Über den Bunzlauer  Rathausturm

Veröffentlicht von Milan Koncz am

Wie alt ist der Ratsturm?

Artur Schiller. Erstveröffentlichung: Bunzlauer Stadtblatt Nr. 130, vom Sonntag, dem 6. Juni 1926

„In der Mitte des Ringe steht das Rathaus. Was über seine Ursprung gesabelt worden, nehme ich Anstand zu wiederholen.“ Mit diesen Worten kommt unser Chronist Dr. Wernicke höchst vergnüglich über eine Untersuchung des Altes des Hauptgebäudes der Stadt hinweg. Im Bunzlauer Stadtblatt Nr. 167 vom 19. Juli 1925 haben wir versucht, die klaffende Lücke ein wenig auszufüllen. Dort ist auch ein in Privathand befindliches Bild von 1603, das Rathaus von der Westseite, abgedruckt. Von Westen führt nur eine einläufige Freitreppe nach dem ersten Stock. Dagegen sieht man an der Südseite eine direkt nach dem heutigen Zimmer des Ersten Bürgermeisters hinaufgehende Freitreppe. Die alte Zeit liebte offenbar die Anbauten an ein Hauptgebäude aus malerischen Gründen. so bemerkten wir denn auch auf besagter Zeichnung noch mehrere Anhängsel. An der Nordseite des Rathauses sieht man ein breites ebenerdiges Fachwerksgebäude mit Schleppdach und scheunentorartig wirkendem Eingang; die längst abgebrochene Fleischbank. Neben dem Dache dieses Gebäudes guckt eine vierteilige Säule hervor, auf der ein Hahn steht. Das ist natürlich ein christliches Symbol, das man auch oft auf Kruzifixen sieht, der Hahn des Apostels Petrus. Dieses Tier wird aus Blei gewesen sein. Danach haben alte Anekdoten jedenfalls den fabelhaften Bürgermeister Bleihahn in Analogie der Geschichte von Ali Baba und den 40 Räubern erfunden.

Doch wir wollen nicht abschweifen. Meiner Erinnerung nach war auch an die Ostseite des Turmes ein altes Gebäude mit nach Osten abfallendem Pultdache angebaut. Im September und Oktober 1891 wurden die letzten Verkaufsbauden an der Ostseite des Rathauses, da, wo jetzt der Boninbrunnen ist, abgebrochen.

Wahrscheinlich ist der Turmanbau, der die Ratswaage und früher die sogenannte Plombierstube enthalten haben mag, damals auch beseitigt worden. Die Ostseite des Turmes wurde unter Baurat Dörich mit Sandsteinquadern verstärkt.

Bei den jetzt am Rathause vorgenommenen, ziemlich tiefgehenden Grundgrabungen für eine Vergrößerung des Kellers ist man merkwürdigerweise auf eine große Anzahl von Findlingssteinen, etwa 22 Stück, gestoßen – auch unter dem Fundamente des Turmes sieht man einige – aber auch auf die uralten rechteckigen Fundamente des erwähnten Turmanbaues.

In der östlichen Fundamentsmauer fand man einen technisch vollendet gearbeiteten, gebrannten, kreisrunden Topfdeckel von hellgelblicher Färbung.

Er hat einen Durchmesser von 15 Zentimeter. Auf der Spitze des sich sanft erhöhenden Deckels sitzt ein praktischer Knopf. Er hat nämlich zwei gerade, etwas eingezogene Flächen, in die die haltenden drei Finger der Hand hineinpassen. Ein Entgleiten, wie bei den modernen runden Knöpfen, ist nicht möglich.

Unter dem Rande läuft innen rings herum ein gewiß schwierig herzustellen gewesener Falz, dessen Bestimmung nicht aufzuklären ist. Hat man etwa eine Materie zum hermetischen Verschlusse des Deckels hineingestopft?

Von dem Topfe selbst sind nur zwei Scherben erhalten, die dicht nebeneinander lauende Gürtelfurchen zeigen. Auch ein 10 Zentimeter langes Knochenstück, der Teil des Gelenkes eines Kalbsfußes, befand sich dabei.

Wir haben hier also wieder einmal eines der in der Topfstadt Bunzlau oft vorkommendes Bauopfer. Der Deckel und die Scherben sind unglasiert. Würde man bei der Niederlegung die Glasur hier schon gekannt haben, so würde man doch sicher der besseren Erhaltung halber einen glasierten Topf in der Grundmauer geborgen haben.

Glasur ist orientalischen Völkern schon seit sehr langer Zeit bekannt gewesen. Ohne auf den Chronisten Bergemann schwören zu wollen, der manchmal romantischen Gelüsten nachhängt, müssen wir doch die einzige Note über Glasur anführen, die es in der Bunzlauer Literatur gibt. Er sagt, ein Töpfer in Schlettstadt habe 1283 die Glasur erfunden. Wir wollen verbessern: wieder erfunden. Diese wichtige Zahl mag von unseren Töpfern traditionell festgehalten worden sein. Jedenfalls ist die Glasur sehr früh bekannt geworden. Die aufgebauten Fundamente des Turmanbaues müssen aber noch älter sein.

Wernicke gibt zu, daß vor der Erteilung des deutschen Rechts an schlesische Städte von einem Rathause nicht die Rede sein könne. Das ein Stadt das deutsche Recht besaß, kann man dann schließen, wenn sie in Urkunden civitas, Stadt genannt wird. In den vom Schlesischen Geschichtsverein herausgegebenen Regesten (bis 1280) wird in einer Urkunde von 1251 von der civitas Bolelavec gesprochen. Wenn man diese noch gelten lassen wollte, so erwähnt eine Urkunde von Breslau vom 1. Juni 1260 eine zunächst bei der Stadt Bunzlau gelegene Mühle (molendiunum proxime contiguum civitati Boleslavec), womit selbstverständlich die frühere Sandmühle gemeint ist. Wir können, da der Turm mindestens ebenso alt, wie der Anbau, wahrscheinlich älter ist, also annehmen, daß der Ratsturm, der wichtigste Teil des alten Rathauses, etwas vor dem Jahre 1300 gebaut worden ist.

Wie unser Chronist Holstein berichtet und wie infolgedessen auf dem großen Findlingsstein im Erlendreieck in goldenen Zahlen verzeichnet ist, nahm die Bunzlauer Kanalisation schon 1531 ihren Anfang. Sie wurde 1559 vollendet und blieb bis 1806 fast unverändert. Der erste Kanal ging vom Stadtkeller nach dem Stadtgraben. Nur die Kanalisation der ebenfalls keramisch tätigen Stadt Gouda in Holland soll unter den neuzeitlichen Wasserleitungen in Europa älter sein als die Bunzlauer. Vielleicht haben keramische Beziehungen die beiden Städte in früheren Zeiten verbunden, und dortige Techniker haben die Idee nach dem unterhalb des Queckbrunnens hervorragend günstig gelegenen Bunzlau übertragen. Auch in Neiße sollen holländische Arbeiter eine gleichfalls sehr alte Wasserleitung erbaut haben. Jedenfalls kann man glauben, daß man hier in Bunzlau, wo Decksteine leicht zu beschaffen waren, schnell bei der Hand mit der Erbauung von Kanälen und unterirdischen Gängen. In jenen unsicheren Zeiten brauchte man Orte, wo man sich verstecken, oder Ausgänge, durch die man entfliehen konnte. Wohl jede deutsche Ritterburg hat ihre geheime, von Felsen und Büschen maskierte Ausfallspforte gehabt. Uns erscheinen die Geschichten von solchen Gängen romantisch und angenehm gruslig. Den Beteiligten waren sie aber eine bittere Notwendigkeit. Es wird hier erzählt, das ein unterirdischer Gang von Bunzlau nach der Gröditzburg bestanden habe. Man stelle sich vor, wie denn die Erbauung eines solchen vor sich gegangen sein sollte, und man wird diesen Gedanken sofort in das Reich der Märchen verweisen.

Das unser Schloß einen unterirdischen Ausgang gehabt habe, ist eher wahrscheinlich. Vielleicht ist der unterirdische, gewölbte Gang damit in Verbindung zu bringen, der vor dem Hause Evangelischer Kirchplatz Nr. 6 bei Umbauten im Jahre 1808 hervortrat. Nach der Erzählung der Vorbesitzerin Frau Sch. hat man die zutage tretenden Werksteine verwendet und den Gang, nachdem zwei Keller angelegt worden waren, vermauert.

Auch das Rathaus hat seine unterirdischen Geheimnisse, große Keller, die über die Umfassungsmauern teilweise hinaus-gehen. Besonders aber das unheimliche, an 6 Meter tiefe Verlies im Rathausturm, das vergessen war und im Sommer 1921 wieder aufgedeckt wurde. Die dazu gehörige Inschrift im Rathause lautet:

Jus cole: perniciosa viris iniuria res est. (Pflege das Recht; eine gefährliche Sache für die Männer ist die Ungerechtigkeit).

Sie deutet wohl auf seine Benutzung als Gefängnis. Wir erinnern an die sogenannte Helmesser Fehde, die der wegen allerlei Uebeltaten 1511 aus dem Rat ausgestoßene Anselmus (davon die Abkürzung Helmes) Scholz anzusagen wagten. Man fing ihn und sperrte ihn in den Turm. Was aus ihm geworden ist, weiß man nicht. Schlimmer erging es Seinem Sohne Gregor, den man im Jahre 1526 erwischte, ebenfalls in den Turm steckte und demnächst enthauptete. Jetzt schreiten wir neben dem städtischen Steuerbüro ahnungslos über die Falltür im Fußboden, die das Zugangsloch des kuppel-förmigen Raumes verdeckt. Man möchte im Erdboden des Verlieses einmal nachgraben, ob man nicht noch Knochen oder sonstige Gegenstände findet.

Besonders den Klöstern schrieb der Volksmund gern Heimlichkeiten und unterirdische Verbindungsgänge zu. Auch unser Kloster blieb davon nicht verschont. Daß vielleicht doch einmal wahres daran war, ergibt folgende Notiz, die wir soeben in dem Archivbuche Nr. 115 gefunden haben. Im Jahre 1812 ließ der Prokurist Wolf in seinem zwischen dem Niedertor und dem Kloster gelegenen Zwingergarten einen alten, 5 Fuß dicken Turm durchbrechen. Gemeint kann nur sein der in das städtische Bad eingebaute Turm oder der im Hofe der Mädchenschule befindliche. Man fand in dem unteren Gemach, das nur durch Löcher in der Decke Licht erhielt, ein Skelett, eine eiserne Kette, einen Blechleuchter, einen Blechlöffel und einen verfaulten Filzhut. Dadurch gewann die an sich unverbürgte Sage, daß vom Kloster ein Gang ausgegangen sei, neue Nahrung. Man erinnerte sich daran, daß man zehn Jahre vorher, also 1802, einen Gang aufgefunden hatte, der durch ein im hinteren Zwinger nahebei gelegenes Weighaus geführt hatte.

Vor der Westfront des Stadthauses befindet sich noch jetzt ein ziemlich geräumiger Keller, dessen nach oben führendes Luftloch zum Einschütten von Kohlen benutzt wird. Dieser Keller sieht wie der Anfang eines Ganges aus. Natürlich muß man hierort, wo es gewiß im Stadtgebiete noch manche verlassene Wasserleitungskanäle gibt, mit solchen Phantasien etwas vorsichtig sein.

In obigen Buche ist auch gesagt, daß man hier in der Zeit der Religionsbedrückung nicht selten Leichen in den Kellern begraben habe, um die an den katholischen Pfarrer zu zahlenden Gebühren zu sparen.

Es geht auch die Sage, daß die Hussiten in Bunzlau heimlich eine Kirche gehabt hätten. Gemeint sind natürlich hiesige Bürger, die Anhänger der hussitischen Lehre waren. Ein im Hause Zollstraße 20 befindlicher Keller wird als als solche Andachtsstätte bezeichnet. eine in diesem Hause geborene hiesige Dame bestätigt das Gerücht. Sie will in ihrer Kinderzeit noch ein tischartiges Geräte gesehen haben, das der Hussitenaltar war. Sie, die an die 50 Jahre ihr Geburtshaus nicht betreten hatte, erzählte auch, in dem Keller wäre an der Decke als Zugang ein Loch gewesen. Und wirklich, als wir mit ihr neulich den Keller besichtigten, fand sich an der Decke ein viereckiges Einsteigeloch, das jetzt freilich mit langen Steinen zugedeckt ist.

Als man im Jahre 1819 auf dem Markte zu dem Kutusowdenkmale Grund grub, stieß man auf einen von den „Drei Kränzen“ zu Pick weisenden Gang. Natürlich kann dies ein alter Kanal gewesen sein. Es ist doch aber merkwürdig, daß sowohl in dem besonders tief herabführenden Keller der Kränze als auch bei Pick deutliche Spuren von zugemauerten Wandstellen zu sehen sind.

Einen weit auf die Straße reichenden Keller hat auch die „Haaseburg“, Oberstraße 16, die nach einer Erinnerungstafel auf der Treppe 1846 von Böttchermeister C. August Haase und Ehefrau durch Engelhardt Gansel gebaut ist. Man hat offenbar die frühere Brücke über dem Wallgraben zum Keller umgewandelt.

Im Südflügel des Alten Hauses des Waisenhauses, anstoßend an den Franzosengang, war ursprünglich ein Keller als Andachtsraum benutzt.

Unter der katholischen Kirche ist eine Krypta, über die wir noch nichts genaueres angeben können. An einem Kellerfenster an der Nordfront  sind auf dem Eisengitter ein flacher Schlüssel und ein kleines eisernes Hufeisen angebracht. Mehr Sagenstoff bietet merkwürdigerweise die Krypta unter der erst 1791 von dem Schuhmacherältesten Andreas Obermeyer erbauten Begräbniskirche. Vielleicht sind ältere Sagen auf das neuzeitliche Gebäude übertragen. Man sagt immer wieder, daß darin eine Liegnitzer Prinzessin mit ihrem Stallmeister ruhe oder geruht habe und heimlich weggeschafft sei. Auch soll der unterirdische Raum die Magistratsgruft sein. Der Unterstock der Kirche enthält aber eine ganz harmlose Gerätekammer und ein Erbbegräbnis, beide nach hinten mit Türen versehen. Durch die Grenzmauer  mit Gärtner Hollstein ist offenbar früher einmal ein ziemlich breiter Zugang gewesen. Auch Trauungen sollen der Sage nach in dem Unterraum vorgenommen worden sein. Ueber dem Erbbegräbnis steht die Jahreszahl 1826, und eine Inschrift besagt, daß hier die Ruhestätte des 1809 gestorbenen Kaufmann Joh. Gottl. Bleul und seiner Ehefrau sei.

Erwähnung verdient der Vollständigkeit halber der städtische Keller am Nordabhange des Wehrberges vor dem Schweizerhause, dessen Alter nicht feststeht. Speisen und Getränke sollen sich in ihm nicht gut halten. Dagegen wird der der Eisenbahn gehörige Keller im Reste des Postberges noch jetzt als Eiskeller benutzt. Der am Anfange der Eckersdorfer Straße gelegene, von Kaufmann Ressig, dem Vorgänger von Waldemar Wandel, erbaute Keller ist jetzt noch unter der alten Hausnummer 601 im Adressbuche aufgeführt. Er ist an die Concordia vermietet.

Schließlich erwähnen wir den vergnüglichen Keller des Hauses Görlitzer Straße 19 – 21, ein früheres Laboratorium, der von seinem jetzigen Besitzer, Peter Gansel, mit allerlei Altertümern ausgeschmückte und in einen Kneipraum umgewandelt ist. In den schönen gewölbten, ebenerdigen Sälen des Rathauses, die man dereinst Ratskeller nannte, herrschte einst Gambrinus. Jetzt sind sie ernsten Beratungen und städtischen Behörden gewidmet.

Die Erneuerung des Rathausturms

Bunzlauer Stadtblatt, Oktober 1928.

Als 1928 der Rathausturm erneuert wurde, öffnete man den alten Turmknopf und fand darin eine Blechbüchse mit zwei Urkunden aus den Jahren 1776  und 1847. Die ältere Urkunde war schon ganz zerfallen, aber die von 1847 war einigermaßen erhalten. Auch einige Münze lagen darin. Nun wurde eine neue Urkunde aus dem Jahre 1928 hinzugefügt, die in einen luftdicht abgeschlossenen Glaszylinder gelegt wurde. Die 1847er Urkunde kam ebenfalls in eine Glasröhre. Die Urkunde von 1928 lautete: „Im gegenwärtigen Jahre erschien wiederum eine Ausbesserung unseres Rathausturmes dringend erforderlich. Beidemal, am 9. Juli, sowohl im Jahre 1776 als im Jahre 1847, hatten umfangreiche Instandsetzungen der Bekrönung dieses Turmes stattgefunden. Am 15. Juli 1903 war nur eine Neuvergoldung des Knopfes und einzelner Teile des Adlers vorgenommen worden. Jetzt zum Beginn der Arbeit am 2. August 1928, wurde der Knopf und der darüber befindliche als Wetterfahne nicht mehr leicht genug bewegliche Adler heruntergeholt. Der im Jahre 1773 gefertigte kupferne Knopf wurde jetzt mit fünffachem Blattgold neu vergoldet. Der in Kupfer getriebene Adler vom Jahre 1843 wurde in seinem Innern mit Versteifungsrippen versehen. Die unbefiederten Stellen sowie die Insignien wurden vergoldet. Ein eingebautes Kugellager wird die Bewegungsfreiheit vergrößern.

Heute, am 8. Oktober 1928 sollen die beiden Schmuckstücke von kundiger Hand wieder an ihren alten Ort gebracht werden. Bei Gelegenheit dieser Arbeiten sind auch die unleserlich gewordenen Uhrzifferblätter aufgefrischt worden. Der Turnhelm erhielt statt  seiner bisher ziegelroten Färbung eine Grüne. Unter Leitung der Beamten unseres Stadtbauamtes, insbesondere des Stadtbaurates Candrian, sind diese Arbeiten von folgenden Meistern und deren Leuten ausgeführt worden:

Dachdeckermeister Karl-Otto Röhrig

Kupferschmiedemeister Hermann Radeck

Malermeister Hermann Schäfer

Klempnermeister Oskar Kühn und

Schlossermeister Franz Kotzyba, alles Bürger unserer Stadt.

Mögen die schwierigen Arbeiten glücklich zu Ende geführt werden. Wir wissen, daß wir nicht für die Ewigkeit gebaut haben, und daß in einigen Jahrzehnten ein anderes Geschlecht diese Zeilen werten wird. Möge bis dahin der Knauf des Turmes ungestört als Sinnbild der städtischen Selbstverwaltung auf ein in Bildung und Wohlstand immer vorwärtsschreitendes Gemeinwesen herabschauen und möge das deutsche Vaterland wieder von den schweren Wunden genesen, die der Weltkrieg ihm geschlagen hat.

gez. Burmann, Erster Bürgermeister

Ein Fund auf dem Ratsturm

Von Artur Schiller. Bunzlauer Stadtblatt, Montag, den 15. Oktober 1928.

Unser Ratsturm ist doch ein recht interessantes Bauwerk. Von seinen Fundamenten an, in dem sich ein schaurige Verlies befindet, das in der Geschichte der Stadt einst eine große Rolle gespielt hat. Vor einigen Jahren wurde es, auch bei einer Baureparatur, wieder entdeckt. Die Inschriften im ersten Stock und auf dem Turmkranze haben wir schon wiederholt besprochen. Jetzt steht der Turm, wie von Natur inmitten der Stadt, so nach seiner allgemein als gelungen bezeichneten Reparatur im Mittelpunkt des Interesses. Jeder blickt nunmehr gern zu ihm auf. Wie neulich unserer Einquartierung zum Abmarsche antrat, war es spaßhaft anzusehen, wie fast jeder Mann seine Uhr herauszog und nach ihm vergeblich emporschaute. Damals wohnte eben noch in den „öden Fensterhöhlen“ das – Nichts.

Man dachte nun, an dem Turm wäre nichts mehr zu entdecken. Dem war aber nicht so. Bis jetzt hatte überhaupt noch niemand die – Uhrglocken des Turmes beachtet. Nun aber, bei der schwierigen, lange Zeit erfordernden Reparatur konnte es nicht länger verborgen bleiben, daß die beiden getrennt voneinander hängenden Glocken, die nördlich und die südliche, gleichlautend eine lateinische Inschrift haben, die an den großen Stadtbrand vom 2. Mai 1739 erinnert. Damals brannte fast die ganze Stadt ab.

Das Feuer erstreckte sich vom Pfarrhofe über die Niederstadt bis zum Hospitale; sogar ein Vorwerk und einige Häuslerstellen in Tillendorf fielen dem wütenden Elemente zum Raube. Die katholische Kirche blieb veschont; jedoch brannte das Dachgeschoß des Rathauses und das Gestühl des Ratsturmes ab, wobei natürlich die Uhrglocken zu schmelzen begannen und ihren Dienst nicht weiter verrichten konnten. Sie mußten also umgegossen werden.

Das besagt folgende Inschrift, die sich allein um den Oberrand der südlichen Glocke windet, während die nördliche an deren Stelle nur einen Fries von Akanthusblättern hat:

FVSA GOERLITII PER BENI. KOERNER ANNO MDCCXL. Beide Glocken wurden also durch Benjamin Koerner in Görlitz umgegossen.

Die gleichlautende vierzeilige Inschrift auf beiden heißt:

CAMPANAE AB IGNE EX INTEGRO DESTRVCTAE

SONITVQVE SVO PRIVATAE

MAGISTRATVS INGENTI CVRA ET LABORE DEO

AVXILIANTE RESTAVRATAE SVNT.

Das heißt: „Diese Glocken, die vom Feuer völlig zerstört und ihres Klanges beraubt waren, sind mit ungeheurer Sorge und Arbeit des Magistrats mit Gottes Hilfe wiederhergestellt worden.“ Die Inschrift enthält zwei Akrosticha: die ersten beiden Zeilen ergeben 1739, die dritte und vierte Zeile 1740. D bedeutete bekanntlich 500, L 50.

Darunter stehen, ebenfalls auf beiden Glocken, die Namen des damaligen Bürgermeisters und der anderen Magistratsmitglieder des Jahres 1740 in folgender Fassung:

SVB CONS. D: SIG: MÜLLER, PRO: CONS: D: IGN: ROMBERG, SENAT: D: EMANN: ROSENBERG, D: FRANC: HVNDT, D: IOAN: NEVMANN, D: IOAN: GEIGER, SYND: ET NOT: D: IOAN: BAVMGARTEN.

Bürgermeister (Konsul) war also Herr (d = dominus) Siegfried Müller, Prokonsul Herr Ignatz Romberg, Senatoren waren Herr Emanuel Rosenberg, Herr Franz Hundt, Herr Johann Neumann, Herr Johann Geiger, Syndikus und Notarius Herr Johann Baumgarten.

S. J. Müller stammte aus Jauer und wurde hier 1717 as erstemal zum Ratmann gewählt. 1728 wurde er Bürgermeister, was er bis 1742 blieb. Während seiner Regierung reiste die Königin von Polen am 29. Dezember 1733 mit achtzig Postpferden hier durch, um am anderen Morgen nach Krakau zur Krönung zu reisen. Bei ihrer Ankunft wurde sie von Pauken auf dem Ratsturme und zwei Kompanien Bürgern in Parade begrüßt. Sie nahm mit ihrer Oberhofmeisterin, ihren Hofdamen und dem dreijährigen Prinzchen Xaver bei Bürgermeister Müller Quartier. Von der Geistlichkeit, den Ständen und dem Magistrat wurde sie in der vorderen Ratsstube stehend bewillkommnet. Um 7 Uhr abends speiste sie daselbst unter Zulassung von Zuschauern. Zu ihrer Rechten saß die Oberhofmeisterin Gröfin Kollowrath, zu ihrer Linken die Gräfin Almesloe. Auch die Landesältesten von Bunzlau und Löwenberg, die Herren von Briese und Baron Glaubitz, waren eingeladen.

Nach der Tafel ließ die Königin dem Erzpriester Mentzel durch ihren Beichtvater, eine, Jesuiten, melden, daß sie am nächsten Morgen die Frühmesse besuchen werde. Mentzel beschreibt zu Nutz und Frommen seiner Amtsnachfolger den Kirchgang in seiner Pfarrchronik; er habe es bei einer kurzen Verbeugung gegenüber der Königin bewenden lassen.

Der Bürgermeister hielt sich aber seit 1741 zu den Evangelischen.

Ignatz Romberg stammte aus Kloster Zelle im Brandenburgischen. Sein Großvater war schon Ratmann in Köln am Rhein gewesen. Romberg war 1724 Schützenkönig. Bürgermeister Wolfgeil war sein Schwiegervater. Deshalb konnte seine Wahl in den Rat erst bestätigt werden, nachdem dieser am 26. Februar 1726 gestorben war. Er selbst starb am 8. Januar 1750 als katholischer Polizeibürgermeister.

Emanuel Rosenberg stammte aus Gröditzberg. Er kam 1726 in den Rat und war bei der Grundsteinlegung des evangelischen Bethauses, am 22. Juni 1752, Senator und Syndikus.

Franz Joseph Hundt wurde ebenfalls 1726 Ratmann. 1780 (Ganz offensichtlich ein Druckfehler. Möglicherweise 1730) wird er als Assessor im Schöppengericht aufgeführt. Sein Tod erfolgte im Juni 1740.

Joh. Neumann und Joh. Geiger wurden 1730 Ratmänner.

Joh. Samuel Baumgarten, der bis dahin Stadtschreiber gwesen war, wurde 1731 Syndikus.

Romberg, Hundt, Neumann, Geiger und Baumgarten bildeten übrigens die Kommission, die am 10. Juni 1738 die lange Jahre verabsäumte Grenzregulierung mit Primkenau vornahm.

Als unsere Ratsuhrglocken das erstemal ein neues Jahr verkündete, stand König Friedrich II. bereits vierzehn Tage in schlesien. Sie haben also von dem österreichischen Regimente nicht viel kennengelernt.

Die Abnahme des Adlers vom Rathausturm

Erstveröffentlichung: Bunzlauer Stadtblatt, 2. August 1928

Während sonst der Marktplatz morgens gegen 5 Uhr menschenleer daliegt, entwickelte sich heute früh dort eine Regsamkeit, die den Vorübergehenden stutzig machte und ihn zum Stehen-bleiben ermunterte.

Den Rathausturm hinauf liefen feste Seile, und unten machten sich einige Personen an einer Winde zu schaffen. Oben auf dem „Blücher“ baute gar ein Photograph seinen Kasten auf, und unten wurde ein schlankes Stativ auf-geklappt.

Ach richtig, der Adler sollte ja herabgeholt werden.

Diesen historischen Moment wollen wir einmal nicht versäumen und eine Weile warten. Es wird sich schon lohnen.

Unten hat man noch Bedenken, ob die Winde dem Adler gegenüber, der immerhin seine 31/2 Zentner wiegt, schwer genug ist.

Deshalb wird noch eine Menge Steine auf das Gestell der Winde gepackt. So, nun kann der Adler seinen Flug beginnen! Fünf Minuten vor 3/46 Uhr neigt sich der Adler nach dem Kaufhaus Heinze hin zur Seite. Schon vier Minuten später kann ihn der Dachdecker, der auf der obersten Leiter steht, fassen und leitet ihn über die Turmspitze nach dem nördlichen Gerüst zu Nun geht es schnell abwärts, und zwar an der Seite, die dem Blücher gegenüber liegt.

Am Dachgesims gibt es noch einen Widerstand zu überwinden, aber schnell ist man mit Stangen zur Hand und stößt den großen Vogel ab. Fünf Minuten vor 6 Uhr landet er auf dem Turmrundgang. Hier wieder ein Aufenthalt, und dann schwebt der Adler den Turm hinab.

Zehn Minuten nach 1/27 Uhr ist er wohlbehalten unten, ein hübscher, schmucker Kerl, der uns vor der Handwerkskunst der damaligen Zeit allerhand Achtung abzwingt. Leute strömen herbei und betrachten ihn, schätzen sein Gewicht, seine Länge und Höhe und freuen sich, ihn  einmal in der Nähe zu sehen.

Ein ganzes Menschenalter und noch etwas mehr hat er da oben auf der Turmspitze gesessen, nun darf er sich eine Weile ausruhen. Er wurde in den alten Ratskeller geschafft, dessen Gäste er oft nach Hause wanken sah.

Gegen Mittag wurde dann noch der goldene Turmknopf abgenommen. Die Arbeiten leitete Schornsteinbaumeister Karl Otto Röhrig, der auch das Gerüst aufrichten ließ, mit großer Umsicht und Sicherheit.

Trotz des Regenwetters konnten wir einige gute Aufnahmen anfertigen, von denen wir hier eine bringen. Weitere Bilder sind in unserem Schaukasten ausgestellt.

„Was kommt dort von der Höh‘…“

Der Adler auf dem Rathaus wird aufgefrischt.

Erstveröffentlichung: Bunzlauer Stadtblatt 1928.

Achtzig Jahre lang hat der Adler auf unserem Rathausturme sich im Winde gedreht, achtzig Jahre lang hat er den Nacken steif gehalten, daß ihm die Krone nicht herunterpurzelt, achtzig Jahre lang hält er Reichsapfel und Zepter fest in seinen Klauen. Inzwischen ist man ein paarmal zu ihm emporgestiegen und hat ihm eine kleine Auffrischung angedeihen lassen. Das letztemal im Jahre 1904. In diesen Tagen soll er aus seiner luftigen Höhe heruntergeholt werden, denn es ist da oben am Turm allerhand zu reparieren, und bei dieser Gelegenheit soll unser Adler und der Turmknopf unter ihm gleichzeitig einen neuen Anstrich und eine neue Vergoldung erhalten.

Zu diesem Zwecke haben zwei hiesige Handwerksmeister, Dachdeckerobermeister Röhrig und Klempnermeister Kühn, an der Turmspitze ein Gerüst errichten lassen, in das ein Schwenkkran eingebaut wird. Von hier aus wird dann mit Hilfe eines Flaschenzuges, der unten auf dem Markt befestigt wird, der Adler über das Gerüst turmabwärts geleitet. Ehe diese schwierige Arbeit errichtet werden kann, werden noch einige Tage vergehen. Reichsapfel und Zepter konnten gestern bereits abgenommen werden. Dabei fand man in der Klaue ein verlötetes Kästchen mit Dokumenten. Die abgenommenen Stücke konnten wir gestern in der Turmstube besichtigen. Das Zepter reicht einem erwachsenen Menshen etwa bis zur Brusthöhe, der Reichsapfel ist etwas größer als ein Fußball.

Der 1,08 Zentner schwere Knopf am Rathausturm, der ebenfalls heruntergeholt werden soll, ist nach der Chronik am 7. Mai 1847 abgenommen worden, um von Maler Schol neu vergoldet und zusammen mit dem damals neuen Adler am 9. Juli 1847 wieder auf dem Turm befestigt zu werden. Er enthält Geldsorten jener und älterer Zeit vom Pfennig bis zum Zweitalerstück, eine alte und eine neuere Urkunde mit kurzer Geschichte der Zeit um 1847, die Namen des damaligen Königs, des Prinzen von Preußen, der hohen und städtischen Behörden und einen Bericht über den Stadthaushalt von 1847 und die Angabe der damaligen Getreide- und Brotpreise.

Wir bringen heute ein Bild des Adlers kurz nach seiner Fertigstellung. Die Personen vor dem etwa 3 Meter breiten und 2 Meter hohen Adler sind der Kupferschmied Hampel, in dessen Werkstatt der Adler hergestellt wurde, und seine Angehörigen.

Im Zusammenhang mit den Reparaturen soll auch das Dach des Turmes umgedeckt werden und der Turmhelm einschließlich Dach und Turmlaterne einen neuen Anstrich erhalten. –n.

Rückkehr des Rathausadlers

Erstveröffentlichung: Bunzlauer Stadtblatt 1928.

Photo: Friedrichs. Klischee: L. Fernbach.

Der neu vergoldete Turmknopf wurde heute vormittag wieder auf dem Rathausturm angebracht. Er war vorläufig noch in Papier gewickelt, so daß sein „eitel Gold“ in der nicht vorhandenen Sonne vorläufig noch nicht glänzen konnte. Auch der Reichsadler ist mit seiner ganzen Habe, die aus Krone, Zepter und Reichsadler besteht, neu auflackiert wieder zur Stelle.

Er hing, als wir diese Zeilen schrieben, gerade in der Schwebe, wir können also noch nicht prophezeien, ob er heil oben ankommt, hoffen wir aber das beste.

Ueber die neuen Farben des Turmes ist diesmal mehr gesprochen als geschrieben worden, aber eins sei doch erwähnt, daß er schon einmal von rot auf grün herüberwechselte. Es war im Jahre 1781, als man sich entschloß, die ganze Kuppel grün zu streichen. Da aber die Farbe binnen vier Jahren ganz verschwunden war, wurde die Kuppel 1785 rot gestrichen. Seitdem war er rot, 143 Jahre lang. Wie lange wird er sich nun mit der grünen Farbe vertragen?

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