Arthur Linke
Zum 75. Geburtstag von Arthur Linke
Karl Wiechmann. Erstveröffentlichung: Bunzlauer Heimat-Zeitung 5/1966
Nun hat uns der Bunzlauer Malermeister Arthur Linke in der BHZ in all den Jahren soviel vom alten Bunzlau erzählt, von den Menschen um die Jahrhundertwende, von ihren Eigenheiten, von den Zeitverhältnissen, vom Fleiß der Bürger, von ihren Vereinen, von Festen und Ausflügen, und ist mittlerweile 75 Jahre alt geworden. Jetzt solle er mal von sich selber erzählen, haben wir zu ihm gesagt, und wir erfuhren, daß er am 9. März 1891 in der für ihn (und für viele von uns) schönsten Stadt der Welt geboren wurde, im geliebten Bunzlau. Seine Vorfahren waren Handwerker, sein Vater war Maler, und der Arthur wurde auch Maler.
Beim Richard Pachaly an der Teichpromenade ging er in die Lehre und nach dem späten Feierabend noch in die Abendschule der Keramischen Fachschule, und dort gab es den allbekannten Professor Ernst Heinicke, einen geschätzten Landschaftsmaler. Und bei ihm hospitierte Arthur Linke, und so ist er noch heute begeisterter Aquarellmaler.
Im schönen Dresden und in anderen Städten ist er dann als Gehilfe tätig, von 1910 bis 1912 Hirschberger Jäger, dann besteht er die Aufnahmeprüfung an der Akademie für Kunst und Gewerbe in Breslau, denn er wollte Lehrer an einer Kunstgewerbeschule werden. Im vierten Semester aber kam der erste Weltkrieg und sein Jägerbataillon zog am 2. August 1914, also am Tage der Mobilmachung ins Feld. In Belgien wurde er als einer der ersten mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet, ein Jahr später sieht man ihn als Zeichner beim Stabe. Die Verwundungen, di er erlitte, wurden bei der Truppe ausgegeheilt, und bis Kriegsende bleibt er bei seinem Truppenteil.
Nach dem Kriege macht er 1919 seine Meisterprüfung und heiratet ein Jahr später Anni Scholz, die Kassiererin in der Firma Gustav Borrmann, Inhaber Arnold Rothe. Der Ehe entstammen zwei Töchter, und inzwischen sind zwei Enkelsöhne und eine Enkeltochter da.
Einige Jahre nach dem Kriege veranstaltete der Schlesische Malerbund jährlich Wettbewerbe. Arthur Linke beteiligte sich daran und erhielt fünfmal den ersten und einmal den zweiten Preis. Das ist im Malerbund nur einmal vorgekommen, daß einer bei den Wettbewerben so gut abschnitt.
„Und ihre handwerklichen Arbeiten? Woran denken Sie da am liebsten?“
„An die Dorfkirche in Gremsdorf-Greulich! An dieser Arbeit habe ich viel Freude gehabt, und sie fand auch bei den Einwohnern viel Anerkennung. Wer mal auf dem Truppenübungsplatz Neuhammer war, konnte auch Arbeiten von mir im Offizierskasino sehen, so den acht Meter hohen Stammbaum des VI. Armeekorps und die Ausgestaltung des Haupteinganges und der Bars. Auch in den Kasinos im Flugplatz Küpper und am Dachsberg in Sagan gab es viel lohnende Arbeit. Beim Wettbewerb für die Ausmalung der Garnisonskirche in Glogau erhielt ich den Ausftrag. Als das Amtsgericht in das ehemalige Bunzlauer Gymnasium einzog, malte ich mit meinem Gehilfen die Aula aus. Dabei fanden sie den Namen meines Vaters, der früher einmal diese Arbeit ausgeführt hatte.“
„Daß Sie nach Feierabend und am Wochenende das Leben zu nehmen wußten, Herr Linke, davon haben Sie uns ja schon oft erzählt.“ „Ja, ich war nie ein Freund von Traurigkeit. Ich war begeisterter Sänger und Schützenbruder, viele Jahre Kreisschießwart des Kyffhäuserbundes, gab auch Unterricht in der Malerklasse der Berufsschule und gehörte zu den Klebern, die beim Skat m Goldenen Hirsch oder bei Gallus und Hoyer kein Ende fanden.“
„Und nach dem zweiten Weltkriege?“
„Da kam ich als abgedienter Volksstürmer zu meiner Familie in den bayerischen Wald, bis wir im Oktober 1946 eine Wohnung in Ansbach bekamen. Wie in Bunzlau, wo ich mir ein schönes Haus an der Richterstraße bauen ließ, das Sie ja mal besichtigt haben, so baute ich in Ansbach in guter Lage ein Zweifamilienhaus. Darin befindet sich ein Atelier, in dem ich fast täglich Bilder von Bunzlau, dem Riesengebirge und von Ansbach male. Seit 1962 lebe ich im Ruhestand. Trotzdem habe ich, wie Sie sehen, keine Langeweile. Und sollte ich noch fünfmal auf die Welt kommen, ich würde immer wieder Maler!“
„Ich freue mich, Herr Linke, daß es noch Optimisten gibt!“
Damals und heute
Erinnerungen und Gedanken – von Arthur Linke
Arthur Linke. Erstveröffentlichung: Bunzlauer Heimat-Zeitung 4/1964
Wir sind im Februar wieder mitten in den Tagen, die vor 19 Jahren unser Leben so grundlegend veränderten, daß es sich lohnt, auch einmal an diese Tage von 1945 zu denken, Den meisten Familien waren ja die Männer im letzten Moment noch weggenommen worden, weil man sie angeblich beim Volkssturm nötiger brauchte. Ob es nun tatsächlich Zweck hatte, Deutschlands letzte Hoffnung hinauszuschicken, darüber mag sich jeder seine eigenen Gedanken machen. Sicherlich wäre diese Zahl in der Bombennacht in Dresden wesentlich reduziert worden. Wieviel Bunzlauer sind auf der Flucht über Dresden nicht hinausgekommen! Der 13. Febr. 1945 war wohl der größte Sterbetag der Bunzlauer aus Stadt und Kreis. Diese Bombennacht hatte den letzten Zusammenhalt zwischen Familien und den Männern und Söhnen im Felde zerrissen. Diese Nacht des Grauens kann sich jeder anders ausmalen. Wir wissen nur, daß die große Flamme des Scheiterhaufens tagelang zum Himmel loderte und man Churchill dann bald nach Kriegsende mit dem deutschen Karlspreis auszeichnete. Ja, liebe Heimatfreunde, so schnell war diese Tat des Kriegsverbrechers Nr. 1 vergessen, der damit nur Frauen und Kinder und alte Leute vernichtete. Wäre es nicht höchste Zeit, daß wir Deutschen auch einmal die Rechnung aufstellen, ähnlich den Rechnungen, die immer wieder aus den KZ’s präsentiert werden?
Gewiß waren es nicht wenige, die in den letzten Tagen in Bunzlau bereits wußten, welche Marschroute sie einzuschlagen hatten, um schnellstens wieder unterzukommen, wenn sie auch mal ein paar Tage auf der Landstraße mit in Kauf nehmen mußten. Aber eine beträchtliche Zahl irrte doch wochenlang umher, so daß gar mancher wieder in die Stadt zurückkehrte.
Bis dann im Juni das große Auskehren der Polen begann. Wer dabei war, weiß es, wie sie zu Hunderten an diesem Sonntagvormittag auf dem Markt standen, von wo sich dann der große Treck in Richtung Görlitzer Neiße in Bewegung setzte. Nur ein paar bestimmte Handwerker mit Familien konnten bei den Polen bleiben, wenn auch selten in ihren eigenen Wohnungen. Es hat Tage gedauert, ehe die Letzten des Trecks die großen Wiesen von Florsdorf bei Görlitz erreichten um bei Gelegenheit die große Neißebrücke an der Reichenberger Straße passieren zu können. Es gab Familien, die ein paar Wochen auf dem grünen Rasen verbrachten und dort bestohlen wurden.
Das alte Sprichwort bekam wieder Geltung, Not lehrt beten. Alle Kirchentüren standen Tag und Nacht offen für die, welche immer noch einmal eine Bitte zum Herrgott versuchten oder auch nur, um für die Nacht ein Dach über dem Kopf zu haben. Gar mancher wird sagen: ja, ich könnte ein dickes Buch über diese Wochen schreiben. Der Krieg hatte längst sein. Ende gefunden. Im Westen wurden immer mehr Flüchtlinge in Städte und Dörfer hineingepumpt. Oft zwei bis vier Familien rieben sich in den Wohnungen der Einheimischen. Ja, ich schreibe mit Absicht, sie rieben sich, denn nur selten herrschte gutes Einvernehmen. Wir waren nun einmal die Habennichtse, die um alles, aber auch um alles betteln mußten, von der Blechdose zum Kochen bis zur Kaffeetasse. Man glaubt es heute bald gar nicht mehr, wenn man daran denkt, wie schlecht es uns einmal gegangen ist. Dabei fehlte es nicht immer an Geld, nein, es gab eben nichts mehr zu kaufen. Jahrelang nach Kriegsende waren alte Gefangenenbaracken, Scheunen, Ställe und was sonst noch Unterkünfte für die Vertriebenen. Es schadet gar nichts, wenn wir heute wieder einmal daran denken.
O ja, es waren harte Zeiten, die ein großer Teil unserer Heimatfreunde durchmachen mußte. Es waren auch gar nicht wenige, die in Bunzlau aus der Schifferküche in der Kupferschmiedstraße ihre einzige warme Mahlzeit am Tage holen konnten, selbst wenn diese auch nur aus Kartoffelschalen und Heringsgräten mit allerlei Grünzeug bestand. Erst als die deutsche RM für einen Zloty bezahlt werden konnte war es möglich in polnischen Geschäften etwas zu kaufen. Gar mancher Pole war ehrlich genug, um zu sagen, wir bleiben sowieso nicht immer hier, eure Familien kommen bald wieder. Aber es kam auch umgekehrt. Nachdem die Russen nicht alle Tage plünderten, erschienen bald bei einbrechender Dunkelheit die Zivilpolen in den Wohnungen, um ihre bekannte „Revisi“ durchzuführen.
Der gute unvergessene Pfarrer Sauer hatte alle Hände voll zu tun, um die größte Not lindern zu helfen. Seine Vermittlung von Post über Görlitz hat dieser Tapferste dann mit dem Tode bezahlt. Wir, die wir seiner Hilfe bedurften, werden ihn niemals vergessen. Sein festes Wort Gottes, das er in der Kirche vermittelte, wurde ernst genommen. Männer wie Frauen, denen bisher im Alltag dieser alte Herr im Himmel schon jahrelang gleichgültig war, waren voller Bitten zu ihm. Sicher waren diese Gebete genau so ehrlich gemeint als die der Sterbenden in den Bombenkellern von Dresden. Denken Sie alle nur an die Veröffentlichung der Tochter vom Klempnermeister Reimann seinerzeit in unserer BHZ. Wie vielen ist es ebenso ergangen. Was sich in Zahnarzt Hüblers Haus und in Schmidt’s Villa an der Gymnasialstraße abgespielt hat und Monate vorher in Lichtenwaldau, kann nicht vergessen werden. Eine ganze Liste solcher gequälter Mitbürger kann man aufstellen. Gebetbücher und Kirchengesangbücher standen hoch im Kurs.
Ja, es hat sich doch alles in den vergangenen Jahren wieder zum Guten gewendet, so hört man heute. Beamte und Angestellte erhalten seit Jahren ihre geregelte Pension, Geschäftsleute haben mit großem Fleiß wieder neu angefangen, sie haben längst den Stand von Bunzlau wieder erreicht oder sind darüber hinaus. Renten und andere Bezüge sind seit Jahren geregelt, Wohnungen sind auch genug gebaut worden, die alten Familien sind kleiner geworden durch die Verheiratung, und die Enkel sind teils auch schon der Familiengründung nahe. Die Zeit ist nicht aufzuhalten.
Auch genügend Bunzlauer sind ausgewandert, um in fernen Welten ihr Glück zu suchen. Auch hierin ist es anders geworden. Ich denke nur an unsere Bunzlauer Freunde, die damals in den zwanziger Jahren nach Argentinien, Paraguay oder Brasilien auswanderten. Damals begannen sie im Urwald, um erst mal einen Platz für ein Dach über den Kopf zu bauen. Land gab’s genug und billig, aber dann hieß es „Bist du Gottes Sohn, dann hilf dir selber“. Nur die ganz zähen und verbissenen haben es geschafft, gar mancher ist zurückgekehrt. Auch dort ist sicher der alte Herr im Himmel oft gebraucht worden, wenn es nicht sogleich weitergehen wollte.
Vor Weihnachten stand ich vor einem Schaufenster einer Buchhandlung. Da lagen in zwei Reihen Bibeln. Zwischen vielen anderen Büchern wirkte diese Bibel mit den schwarzen Einbanddecken mit den eingeprägten Kreuzen im Moment etwas sonderbar. In der Mitte dieser Reihen war eine Bibel aufgeschlagen und so konnte man gerade lesen: „Siehe ich verkündige Euch große Freude.“ Man wurde da nachdenklich und erinnerte sich an den alten Spruch: „Wo keine Bibel ist im Haus, da sieht es öd und traurig aus!“ Gar mancher wird sagen, das war einmal, heute habe jeder wichtigeres zu tun als sich ausgerechnet in die Bibel zu vertiefen. Na ja, es gibt solche und solche. Ehrlich gesagt, gehöre ich auch zu denen, die dieses Buch noch nicht vermißt haben.
Warum soll ich das nicht offen bekennen, schon um der Wahrheit willen. Trotzdem war es doch ein schöner Brauch der Kirche in unseren jungen Jahren, daß wir neben dem Stammbuch für die neue Familie eine neue Bibel mit auf den Weg bekamen. Viele werden sich daran erinnern. Dieses dicke Buch bekam damals zwischen den vielen Hochzeitsgeschenken einen Ehrenplatz.
Ja, nun käme eine Gewissensfrage: Wo hatte denn nun in unserem Haus diese Bibel ihren Dauerplatz gefunden? Man sollte doch einmal darüber nachdenken. Sicherlich war sie in den fünfundzwanzig Jahren äußerlich schon leicht angebräunt, wie das eben bei Büchern mit der Zeit wird.
Ich vermute das, weil eben auch Bücher äußerlich alt werden. Ausgerechnet beschäftigt mich dieses Hochzeitsgeschenk der Kirche. Haben wir denn nicht sowieso alles verloren? Wer mit eigenem Fahrzeug einen Teil seiner Wohnungseinrichtung fortbringen konnte, hatte sicher Wichtigeres zu verstauen als nun gerade die Bibel. Wohlgemerkt, hier wird es große Ausnahmen geben. Auch Kirchengesangbücher werden in großer Zahl mitgewandert sein. Sie waren handlicher und notfalls ließ sich auch daraus ein Gebet zum Himmel schicken. Besonders Frauen werden beim Zurechtmachen des Flucht-Gepäckes daran gedacht haben.
Arthur Linke verstorben
Erstveröffentlichung: Bunzlauer Heimatzeitung 1/1975.
Malermeister Arthur Linke aus Bunzlau geb. 9. 3. 1891 † 13. 12. 1974 in Ansbach verstorben. Noch in Nr. 5/71 unserer BHZ hat unser Karl Wiechmann zu seinem 80. Geburtstag eine lange Schilderung seines Lebensweges in Bunzlau festgehalten und ihm auch den Dank aller Bunzlauer für seine Mitarbeit in der Heimatzeitung gedankt. In seiner großen Liebe zur Bunzlauer Heimat und die Einwohner hatte er selbst viel erzählt und viele Bürger und darunter auch einige Originale in Erinnerung gebracht. Im jahre 1910 trat er bei den Hirschberger Jägern ein, nahm dann am ersten Weltkrieg teil und hat dann 1919 die Meisterprüfung bestanden. Seit der Flucht in Ansbach wohnhaft ist er 1962 im eigenen Wohnhaus dann in den Ruhestand getreten, hat dann 1966 seine Lebensgefährtin Frau Anna geb. Scholz verloren, seitdem war es auch um ihn ruhiger geworden. Mit seiner starken Heimatliebe und den vielen Heimatartikeln wird er den Bunzlauern noch lange in Erinnerung bleiben.