Die „Concordia“, Spinnerei und Weberei

Veröffentlicht von Milan Koncz am

Wabnitz, Bunzlau. Erstveröffentlichung im „Heimatbuch des Kreises Bunzlau“. Selbstverlag der Herausgeber. Druck von L. Fernbach, Waisenhausdruckerei und Verlagsanstalt. 1925

Samson Woller, aus Schlesien gebürtig, hatte etwa 10 Jahre lang in Bradford (England) eine Kammgarnspinnerei betrieben und kam im Jahre 1854 nach Deutschland, um in Marklissa unter der Firma der Gebrüder Woller eine Spinnerei zur Herstellung englischer Glanzgarne zu errichten, die er in einer gleichzeitig erbauten Weberei als Schußgarne für Futter-, Schürzen- und Unterrockstoff verwendete. Diese Waren sind bis zum Jahre 1854 von deutschen Großkaufleuten nur von England bezogen worden, und die deutsche Industrie begrüßte daher die bahnbrechende, großzügige Tätigkeit S. Wollers. Bald mußte die Zahl der Webstühle, die anfangs 150 betrug, erheblich vermehrt werden, die eigene Spinnerei konnte nicht genügend Garne zu deren Betrieb liefern, und es mußten vorübergehend wieder englische Gespinste Verwendung finden.

Als im Jahre 1871 in Bunzlau die Obermühle ein Raub der Flammen wurde, erstand Samson Woller die Ruine mit der zum Grundstück gehörenden Wasserkraft und errichtete eine mit allen Verbesserungen der Neuzeit ausgestatteten Kammgarnspinnerei, um sich mit den Schußgarnen für die Weberei von England unabhängig zu machen. Etwa 1500 Spinnspindeln wurden bereits 1873 in Betrieb gesetzt, die Schafwolle dazu von England und dessen Kolonien bezogen, in Bunzlau sortiert, gewaschen und gekämmt, englische Werkmeister wurden den einzelnen Fabrikationsabteilungen vorgesetzt um den Herstellungsprozeß des Garnes soweit als nur möglich dem englischen anzupassen. Bald wurden neben den Schußgarnen für die eigene Weberei auch solche für die größeren Webereifirmen in Zittau und Elberfeld hergestellt, von denen es freudig begrüßt wurde, mit deren Bezug nicht mehr ausschließlich auf englische Spinner angewiesen zu sein. Mit der Vergrößerung der Spinnerei wurde noch die Fabrikation von Plüsch- und Mokettegarn Handels- und Maschinenstrickgarnen aufgenommen und das schwierige Problem des Spinnens von englischen Mohärgarnen gelöst, mit denen die großen Plüschfabriken des Rheinlandes und Sachsens beliefern werden. Trotz des geringen Zollschutzes, den die in dem Werk hergestellten Garne genossen, t sich die Fabriken doch immer mehr vergrößern und ihren Kundenkreis erweitern, so daß heute etwa 30000 Spinnspindeln, 4000 Zwirnspindeln und 1500 Webstühle einem Arbeiterstamm von 2500 Personen Beschäftigung geben. Eine große Färberei ermöglicht die Lieferung der Garne in den Modernsten und reichhaltigsten Farben. Als Betriebsmaschinen dienten ein Dieselmotor von der Maschinenfabrik Augsburg Nürnberg von 1000 und zwei Wasserturbinen von je 250 Pferdestärken; außerdem versieht die Überlandzentrale Hirschberg die Werke mit etwa 500 Pferdekräften elektrischer Kraft. Fünf große Dampfkessel versorgten den Betrieb mit Dampf und entsenden ihen Rauch in zwei Schornsteinen von ungefähr 40 m Höhe.

Während des Weltkrieges, bei dessen Beginn die englischen Werkmeister nach Ruhleben gefangen gesetzt wurden, hatten die Werke harte Prüfungen zu bestehen, da sie mit dem Rohmaterial, das nur vom Ausland bezogen werden kann, gänzlich von letzterem abgeschlossen waren. Um die zahlreichen Arbeiter beschäftigen zu können und sie die Härte des Krieges nicht allzusehr fühlen zu lassen, wurden zu wiederholten Malen bedeutende Umstellungen des Betriebes vorgenommen. Ziegen- und Menschenhaare wurden anstatt der Schafwolle versponnen, und die daraus gefertigten Garne dienen zur Herstellung von Treibriemen, deren Dauerhaftigkeit den Lederriemen nicht nachstand, ja die Firma Krupp zog die Fallgatter-Riemen aus Menschenhaaren den Lederriemen sogar vor. Als auch dieses Haarmaterial nicht mehr aufzutreiben war, mußten die Spinnmaschinen umgestellt werden, vielleicht der schwierigste Verwandlungsprozeß, den die Fabriken im Kriege zu bestehen hatten. Aber auch er ist gelungen, und die Papiergarne haben es möglich gemacht, einige Jahre den Betrieb aufrecht erhalten zu können. Aus diesen Papiergarnen wurden Wäsche, Decken, Gardinen, Teppiche und Eisenbahnabteilbezüge hergestellt, und es klingt erstaunlich, daß beispielsweise Handtücher aus Papiergarn eine 10 bis 12 malige Wäsche – allerdings in vorgeschriebener Form – ausgehalten haben. Während der Kriegsjahre wurden noch zwei kleinere Webereien in Steinkirch bei Marklissa und in Reichenau in Sachsen den Werken angegliedert. Dem Beispiel der größeren Fabriken in Deutschland folgend, wurde eine Anzahl kostspieliger Drehbänke in Steinkirch und in Bunzlau aufgestellt und damit leichte und schwere Granaten in ziemlich bedeutendem Umfange gedreht, zu deren Abnahme ein Offizier in Steinkirch ständig stationiert war. Die Umwandung der Firma Gebrüder Woller in eine Aktiengesellschaft erfolgte im Jahre 1888 und umfaßte die Fabriken Bunzlau und Marklissa mit Steinkirch und Reichenau.

Das Gründungskapital betrug 3 Millionen Mark. Der erste Vorsitzende der jungen Aktiengesellschaft war der Begründer der Firma, Herr Samson Woller, der 1899 des großen Alters wegen zurückgetreten und 1900 auf seinen bedeutenden Gütern in Dlonie gestorben ist.

In ihm hat die deutsche Textilindustrie einen ihrer bedeutendsten Führer verloren. Im Jahre 1918 erweiterte die Bunzlauer Fabrik ihren Grundbesitz. Das anstoßende Gelände der Gärtnerei Lorenz und ein großes Ackerstück in Burglehn wurden erworben und durch diese Grundstücke eine Verbindungsstraße mit einer großen Betonbrücke über den Mühlgraben gebaut. Die neue Straße erhielt den Namen Concordiastraße.

Das Stadtbild hat durch den Ausbau eine erhebliche Verschönerung erfahren, da auch die alten Gärtnereihäuser in moderne Beamtenwohnungen umgebaut wurden, wodurch 14 Familien bequeme Unterkunft finden konnten. Die Spinnerei in Bunzlau besitzt eine eigene gutgeschulte Feuerwehr von 50 Personen, die mit den modernsten Einrichtungen versehen ist und schon oft die Städtische Wehr bei Brandunglücken erfolgreich unterstützt hat.

Die Fabriken unterhalten eine Fabrikantenkasse, durch die ihren Arbeitern und deren Familien in Krankheitsfällen ärztliche Hilfe und angemessene Unterstützung zu Teil wird. Eine Pensionärskasse und ein Arbeiter-Unterstützungsfonds mildern arbeitsunfähig gewordenen Personen die Sorgen des Alters. Durch diese soziale Fürsorge besteht ein gutes Einvernehmen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber, und ernste Konflikte sind bisher nicht entstanden. Die Folgen des Krieges sind natürlich auch an den Concordiawerken nicht spurlos vorübergegangen. Durch den Verlust von deutschen Landesteilen und durch die behinderte Ausfuhr wird die Beschäftigung erschwert, auch hat eine verständnislose Zollpolitik den gehegten Weiterausbau der Fabrik ungünstig beeinflußt. Im Interesse der zahllosen Arbeiter und nicht zuletzt auch der deutschen Industrie darf man erwarten, daß die Regierung die Produkte der heimischen Spinnereien und Webereien gegen die ausländische Konkurrenz durch  entsprechenden Zollschutz sicherstellen wird.

Concordia Spinnerei und Weberei AG

Von Johannes Merkel (ehemals Prokurist in der Concordia). Erstveröffentlichung in der „Bunzlauer Heimatzeitung“, Ausgabe 11/1964.

Nachdem der Betrieb Anfang der 30er Jahre wie die gesamte Industrie mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, kam dann ein langsamer stetiger Aufschwung. Die Erzeugnisse des Betriebes waren überall geschätzt und wurden bis in die Balkanländer und die Türkei versandt. Im Krieg traten dann wesentliche Veränderungen ein, der Bezug der guten Schafwolle aus England war nicht mehr möglich, die Rohstoffe wurden von Staatswegen kontingentiert, und es wurde zuletzt sogar wieder auf einigen Maschinen Papiergarn gesponnen, wie im ersten Weltkriege.

Der Bunzlauer Betrieb hatte eine eigene Abrechnung, aber die zentrale Verwaltung befand sich in Marklissa im Isergebirge, wo sich eine große Kunstseidenweberei befand. Manchem Mitarbeiter werden noch die Namen der damaligen Direktoren in Marklissa bekannt sein, zuerst Herr Wettly, dann die Herren Roepel und Thomas. In dem landschaftlich sehr schön gelegenen Städtchen Schönbach südlich von Löbau in Sachsen gehörte zur Concordia auch noch eine kleine Kunstseidenweberei.

Der Jahresurlaub des gesamten Betriebes war sehr oft in der Woche nach Pfingsten, denn viele der beschäftigten Frauen gingen dann in die Zeche oder in die anderen umliegenden Waldungen, um die so beliebten Blaubeeren oder Heidelbeeren zu sammeln. An die dann im Sommer veranstalteten schönen Betriebsfeste, wozu auch die Ehegatten und Kinder geladen waren, werden sich sicherlich viele Concordianer noch erinnern. Besondere Verdienste um das Zustandekommen und das gute Gelingen hat sich dabei der Betriebsrat, Herr Malchrezycki, genannt „Male“, erworben.

Da ging es immer sehr lebhaft und fröhlich zu, es waren Würfelbuden und Schießstände aufgebaut, die Musik spielte zu Unterhaltung und Tanz. Für die Kinder gab es viele Belustigungen und Spiele mit Süßigkeiten als Gewinne und abends einen Heimweg mit Musik und bunten Lampions. In einem Sommer war sogar ein großes Karussell gemietet worden, was den Kindern besonderen Spaß machte. Einmal war das Fest schon am 1. Mai draßen in Neu-Breslau, da war es aber noch sehr kühl, vormittags wechselten Sonnenschein und Schneeschauer miteinander ab.

Einmal kamen wir auch im Waldschloß zusammen, meistens aber in dem so schön am Bober gelegenen Schweizerhaus. Für eine Weihnachtsfeier war auch einmal das Theater gemietet worden, allerdings konnten dazu die Familienangehörigen nicht eingeladen werden, da die Plätze nur gerade für die Belegschaft ausreichten. Welches Stück uns damals geboten wurde, ist meinem Gedächtnis entfallen. Als Bunzlau Garnisonsstadt wurde, hat auch die Militärkapelle einige Male zur Mittagspause im Betrieb flotte Weisen gespielt. Bei schlechtem Wetter war das Konzert im großen Shedbau zwischen den Selfaktorspinnmaschinen, wo die Akustik besser war als im Freien.

In der von Herrn Linke erwähnten Villa an der Spittelbrücke wohnten zuletzt der Prokurist Herr Mensing und der Expedient Herr Lange. Der große Dieselmotor, dessen schweres Arbeiten sich wie Erdbebenwellen bis zu dieser Villa bemerkbar machte und sie zum Wackeln brachte, war im Jahre 1934, als ich in den Betrieb kam, schon abgebaut. Der Antrieb der Spinnmaschinen erfolgte zum Teil durch Fremdstrom, zum Teil durch die von den Wasserturbinen erzeugten Kraft.

Veranlaßt durch die günstige Konjunktur hatte der Vorstand einen großzügigen Fünfjahresplan für die Aufstellung und Finanzierung weiterer moderner Spinnmaschinen in einem neuen Shedbau auf dem Burglehn ausgearbeitet. Leider konnte dieser Plan aber nicht verwirklicht werden. Trotz größter Bemühungen des Vorstandes bei den höchsten Stellen von Staat und Partei in Schlesien konnte die Stillegung des Betriebes nicht verhindert werden. Im Jahr 1943 begann daher der Abbau, alle Spinnmaschinen wurden demontiert und zum Teil lose, zum Teil in Kisten gepackt ausgelagert. Dazu wurden in verschiedenen Dörfern in der Umgebung die Tanzsäle gepachtet, die ja doch leerstanden, weil das Tanzen nicht mehr erlaubt war. Dort wurden die Maschinen aufbewahrt. Nach dem Krieg hatten es die Polen dann sehr leicht, sie transportierten alle Teile nach Stabelwitz bei Breslau in eine dort bestehende gleichartige Spinnerei und hatten nach dem Zusammenbau wieder leistungsfähige Spinnmaschinen.

Die für die Abwicklung der letzten Geschäfte der Spinnerei eingesetzten Mitarbeiter wurden allmählich ganz aus den alten Gebäuden verdrängt und richteten sich ihr Büro in der ehemaligen Eisdiele neben der Stadtbücherei in der Oberstraße ein. Unter ihnen befand sich auch Herr Sehm, der aus Marklissa gekommen war. Dieser verblieb unglücklicherweise nach dem Zusammenbruch in Bunzlau, er wurde von den Russen oder Polen zu Zwangsarbeiten auf dem Flugplatz eingesetzt und ist an den Folgen der dabei erlittenen Mißhandlungen bald darauf gestorben.

Der Betrieb wurde nun zu einem Zweigwerk von Weserflug umgebaut und wesentlich vergrößert, wobei es wohl auf die Kosten überhaupt nicht angekommen ist. Der größte Teil der Concordia wurde in den neuen Betrieb übernommen, dazu kamen Facharbeiter aus Delmenhorst, Bauarbeiter, Zimmerleute, Gastarbeiter aus den besetzten Gebieten, Häftlinge und Wachmannschaften.

Bei den Schachtarbeiten für die neuen Gebäude auf der Wiese hinter dem Betrieb kam eines Tages dicht unter der Oberfläche ein noch vollständig erhaltenes Skelett zum Vorschein. Es ging dann das Gerücht um, daß vor einer Reihe von Jahren ein Mann spurlos verschwunden sei, der wohl zuletzt in dem „Wirtshaus zur Fichte“ gesehen worden sei. Vermutlich wurde er dort nach einem Streit erschlagen und vom Täter in der Nähe eingegraben. Nun ist die Sache ans Licht gekommen, aber man hat nichts gehört, ob die Kriminalpolizei irgend etwas festgestellt hat, im Kriege kam es ja auf ein Menschenleben mehr oder weniger nicht an, warum sollte man sich daher um längst verjährte Dinge Sorgen machen.

Die ungeheuren Kosten und der ganze Aufwand bei der Einrichtung der neuen Produktionsstätte hat zu keinem Erfolg geführt, denn es wurde, so viel mir bekannt ist, auch nicht eines der damals projektierten neuen Jagdflugzeuge fertiggestellt. Die Beschaffung aller erforderlichen Teile stieß oft auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Viele Einzelteile, wie Nieten, Spannlack und anderes mußten durch Kuriere aus den westlichen Industriebezirken herangeholt werden, da der Transport mit der Bahn viel zu lange dauert und durch die Zerstörung der Bahnanlagen weitgehend unmöglich war. Dabei geschah es einmal, daß ein großer Behälter mit Spannlack, einem leichtentzündlichen Material, den ein Kurier im Gang des D-Zugwagens abgestellt hatte, beim Aussteigen im Dresdener Hauptbahnhof auskippte und auslief. Sofort entzündete sich der Lack an einem heißgelaufenen Achslager, und in wenigen Augenblicken stand der ganze Wagen in Flammen. Der Kurier hatte sich rechtzeitig gedrückt, so daß er nicht zur Verantwortung gezogen werden konnte.

Am 11. Februar 1945 vormittags erfolgte ein Angriff durch zwei russische Tiefflieger auf Bunzlau, an den sich gewiß manche noch erinnern werden. Auf der Straße vor der Concordia wurde eine Angestellte durch einen Beinschuß verletzt, auch trafen einige Schüsse die gegenüberliegende Werkküche, ohne daß dort jemand zu Schaden kam. Die Russen waren schon in Thomaswaldau, man hörte die ganze Nacht hindurch das Schießen der Panzer. Erst in dieesr Nacht gab endlich die Parteileitung den Räumungsbefehl, obwohl sie doch schon lange genau wissen mußte, daß Bunzlau nicht gehalten werden konnte.

So kam also der Abschied von Bunzlau und der Concordia heran, am Morgen des 12. Februar wurde möglichst viel Proviant aus der Werkküche verteilt, und ein großer Teil der männlichen Belegschaft lief zu Fuß nach Lauban. Es war ein herrliches Wetter, kein Schuß zu höre, nur einmal waren vier Flieger am Horizont zu sehen, ein Sonntagmorgen wie im Frieden. Von Lauban gings dann über Marklissa und Friedland durch das Sudetenland mit Bahn und Lastwagen nach Rabstein, wo ebenfalls ein Zweigwerk der Weserflug war und von dort weiter nach Delmenhorst. So kam es, daß sich nach Kriegsende in dieser schönen Stadt bei Bremen eine Bunzlauer Heimatgruppe bilden konnte.