubau der Oberschule für Mädchen

Veröffentlicht von Milan Koncz am

Karl Wiechmann. Erstveröffentlichung: Bunzlauer Stadtblatt, 19. Oktober 1938. Ergänzt von Dietmar Plate. Erstveröffentlichung: Bunzlauer Heimatzeitung, April 2015

Karl Wiechmann, damals Hauptschriftleiter des Bunzlauer Stadtblattes, nach dem Kriege bis zu seinem Tode Schriftleiter der Bunzlauer Heimatzeitung, verfasste diesen Aufsatz, der am 19. Oktober 1938 veröffentlicht wurde. Er beschreibt die Schule in dem Zustande, in dem sie wohl viele ehemalige Lyzeumsschülerinnen gesehen haben dürften. Lesen wir also was er berichtet.

„Heute vor einem Jahre war alles noch ein Plan, was wir heute fast fertig vor uns sehen. Im Herbst 1937 berief Studiendirektor Dr. Müller die Elternschaft des Lyzeums zusammen und eröffnete ihr, daß die bisherige Schulform der Anstalt für das immer größer werdende Bunzlau nicht genüge, und deshalb die Einrichtung einer Frauenschulklasse ins Auge zu fassen sei. Durch die Ostern 1938 eingeleitete Neuorganisation des höheren Schulwesens hätte das Lyzeum bei nur noch fünf Klassen der Unterstufe keine Abschlußklasse mehr besessen, und es hätte dann die Gefahr bestanden, daß alle Mädchen, die beruflich weiter wollen, nach auswärtigen Schulen abwandern. Die Bunzlauer Ratsherren haben dieser neuen Sachlage Rechnung getragen und die erforderlichen Mittel für die Schaffung einer Frauenschulklasse bewilligt.

Wie sich dann herausstellte, reichten die vorhandenen Räume im Lyzeum nicht aus, und es mußten deshalb durch einen Anbau neue Räume geschaffen werden. Da ein Anbau aber einigen Klassenzimmern Raum und Licht genommen hätte, so entschloß man sich zu einem Neubau, der durch einen Gang mit der Anstalt verbunden ist.

Von außen wird ja schon jedermann einmal dieses neue Gebäude im Lyzeumshofe betrachtet haben. Man möchte natürlich auch gern wissen, wie es drinnen aussieht. Diesem Wunsche trug gestern die Schulleitung und das Bauamt Rechnung und gewährte einen Einblick in das neue Haus und gleichzeitig auch in die neu geschaffenen Einrichtungen der Frauenschule.

Es sind in dem Neubau im hochgelegenen Erdgeschoß eine Küche von 65 Quadratmeter Größe und ein Wohnzimmer von 57 Quadratmeter entstanden. Darüber befinden sich im Obergeschoß zwei gleich große Räume, die als Klassenräume dienen werden. Das vom Direktor vorausgesehene Anwachsen der Schülerinnenzahl ist eingetroffen. In einem Jahre ist die Zahl von 138 auf 180 sprunghaft emporgeschnellt. Die Sexta, die bisher mit 24 bis 26 Mädchen begann, weist jetzt 38 auf. Auch die anderen Klassen sind so gut besetzt, daß Klassenteilungen vorgenommen werden müssen.

Der Bau ist noch nicht so weit vorgeschritten, daß Küche und Wohnraum bereits eingerichtet sind. Wir sahen aber auf den Bauplänen, wie die Einrichtung gedacht ist. Die Küche wird in vier Kojen aufgeteilt, in der je vier Schülerinnen, zusammen also 16, arbeiten können. Jede Koje hat ihren Abwaschtisch mit Ablaufklappe, ihren eigenen Wasserhahn mit Ausguß und einen Herd, und zwar ist nicht nur der Gasherd vertreten, sondern auch der Elektro- und Kohleherd. Die Mädchen sollen an allen Herden lernen und müssen so sparsam wie möglich brennen, denn für jeden Herd ist ein besonderer Zähler vorhanden, der über die Sparsamkeit der kleinen Hausfrau Auskunft gibt. Es sollen ja nicht nur die Handfertigkeiten beigebracht werden, sonder das Mädchen soll wirtschaftlich denken lernen und an alle Hausarbeiten mit Sinn und Verstand herangehen.

Von der Küche nach dem daneben liegenden Wohnraum wird man die fertigen Speisen durch eine „Futterluke“ hindurchreichen können. Im Wohnraum selbst werden die Möbel vorhanden sein, die in ein Wohnzimmer gehören. Hier werden die Mädels das Eßgeschirr aus dem Büfett nehmen, die Speisen anrichten und an vier Tischen richtig servieren. Sie werden auch das lernen, was man Wohnkultur nennt.

Mit diesen beiden Räumen allein ist es aber nicht getan. Wir besichtigen im alten Gebäude im Kellergeschoß auch das Hausarbeits- und Plättzimmer, das neu geschaffen worden ist. Hier können die Mädchen an zehn Plättbrettern und mehreren Tischen das Plätten der Wäsche und Kleider lernen. Für diese Arbeit steht auch noch ein zweiter, älterer Raum mit zahlreichen Plätten zur Verfügung. In dem neuen Raum sind Gas- und Elektroplätten vorhanden und Regale und Schränke, in denen die Wäsche aufbewahrt werden kann. Auch eine Kochvorrichtung für die Stärke fehlt nicht. Die Tische sind mit Fangbrettern für die Wäsche versehen.

Bevor die Wäsche geplättet wird, muß sie natürlich schön weiß gewaschen sein. Dazu ist eine Waschküche mit mehreren Waschkesseln bereits vorhanden. Die Waschmittel werden hier nicht nur praktisch angewandt, sondern der Unterricht befaßt sich z. B. in der Chemie auch mit der Zusammensetzung der Putz- und Waschmittel, damit auch alles richtig verwendet wird. In die Haushaltsarbeit wird auch plötzlich ein Waschtag eingeschoben, und nun heißt es für die Hausfrau neben dem Kochen und der Wohnungspflege die Wäsche zu waschen – genau, wie es später im Leben verlangt wird.

Die Wäsche und Kleider müssen in guter Ordnung gehalten werden. Dafür ist ein  Nähraum mit vielen Nähmaschinen vorhanden, wie er auch in der Dorotheenschule und Berufsschule eingerichtet ist. Wir haben darüber wiederholt in Text und Bildern berichtet.

Die Wäsche und Kleider müssen in guter Ordnung gehalten werden. Dafür ist ein  Nähraum mit vielen Nähmaschinen vorhanden, wie er auch in der Dorotheenschule und Berufsschule eingerichtet ist. Wir haben darüber wiederholt in Text und Bildern berichtet.

Ein recht helles und sauberes Zimmer ist der Unterrichtsraum für Kranken- und Säuglingspflege, der im alten Gebäude liegt. Außer den Stühlen und Tischen sehen wir hier ein Krankenbett, ein Gitterbettchen und eine Wiege für Säuglinge, eine Wickelkommode, eine Kinderbadewanne, eine Warmwasserspender und eine lange Wandtafel. Sogar zwei Puppen in der Größe eines 4 Wochen alten Babys sind vorhanden, die dann gewickelt und gebadet werden. Die hier erworbenen Kenntnisse werden praktisch in Kursen erweitert. Die Mädchen werden auf vier Wochen aus der Schule herausgenommen und kommen im ersten Haushaltungsjahr in ein Säuglingsheim, im zweiten Jahr in einen Kindergarten, im dritten Jahr gemeinsam in schöner Gegend in Bauernfamilien mit Kindern, wo sie die Hausfrau unter Oberaufsicht der Haushaltslehrerin vertreten.

Wir hatten die Gelegenheit, mit einigen Mädchen zu sprechen, die diese Kurse im Säuglingsheim Wilhelmshof und auswärtigen Heimen schon hinter sich hatten. Sie schilderten uns kurz ihre Eindrücke und die oft umfangreiche und anstrengende Arbeit, sie sie zu leisten hatten, aber alle waren sich darin einig, daß ihnen die Arbeit mehr Freude gemacht hat als die rein wissenschaftlichen Fächer.

Wir sahen auch ihre Zeugnisse, die von den Leiterinnen der Säuglingsheime ausgestellt und vorzüglich ausgefallen waren. Jede der Schülerinnen hat einen Bericht über das Säuglingspraktikum niedergeschrieben, der sogar mit Photographien bereichert ist.

Auch ein Garten fehlt hinter der Schule nicht. Er ist 250 Quadratmeter groß und hat schon im ersten Jahre reiche Frucht getragen. Hier wird nach den neuesten Erfahrungen Zwischenfruchtbau im kleinen getrieben und jedes Beet so angelegt, wie es im Haus- und Bauerngarten üblich ist. Blumen sind auch ausreichend angepflanzt, und mit ihnen werden Räume in der Schule und später das Wohnzimmer im Neubau ansprechend geschmückt.

Auf die neue Küche und das Wohnzimmer freuen sich schon die jungen Mädchen, und wir Bunzlauer freuen uns mit ihnen über die schöne neuzeitliche Schule, in der sie zu richtigen deutschen Hausfrauen erzogen werden.” K. W.

Das Lyzeum befand sich an der Ecke Vorwerkstraße – Gottfried-Zahn-Straße. Die Aufnahme stammt aus der Bildersammlung, die nach dem ersten Weltkriege dem scheidenden Bürgermeister Henry Richter übergeben wurde. Sie befindet sich heute im Besitz der Heimatgruppe Bunzlau in Siegburg. Der erwähnte Neubau ist also auf diesem Bilde nicht vorhanden. Rechts müsste das Haus Nr. 8 zu sehen sein. Das Lyzeum trug die Nr. 10 der Gottfried-Zahn-Straße, die Nr. 9 war die Knaben-Turnhalle. Sie befindet sich hinter den Häusern 8 und 10. Ganz rechts im Hintergrund die Eichendorffschule (Nr. 6). Wenn meine Beschreibung falsch sein sollte, dann korrigieren Sie mich gern. Es ist nicht immer ganz einfach das exakt zu beschreiben, was man selbst nie wirklich kennen gelernt hat.