Deutsch-polnischer Gedenkstein für den Bunzlauer Märtyrer-Priester Paul Sauer im Garten der Hoffnung

Veröffentlicht von Milan Koncz am

Von Peter Börner. Erstveröffentlichung: Bunzlauer Heimatzeitung November 2014

In jedem Menschenleben gibt es Ereignisse, die unvergesslich sind. Und wenn sie dazu noch schön sind und bedeutsam, auch für andere, dann sollte man sie sorgfältig dokumentieren. Ein solches Ereignis fand am 26. September 2014 in Bunzlau statt. Die Rede ist von der tief berührenden Einweihungsfeier eines Ehrenmals im Garten des Hauses Martin-Luther-Str.5, heute ul. Grunwaldzka.

Die stattliche Villa in der Nähe der ehemaligen Dorotheenschule war bis zum 11. Februar 1945, dem Tag der Besetzung Bunzlaus durch die Rote Armee, ein normales Wohnhaus mit mehreren Parteien.

Enthüllung der Gedenktafel für Pfarrer Paul Sauer

Dort lebte u.a. Familie Nernst. Brigitte Stelter, geb. Nernst, erinnert sich noch gut an die große elterliche Wohnung im ersten Stock, die sie damals mit ihren Angehörigen fluchtartig verlassen musste. Seit 1946 war das Haus der Bunzlauer Sitz des berüchtigten Urzad Bezpieczeistwa Publicznego, der kommunistischen Sicherheitspolizei UB. Was die dort inhaftierten Menschen, zuerst Deutsche, dann Polen, im Keller und besonders imVerhörraum oben zu erleiden hatten, war entsetzlich. Eine 2010 im Garten des Grundstücks errichtete Gedenksäule erinnert an das unheilvolle Wirken der UB, ohne einzelne Opfer oder Täter zu nennen. Dies geschieht später durch das verdienstvolle Buch des polnischen Historikers Robert Klementowski. Darin wird in einem eigenen Kapitel (,,Freies Deutschland“) auch diejenige Verfolgungswelle behandelt, die1946 über ca. 100 Deutsche aus Stadt und Kreis Bunzlau hereinbrach. Eines der Opfer war der katholische Priester Paul Sauer, Pfarrer der Stadtpfarrkirche in Bunzlau.

Peter Börner und Landrat Kwasniewski

Ab 1954 gewann die einstige Schreckensvilla einen völlig anderen Charakter. Sie ist heute das Jugendkulturhaus des Kreises Bunzlau. In den lichten, freundlichen Räumen herrscht bis unters Dach ein munteres musisches, handwerkliches und künstlerischesTreiben von Kindern und Jugendlichen.

Einige Kellerräume hat man allerdings im alten Zustand belassen. So bewahren sie die Erinnerung an eine schreckliche Zeit unserer gemeinsamen deutschpolnischen Geschichte, die hoffentlich nie wiederkehrt. In Gedanken wurde diese Zeit jetzt noch einmal lebendig.

Doch voraus ging ein langjähriges vergebliches Bemühen. Es begann 2004, nach der wissenschaftlichen Tagung über Pfarrer Sauer im Bunzlauer Stadttheater, die – angestoßen von Siegburg – vom IPN (der polnischen Behörde zur Aufklärung und Verfolgung kommunistischer Verbrechen) sorgfältig vorbereitet und durchgeführt wurde, gemeinsam mit Bunzlaus Stadtverwaltung und anderen polnischen Institutionen, unter Mitwirkung der Bundesheimatgruppe Nach der Rehabilitierung Paul Sauers durch diese Tagung waren wir sicher, dass bald eine öffentliche Gedenktafel auch im polnischen Boleslawiec die respektvolle Erinnerung an eine bedeutende Bunzlauer Persönlichkeit wachhalten würde. Paul Sauers Verdienste und sein tragisches Schicksal seien – in Anlehnung an meine Ansprache am 26. 09.2014 – noch einmal kurz skizziert: Nachdem er schon 1941 zeitweilig wegen,,staatsabträglichen Bemerkungen“ in Haft genommen worden war, kam die ganz große Bewährungsprobe nach dem Einmarsch der Russen im Februar 1945: Sauer schützte damals mit Mut und Geschick die Stadtpfarrkirche vor Plünderung und Zerstörung und machte sein Pfarrhaus zur Zufluchtsstätte von Verfolgten und Bedrängten. Er wurde zum Seelsorger für alle: für Katholiken und Protestanten, Gläubige und Ungläubige, Deutsche und Nichtdeutsche, zunächst auch für die neu eintreffenden Polen. Die evangelischen Mitchristen, die anfangs keinen Geistlichen hatten, hat er nicht nur in die Hl. Messe eingeladen, sondern für sie sogar evangelische Gottesdienste im Konfirmandensaal und im Diakonissenhaus gehalten.

Die Gedenktafel für Pfarrer Sauer 

Und er hat die Toten beerdigt, die Kinder getauft und Traurige getröstet, gleich welcher Nation oder Konfession. 1946 wurde ihm die sogenannte Caritas-Post zum Verhängnis: Da Deutsche zunächst keine Briefe versenden und empfangen durften. sammelte er Briefe im Bunzlauer Pfarramt und sorgte dafür, dass sie illegal nach Görlitz kamen und umgekehrt.

Auf diese Weise erfuhren die Deutschen, was aus ihren Angehörigen jenseits und diesseits der Neiße geworden war. Durch einen holländischen UB-Spitzel in seiner Umgebung, den ,,Arzt“ Georg Van Thal, wurde dies den Behörden bekannt. Am 30. April 1946 wurde Paul Sauer verhaftet, in die Villa in der Lutherstraße eingesperrt und immer wieder verhört. Man beschuldigte ihn, führendes Mitglied der angeblich im Kreis Bunzlau operierenden deutschen Untergrund-bewegung,,Freies Deutschland“ zu sein. Über seinen Gefängnis- Aufenthalt ist glaubwürdig überliefert: ,,Er wurde genau wie die anderen Deutschen gepeinigt und geschlagen.“ Zu einem ,,Geständnis“ konnte er nicht gezwungen werden. Er hat sogar in den ersten Haftwochen die Mitgefangenen noch durch Gebete und improvisierte Andachten gestärkt. Doch dann verschlechterte sich sein Zustand mehr und mehr. Als er nach knapp zwei Monaten im Sterben lag, rief er aus: ,,Ich habe so vielen geholfen und mir kann keiner helfen!“ Am 24. Juni brachte man ihn eilig in das Haus der Grauen Schwestern am Odeonteich, wo er am selben Abend verschied. Deutsche und Polen haben ihn trotz Verbot auf seinem letztenWeg begleitet.

In Siegburg erinnert seit 1988 ein schlichter Gedenkstein neben der St. Servatius-Kirche und ein Mess-Stipendium an ,,EHREN-ERZPRIESTER PAUL SAUER. PFARRER DER PATENSTADT BUNZLAU/SCHLESIEN.“ In Bunzlau dagegen machte der anhaltende Widerstand seines heutigen Amtsnachfolgers Prälat Dr. Andrzej Jarosiewicz, der anscheinend den Akten der polnischen Geheimpolizei mehr  traut als deutschen Zeitzeugen, eine angemessene dauerhafte Ehrung in oder an oder neben der Kirche unmöglich. Eine neue Situation ergab sich erst 2013. Polnische Freunde regten an, die Gedenktafel auf dem Gelände des heutigen Kreis-Jugendkulturhauses anzubringen. Der Vorschlag fiel auf fruchtbaren Boden, bei der Heimatgruppe ebenso wie bei den für das Jugendkulturhaus Zuständigen. Direktor Marek Letowski und der Landrat (zunächst Cezary Przybylski, dann Dariusz Kwasnieski) stimmten zu, – freilich mit zwei Modifikationsvorschlägen. Den ersten konnte die Heimatgruppe nach einigem Zögern akzeptieren. Paul Sauer solle nicht durch eine Gedenktafel am Haus oder im Hause geehrt werden, sondern durch einen ,,Obelisk“, eine Gedenkstele, im Garten hinter dem Haus, dort, wo bereits ein anderer Obelisk an das unheilvolle Wirken der UB erinnert.

Der zweite polnische Wunsch hätte beinahe zum Abbruch des Projekts geführt. Nach Monaten verlangte man plötzlich die Tilgung des Satzes ,,verhört und misshandelt mit anderen Deutschen und Polen in diesem Gebäude“. Das Wort ,.misshandelt“ müsse auf alle Fälle gestrichen werden. Wir sahen in diesem Ansinnen eine Missachtung der Opfer und einen Verstoß gegen die geschichtliche Wahrheit und gaben dies den polnischen Partnern zu bedenken.

Ohne Erfolg. Nach eingehenden Diskussionen, mündlich, telefonisch, per E-Mail (wir waren mittlerweise in der Urlaubszeit!) untereinander, mit Beratern im Siegburger Kreishaus und mit ,,Polenerfahrenen“ Oberschlesiern, gelangten wir zu einem Kompromiss-Vorschlag, – der akzeptiert wurde. Anstelle des beanstandeten Satzes wurde in den Text eingefügt: ,,hingebungsvoller Helfer seiner Mitmenschen“. Im polnischenText steht für ,,hingebungsvoll“ ofiarnie, verwandt mit Opfer, was in Verbindung mit,,Sein Tod …“ und der gegenüberstehenden UB-Gedenk-Stele die Ganzhingabe des Lebens für andere – bis in den Tod – erkennen lässt.

Nach der gelungenen Einigung haben die polnischen Partner alles getan, um die auf den 26. September 2014 (Sauers Geburtstag!) 12 Uhr festgelegte Einweihungsfeier im Garten des Jugendkulturhauses würdig und ansprechend zu gestalten, – angefangen mit dem stilvollen Einladungsschreiben und der unentgeltlichen Stellung eines Festzeites, über das einleitend eindrucksvoll vorgetragene Gedicht, die einfühlsamen Ansprachen des Leiters des Jugendkulturhauses, des Landrats und des Bürgermeisters und die von Kindern und Jugendlichen lebhaft und frisch dargebrachten Lieder, die Musikliebhaber Paul Sauer bestimmt erfreut haben, bis hin zur feierlichen Enthüllungszeremonie.

Circa 90 deutsche und polnischeTeilnehmer und Mitwirkende verfolgten aufmerksam das Geschehen. Betroffenes Schweigen, als mit Hildegard Möbius, geb. Rothe, eines der damaligen Opfer zu Wort kam. Frau Möbius wörtlich: ,,[…] Nun hat wenigstens Pfarrer Sauer eine Gedenktafel bekommen; denn er war ein guter Mensch. Ich persönlich habe eine Bitte. Denkt auch an die vielen Opfer, die in dieser Villa noch länger gelitten haben. Für mich ist es heut‘ nochmals ein schwerer Gang, vor dieser Villa zu stehen. 1946, aIs Fünfzehnjährige, habe ich viele Monate  dort drinnen verbracht, und ich weiß, was da geschah. Nun wächst schon die dritte Generation hinter uns auf und ich will hoffen, dass sie weiter in Frieden leben können.“ DieseWorte gingen allen sehr nahe; Landrat Kwasniewski hat Frau Möbius nach derAnsprache spontan umarmt. Eine menschliche und wahrhaft versöhnliche Geste! Überhaupt muss man dem Landrat dankbar sein, dass er sich auf dieses Projekt eingelassen hat, trotz seiner politischen Brisanz. Immerhin stehen Kommunalwahlen vor der Tür. Sein Verhalten zeigt Klarheit und Mut.

Gleiches gilt für den Rhein-Sieg-Kreis als Patenkreis der Bunzlauer, der mit einer kleinen Delegation unter Leitung von Kreisdirektorin Annerose Heinze vertreten war. Landrat Schuster schrieb in seinem Grußwort: ,,Wir können dieses Leid nicht ungeschehen machen. Wir dürfen es auch aus demAbstand der Jahrzehnte nicht reIativieren, wie wir Leid und Unrecht auch nicht gegeneinander aufrechnen dürfen. Wir sind aber gefordert, mit den Erfahrun-gen des Leids verantwortlich umzugehen. Dazu gehört, an Menschen und ihr Schicksal zu erinnern, die mit ihrer gerade in schwerer Zeit gezeigten Haltung auch heute noch vorbildlich sind.“

Das passt gut zum Text der dann feierlich enthüllten und von einem Priester geweihten Gedenktafel:

AD MEMORIAM ERZPRIESTER PAUL SAUER GEB. 26. 09.’J.892 GEWEIHT 16.06.1921 GEST. 24. 06. 1946 – SEIT 1938 PFARRER AN DER KATHOLISCHEN STADTPFARRKIRCHE IN BUNZLAU. MUT]GER BESCHÜTZER UND HINGEBUNGSVOLLER HELFER SEINER MITMENSCHEN. MUSIKER, JUGENDSEELSORGER UND BEFÜRWORTER DER ÖKUMENE. _ SEIN TOD MAHNT ZU BESINNUNG UND VERSÖHNUNG. BOLEST,AWIEC _ 2014 – SIEGBURG

Die Bundesheimatgruppe hatte die Herstellung des Ehrenmals drei polnischen Künstlern anvertraut. Da in Bunzlau wider Erwarten kein Bildhauer gewonnen werden konnte, entwickelte Frau Danuta Hopko aus Ratibor, immer wieder sprachlich vermittelt durch Dr. Josef Gonschior (ebenfalls Ratibor), den originellen Entwurf von Stele und Tafel auf der Grundlage eines Vorschlags der Bundesheimatgruppe.

Heimatfreund Rudi Rückert hatte uns die beiden Oberschlesier, die zur Einweihung extra anreisten, empfohlen. Die praktische Ausführung geschah durch Kunstschmiedin Aneta Bartosiuk – Szarlej im fernen Czarna Bialostocka. Die handwerkliche Gestaltung der Stele aus Warthauer Sandstein verdanken wir Steinmetz Tadeusz Lasika aus Oberröhrdorf (Suszki) bei Bunzlau.

Und die Finanzierung? Sie war nur durch die – z.T. seit langer Zeit bereitliegenden Spendengelder großzügiger Heimatfreunden wie Ehepaar Ruth Steiner/ Rudolf  Kleine möglich. Der Zeremonie im Garten der Villa ging die Feier einer Hl. Messe in der Kapelle des St. Josefstifts voraus. Das heutige Kinderheim ist das Sterbehaus von Paul Sauer.

Eine Heilige Messe in deutscher Sprache im polnischen Bunzlau

Die Messe zelebrierte unser ,.Reisekaplan“ Joaquim Wendland (St. Servatius/Siegburg) gemeinsam mit Pater Dr. Bernhard Arndt (Breslau), der für die Seelsorge der deutschen Katholiken in Niederschlesien zuständig ist, unterAssistenz von Prälat Peter C. Birkner aus dem Bistum Görlitz. Er holte durch kräftiges Anstimmen der Lieder die Gemeinde musikalisch in das liturgische Geschehen herein, was ganz sicher im Sinne Paul Sauers war. Frau Ilona Bindhammer (Hennef) trug Lesung und Fürbitten vor. -Wann hat es zuletzt in Bunzlau/Boleslawiec eine deutsche Betsingmesse gegeben?

Die Marien-Kirche am Marktplatz, Paul Sauers Pfarrkirche, war leider konsequent verschlossen. Hätte nicht die Kinder-Schola aus Tillendorfs neuem Blumenviertel die Einweihungsfeier mit ihrem kindlichen Zauber verschönt, die Abstinenz der Bunzlauer katholischen Pfarreien wäre vollständig gewesen.

Schon am Vortag hatte die Reisegruppe zwei andere Erinnerungsorte aufgesucht: Wir legten am Gedenkstein für die Häftlinge von Bunzlau I und II (Nebenlager des KZs Groß Rosen) am Eingang der früheren Baufirma Hubert Land Blumen nieder und sprachen ein Vaterunser für Opfer und Täter, und wir beten auf dem Kommunalfriedhof nach Niederlegung eines Blumenbuketts am Grab von Pfarrer Sauer. Bei der Einweihungsfeier im Garten der Villa hatten wir Gelegenheit, uns bei Angehörigen der Familie Skibinski zu bedanken, die seit Jahren dieses Grab gewissenhaft pflegt.

Es ist durchaus zu hoffen, dass die gut gelungene gemeinsame Würdigung von Paul Sauer und seinen Leidensgefährten zur Heilung seelischer Wunden und zu einem dauerhaften unbefangenen Miteinander von alten und neuen Bunzlauern, von Deutschen und Polen, beiträgt. Denn diese Bunzlauer Tage hatten ausgesprochen versöhnenden Charakter.

Noch einmal Frau Möbius: ,,Ich kann jetzt mit ganz anderen Gefühlen leben und nach Bunzlau reisen. Ich bin glücklich, dass ich das erleben durfte!“ Insofern stand im Mittelpunkt der Siegburger Bürgerfahrt nach Bunzlau nicht nur dieWürdigung eines verdienten Seelsorgers.

Am Grabe von Pfarrer Sauer

Es ging um deutsch-polnische Verständigung an der Basis. Eine wichtige Voraussetzung zum Gelingen lag in der Reisegruppe, ihrer Bereitschaft zu harmonieren trotz erheblicher Unterschiedlichkeit inAlter, Herkunft und Mentalität und in ihrer Offenheit. Doch ein Brückenschlag gelingt nur, wenn auch die andere Seite sich öffnet und entgegenkommt.

Und das war trotz mannigfacher Hindernisse der Fall. Man kann den polnischen Partnern, die das Projekt ,,Gedenktafel für Pfarrer Sauer“ durch ihre Zustimmung ermöglichten, und den alten und neuen polnischen Freunden, die die Realisierung tatkräftig unterstützt haben, nur dankbar sein!