Gottfried Zahn – Der Waisen Vater
Aus: Ernst Gottlieb Woltersdorf. Ein evangel. Sänger und Seelsorger. Von Johannes Giffey, erschienen im Emil Müller’s Verlag, Barmen 1925.
Die sieben bis acht letzten Jahre des kurzen Lebens Woltersdorfs, mit denen sich dieser Abschnitt befaßt, sind inhaltlich durch den unentwegten Glauben eines einfachen Handwerkers bestimmt worden, der nach Gottes weisem Rat den Weg des jungen Predigers kreuzte. Und beide zusammen verband ein Werk, das heute noch in Schlesien blüht zum Segen von klein und groß: die Waisen- und Schulanstalt in Bunzlau.
Sahen wir, welch liebewarmes Herz in Woltersdorf der Kinderwelt entgegenschlug, so finden wir in Bunzlau noch einen Mann, dessen Herz der Jugend gehörte, sonderlich der verwahrlosten. Hatte Woltersdorf vor allem das geistliche und ewige Wohl der Kinder im Auge, so denkt der andere, der ehrsame, gläubige Maurermeister Gottfried Zahn mehr an das zitliche, soziale Wohl Beider vereinte Arbeit gab dann den rechten Klang und einen vollen Segen.
Der Glaube dieses Mannes aus dem Handwerkerstande hat „allein auf den Fond der göttlichen Vorsehung“ – Barmherzigkeit steht über dem Eingang des alten noch von ihm begonnenen Hauses – die Waisenanstalt ins Leben gerufen, als eine Zeugin der Glaubens. und Liebestreue unsrer Väter. Auf einem hügeligen Gelände im Osten der Stadt steht noch heute diese Anstalt, als eine stattliche Gruppe von Gebäuden, die nach den vorjährigen Erneuerungsarbeiten mit ihrem satten Gelb des Mauerwerks und dem leuchtenden Rot der Dächer auch gegenwärtig noch dem, ders verstehen kann und will als ein Denkmal göttlicher Güte und herzfrischem Glaubens erscheint. Im Innenhof der Anstalt vor dem „alten Hause“ steht ein der Anstalt von Kaiser Wilhelm II. geschenktes Christusbild, das in Ueberlebensgröße und in weißem Marmor den göttlichen Meister als Kinderfreund darstellt. Obgleich Woltersdorf von vornherein der geistliche Baumeister des Werkes war, so war er doch – mag es uns auch ganz unerklärlich scheinen – nicht sofort dieser Mann des Glaubens. Aber gerade weil er es wurde, weil er zu solchem reisen mußte – auch ein Abraham ward stark im Glauben, Röm. 4, 20 –, um so reizvoller sind für uns die Anfänge dieses Hauses, und wir möchten sie nicht allzu kurz abtun.
Gottfried Zahn eben war dieser Mann des Glaubens und der Liebe und wir könnten ihn fast Woltersdorfs Lehrmeister nennen. Er wurde am 21. Dezember 1705 zu Tillendorf (Bunzlau gegenüber, auf der anderen Seite des Bobers) als vermutlich einziger Sohn des Gärtners und Maurers Christoph Zahn geboren. Unterm 19. Mai 1724 erhielt er einen „Losbrief“ und machte sich damit frei von dem „Untertanenverhältnis“ zu seiner Vaterstadt. In diesem Briefe finden die bezeichnenden Worte: „zu welchem Gesuche Wir desto williger gefuget, indem uns sonderlich wohlgefallet, wann verlassene Kinder gut geraten und lernen, womit sie künftige, ohne anderer Leute Beschwerungen sich ihr Brot verdienen können.“ 1733 erwarb Zahn sich noch als Geselle das Bürgerrecht in Bunzlau, und baute sich in der Obervorstadt an, nachdem er bereits ein Jahr zuvor geheiratet hat. Lassen wir aus seiner harten und freudlosen Jugend ihn selbst erzählen: „Ich bin meiner zartesten Kindheit von Vater und Mutter verwaiset worden und habe manches erfahren müssen, wie elend es um solche Kinder aussieht. Niemand will sich ihrer annehmen. Und wenn auch jemand sich eines solchen Kindes annimmt und ihm Brot gibt, so sieht man dann, wie man es mit leiblicher Arbeit wieder abmurkeln kann, welches den Kindern zwar leiblicherweise gut ist, damit sie ihr Brot verdienen lernen. Aber zur Schule sie anzuhalten, damit sie zugleich nach Leib und Seele versorgt werden, das geschieht selten. Dies habe ich erfahren müssen, … nach meinem Seelenheil fragte niemand. Bis ich endlich meine Jünglingsjahre erreichte, da der Herr durch den seligen Herrn Mäderjan zu Thommendorf … sein Wort mit großem Nachdruck verkündigen ließ. Da ließ der Herr an meiner Seele sein Wort kräftig werden.“ Gleichzeitig kam ihm zum Bewußtsein, wieviel ihm dadurch fehlte, daß er keine Schule besucht hatte. So setzte er sich als 24jähriger Maurregeselle noch den A B C-Schützen auf die Schulbank zu Thommendorf und lernte Lesen und Schreiben. Einen für sein ganzes Leben unauslöschlichen Eindruck machte damals auf ihn die erste Schreibvorlage: Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubet. Ueberhaupt ist ihm nach seinem Zeugnis der Unterricht ein ebenso großer Vorteil für seine Seele gewesen wie für seinen Beruf.
„Nach dieser Zeit,“ so schreibt er, „habe ich mit armen verwaisten Kindern immer großes Mitleiden gehabt, und wo ich Gelegenheit fand, suchte ich ihnen unter die Arme zu greifen. Ich möchte davon nicht gern viel sagen, sondern zu denen gehören, die vergessen, was sie Gutes getan haben.“ Inzwischen ist Zahn zu mäßigem Wohlstande gelangt, und wie so manche andere jener Zeit treibt ihn die Liebe zu seinem himmlischen und zu seinem irdischen König, durch den Schlesien von dem römischen Druck befreit worden war und auch wirtschaftlich aufzublühen begann, etwas Besonderes zum Wohle seiner Mitmenschen zu tun. Welch guten Ansehens er sich als tüchtiger Meister und Bürger zu Bunzlau erfreute, mag folgendes dartun. Die „Obervorstädter“ hatten kein Quellwasser. So arbeitete auf ihr Ansuchen Meister Zahn einen Plan zu einer „Wasserkunst“. „Zwei Stiefel nebst Kegeln, vier Ventile und die zugehörigen Züge“ beförderten das Wasser nach der Obervorstadt. Zahn empfahl auch für diese Anlage den Bau eines soliden Häuschens, auch mit Rücksicht darauf, „daß diese Baulichkeit ein gutes Aussehen haben möge“.
Im Jahre 1744 fällt Zahn die Schrift von Aug. Hermann Francke in die Hände: „Segensvole Fußstapfen des noch lebenden und waltenden liebrichen und getreuen Gottes,“ d. h. die Nachrichten von dem Waisenhause zu Glaucha vor Halle. „Mit ungemeinem Vergnügen“ liest er diese Mitteilungen und es entsteht der sehnliche Wunsch in ihm: „Wie? wenn jetzt bei der großen Freiheit, welche Gott … dem Lande Schlesien verliehen, eine solche Anstalt hier in Bunzlau erwachsen könnte? Wie? wenn mans auf Gott wagte, etwas anzufangen?“ Dieser Wunsch verwandelt sich in einen unauslöschlichen Trieb. Im November desselben Jahres nimmt er für den Unterricht seiner Kinder einen Lehrer ins Haus. Und mit jenen Gedanken beschäftigt, gestattet er verschiedenen Nachbarn, ihm ihre Kinder zu schicken und gibt diesen Gelegenheit unentgeltlich am Unterricht teilzunehmen.
Zahn sann weiter über die Sache nach, wußte jedoch die Gründung eines Waisenhauses nicht recht anzufangen und wollte auch niemand einweihen in seine Pläne; immerhin sah er in dieser Hausschule den ersten Keim für ein Haus, das armen Kindern eine Herberge werden sollte. Bis zu 24 Kinder haben zu gewissen Zeiten die Schule besucht. In jenem Sinne baute er im folgenden Jahre und später sein Haus zweckmäßiger aus, so daß es im Jahre 1750 massiv, mit Ziegeln gedeckt, mit reichlichem Raum und einem als Saal gedachten großen Zimmer bestand.
So glaubte er, den Grund zu einem Waisenhause gelegt zu haben. Aber Mißgunst und eitle Nachrede blieben nicht aus. Viele sahen in der Ausgestaltung dieser Hausschule Eigennutz, Eitelkeit und Ehrsucht. Der Magistrat schäftigte sich schließlich mit der Sache, und es kam dahin, daß der Bürgermeister ihm 1752 die Unterweisung fremder Kinder untersagte. Es fehlte ihm eben die behördliche Genehmigung. Zahn reiste nach Breslau und glaubte eine Zurücknahme des Verbots erlangen zu können. Allein er täuschte sich. Ja, es traf ihn, der in dieser Hoffnung die Schule nicht alsbald geschlossen hatte, eine harte Strafe, indem er „wegen Auflehnung wider die Obrigkeit“ acht Tage im Gefängnis verbringen muußte; sein Lehrer kam zwei Tage ins Stockhaus.
Ohne Erbitterung und mit großer Geduld ertrug der treue Mann diese tiefe Demütigung. Seine Sache aber gab er nicht auf, sondern, gestärkt in Gott, mit noch größerer Entschiedenheit und nun erst recht, verfolgte er trotz des anscheinenden Mißerfolges seine Pläne; denn es war ihm völlig unerträglich, sein fast fertiggestelltes Haus leer stehen zu lassen, die Schule verloren und all seine Wünsche vereitelt zu sehen. Jetzt war es an der Zeit, andere ins Vertrauen zu ziehen. Als einer der ersten kam für ihn sein Beichtvater Woltersdorf in Betracht. Dieser hatte wohl auch von den Gedanken des Maurermeisters gehört, hatte sie aber nicht ernst genommen. Nun Zahn ihm selbst frei heraus sein Vorhaben entdeckte, „so schlug ich es “, berichtete er später, „in Liebe zurück und bat ihn, stille zu sein, da Gott, wo er dergleichen in seinem Rat beschlossen habe, selbst einen Wink dazu geben, auch Mittel und Wege verschaffen würde.“
Woltersdorf läßt uns nicht im Unklaren über die Gründe, die zu seinen – später mehrfach wiederholten – Ablehnungen leiteten. Erstlich fürchtete er, der gute Mann wolle anderer Werk „aus bloß menschlicher Hitze und aus gutem Eigenwillen blindlings nachahmen,“ ohne die Sache recht vor Gott zu überlegen. Dann: obwohl er Zahn als „rechtschaffenen Christen“ (d. h. als einen gläubigen Mann) kennen gelernt hatte, unlautere Absichten auch nicht vermute, so sei er doch kein Herzenskündiger und vielleicht seien Nebenabsichten vorhanden, die er zunächst nicht erkenne. Sein vornehmliches Bedenken aber war: da er mithelfen solle an der Arbeit, so müsse er solange davon Abstand nehmen, bis er klar in der Sache sähe. „Ist das Werk aus Gott, so wird es ohne meine Hilfe gegründet werden, und wird man desto deutlicher erkennen, daß Gott es allein getan.“ „Sobald ich hingegen,“ schreibt er rückblickend von seinen damaligen Zweifeln, „von der Sache näher überzeugt bin, soll er durch Gottes Gnade sehen, daß es meine größte Freude sein wird, mit Händen und Füßen zu helfen.“ Die Gegengründe anderer: „der Waisenhäuser-Periodus sei vorbei, und der Segen, den solche Anstalten geschaffet, habe nun ein Ende,“ konnte Woltersdorf nicht gelten lassen; dagegen setzte er mit Recht: Wo steht das geschrieben? Mehr bekümmerten ihn, w er in manche dergleichen Anstalten hineingeblickt, die Menge der Sorgen, die Aufsicht und dergleichen mehr. Auch sah er bei sich gar keine Geschicklichkeit zu diesen Dingen, fühlte sich auch nicht dazu berufen, „da er auf allen Seiten alle Hände voll zu tun“ hatte und nicht Schuld auf sich laden wollte durch Vernachlässigung seines Amtes. Auch körperlich könne er sich nicht mehr aufbürden, da er ohnehin überanstrengt wäre – so klingt es durch in seinen Briefen. Und ich gestehe, schließt Woltersdorf diese Darlegungen, „daß mir diese Ueberlegungen unüberwindlich geblieben wären, wenn ich nicht endlich die Antwort gelesen hätte: „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubet.“
Doch noch war es nicht so weit. Zahn reiste jetzt nach Breslau, entdeckte sich dem trefflichen Oberkonsistorialrat Burg und erfuhr hier, daß er nun die Genehmigung für eine öffentliche Anstalt beim Könige in Berlin nachsuchen müsse.
Nun sprach er gegen Woltersdorf seinen Willen aus, mit nächster Martini-Messe nach Berlin zu fahren; von seinen Gedanken könne er unmöglich ablassen, denn sobald er dies wolle, habe er im Gewissen keine Ruhe. Würde der König ihm jedoch die nachzusuchende Erlaubnis abschlagen, dann werde er endlich ruhig sein können, dann habe er getan, was er konnte und es sei dann eben Gottes Wille nicht. Woltersdorf ward bange und machte Einwendungen – „denn was ist leichter, als Einwendungen machen?“ warf er sich hernach selbst vor. Aber doch blitzte der Gedanke auf in ihm, ob nicht „des Herrn Hand darunter ist?“ „Es ist doch wohl nicht von ungefähr, daß ein Mann so viele Jahre her einer solchen Sache, die ihm schon auf so mancherlei Weise verbittert worden, durchaus nicht müde wird. Und wie kommt es, daß wir ihm mit Gewalt entgegenwandeln, da er Gutes tun will? Wir wünschen ja sonst dergleichen Leute, deren so wenige angetroffen werden.“ Ja, mußte er sich sagen, schwerlich würde man einem Manne, der ein Gebäude für eitle und sündliche Lustbarkeiten errichten wolle, soviel Mißbilligung und Hinderung erfahren lassen, als hier bei einer offensichtlichen und nützlichen Sache geschehe.
Nun gab sich Woltersdorf recht ans Beten über all diesen Fragen. Indessen, noch vierzehn Tage später mußte der biedere Meister, der an seinem Prediger schier irre wurde, mit errötetem Gesicht ihn fragen, ob er auch unter denen sein wolle, welche die gute Sache verhinderten? – Tags darauf versprach ein Freund unserm Woltersdorf 20 Gulden zu stiften, falls das Werk zustande komme. Naturgemäß löste solch unaufgefordertes, tatenfreudiges Angebot bei dem Vorsichtigen neue Verwunderung aus. Und indem er über Zahn und sein Vorhaben nachdachte, mußte er sich sagen: „Hat er den Glauben, daß Gott die Sache … fördern wird: Wer hat mich dazu gesetzet, vollends, da ich ein Prediger des Glaubens bin, ihm diesen Glauben umzustoßen? Es war auch alle dergleichen Vorstellung vergeblich, da er sich im Vertrauen auf den lebendigen Gott über alle Schwierigkeiten hinwegschwang.“
Zahn „war über alles weg“, so schreibt Woltersdorf, der nun seinerseits sich mit Breslau in Verbindung setzte, „und ich mußte die Hand auf den Mund legen, besonders wenn er auf den Glauben zu reden kam. Er bezeigte mir, daß er wegen der Sache keine Ruhe mehr habe; er rede Tag und Nacht darüber mit Gott und es sei wie ein Brand in seinen Gebeinen, wenn er sich von seinem Vorsatz zurückziehen wolle.
Mit einer Empfehlung an Woltersdorfs Vater (allerdings es waren kleingläubige Bedenken als Empfehlungen, die er diesem mitteilte) reiste Meister Zahn, in seinem Vertrauen nur noch fester geworden, am 7. Novembre 1753 nach Berlin.
Wir müssen es uns versagen, ausführlicher auf die Ueberlegungen und inneren Bewegungen einzugehen, die Woltersdorf anstellt, währenddessen Zahn in Berlin weilte; sie machten ihn jedenfalls der Gründung des Waisenhauses immer mehr geneigt. Schließlich ward sein Herz dermaßen mutig, daß er selbst im Falle der Not an Stelle Zahn die Sache verfochten hätte. Er fand Muße, sich mit der Gründungsgeschichte und dem Fortgang z. T. längst bestehender Anstalten zu beschäftigen: so mit der Halleschen – Prof. Francke hatte mit einem ehrlichen Kapital von 7 Gulden (4 Taler und 16 Groschen waren es) Mut bekommen, die Armenschule anzulegen („Mein Gott, was für Glaube ist im seligen Francke gewesen!“) –; der gottselige Schneider Steinbart in Züllichau hat zu teurer Zeit daselbst das Waisenhaus begonnen, und in Langendorf bei Weißenfels war der Bauer und Fuhrmann Christian Buch durch wunderbare göttliche Führung auch zur Gründung eines solchen Werks gekommen u. dgl. m. „Ich erstaunte und freute mich, fing aufs neue an zu glauben und lobte Gott … Würden alle dergleichen Nachrichten fleißiger gelesen, so würden wir die schwere Sünde nicht so häufig begehen, die der 78. Psalm so oft strafet: Sie vergaßen seiner Taten und seiner Wunder, daß sie nicht glauben an Gott und hofften nicht auf seine Hilfe, Vers 11 und 22.“ Und nun ward er auf einmal gewahr, wie das volkreiche Schlesien und Bunzlau für ein solches Liebeswerk so geeignet sei.
Inzwischen betete und handelte Zahn in Berlin. Uebrigens machte ihm der Vater Woltersdorf mehr Mut als der Sohn.
Die Türen öffneten sich dem unverdrossenen Meister zu dem innig frommen Oberkonsistorialrat Hecker und de Etat- und Kriegsminister Freiherrn von Danckelmann. Sie nahmen seinen Vortrag „sehr gnädig und mit Vergnügen“ auf und verfaßten ihm ein Schreiben an den König, das diesem am 15. überreicht wurde. Darnach stellt Zahn sein Haus für Waisenzwecke zur Verfügung, will auf eigene Kosten einen Lehrer und zwei Waisenkinder unterhalten und im übrigen nur die Ehre Gottes und das Beste seines armen Nächsten suchend, im bloßen Vertrauen auf Gott die Arbeit beginnen.
Frohen Mutes, zum Teil zu Fuß, kehrt Zahn anfangs Dezember nach Bunzlau zurück. Er und seine Frau werden nun auf königliches Geheiß vor das Magistrats-Kollegium geladen und aufs sorgfältigste nach ihrn Beweggründen und Versprechungen befragt. Auch hier verfehlt das mutvolle Benehmen des einfachen Mannes nicht seines Eindrucks. Der Bericht fällt außerordentlich günstig aus; man ist bereit „zu diesem heilsamen Werk alle hülfliche Hand zu leisten,“ ja, „ das gantze Magistrats-Kollegium“ erhebt sich und wünscht ihm zu seinem Vorhaben Glück und Segen. Das war am 12. Dezember 1753. Woltersdorf aber setzt seiner Mitteilung (Wir entnehmen diese Ausführungen seiner am 23. Juli 1754 herausgegebenen „Ersten Nachricht“ über die Waisen- und Schulanstalt zu Bunzlau) über diese vom Herrn gefügte Wendung hinzu: Es ging hierbei viel Wichtiges vor, welches nicht alles zu erzählen, sondren darüber zu denken ist: Man lobt Dich in der Stille, Du hocherhabener Zions-Gott!
Bald schon kam von Breslau her die vorläufige Erlaubnis zum Beginn der Arbeit „auf probe“.
Zahn wartet indes auf die zwei Kinder.
In der unruhigen Spannung dessen, was nun kommen werde, tröstet er sich mit dem Wort, das ihm in Berlin ein Prediger zugerufen hatte, Hab. 3, 18. 19: Ich will mich freuen des Herrn und fröhlich sein in Gott, meinem Heil. Denn der Herr, Herr ist meine Kraft und wird meine Füße machen wie Hirchfüße und wird mich auf meine Höhen führen, daß ich singe auf meinem Saitenspiel.“ (Alte luth. Uebers.) Und auf die Reden seiner Widersacher tröste er sich mit dem Verse aus Bogatzkys Schatzkästlein:
Wenn man das Beste will und niemand will es fassen,
tu, was noch besser ist, sei ruhig und gelassen.
Und siehe da! auch die Kinder hatte der Herr schon vorgesehen. Etliche Tage nachher, es war am 23. Januar 1754m meldete sich bei Woltersdorfs Gattin die Frau eines Husaren. Sie hat ein Häuflein Kinder und weiß nicht, sie recht durchzubringen: sie bittet die Pastorenfrau, ob sie nicht eins oder zwei der Kinder zu sich nehmen wolle. (Von dem neu zu gründendenWaisenhause wußte sie nichts.) – Inzwischen ward mit Zahn geredet und als nach etwa 14 Tagen die Frau wiederkam, konnte Woltersdorf ihr sagen, sie könne die beiden Knaben bringen. Am 18. März wurden zur großen Freude der Eltern die Knaben aufgenommen: Johann Gottlieb Wehr, 11 Jahre, sein Bruder Christian 7 Jahre alt. Bald folgten zwei weitere Knaben. am 14. März war mit dem „ungelehrten“ Präzeptor Kaspar Jüttner als erstem Lehrer (24 Thaler Salarium bekam er jährlich laut Buquoi; dazu natürlich freie Verpflegung.) die Schule begonnen werden. Einige Wochen später, datiert vom 23. April, kam auch die Königliche Einwilligung und unterm 20. Juni wurden die beiden Prediger, die bereits die Stadtschule zu beaufsichtigen hatten, zu Inspektoren des neuen Waisenhauses berufen. Järschky muß sich im Ganzen von dem Werk selbst zurückgehalten haben: jedenfalls tritt als Fürsprecher und Vertreter der Anstalt nach außen hin und in allen Schriftstücken Woltersdorf allein auf. Zahn war seit dem 10 Januar schon als Waisenvater der Waisen- und Schul-Anstalt bestellt.
Kurz ein Wort über die damalige Art dieser Anstalten. Es muß gesagt werden, daß es mehr Rettungshäuser und Armenschulen, als Waisenhäuser waren: Häuser zur Unterbringung von Bettelknaben, zum Besten verlassener, verwaister und halbverwaister Kinder und – zur Erleichterung saumseliger Eltern und Pfleger. Auch in den Franckeschen Stiftungen waren die Vollwaisen in der Minderheit. Wir sahen schon, daß auch die Eltern der beiden ersten in Bunzlau aufgenommenen Knaben noch lebten; der dritte war eine Vollwaise. Diese Anstalten waren vornehmlich auch als Schulen überaus segensreich. Schulzwang war noch nicht vorhanden, der Schuldienst noch nicht so planmäßig gehandelt wie heute. – Waisenhäuser und ähnliche Anstalten waren, wo sie, wie in wenigen bedeutenden und reichen Städten, nicht Gemeindesache waren, Gründungen und Stiftungen begüterter Herrschaften; auch hier hatte der Pietismus die Liebestätigkeit auf neue erweckt. Bei den Gründungen eines Francke, Steinbart und auch eines Zahn lag „das Neue“, um Worte G. Uhlhorns (Die christliche Liebestätigkeit) zu gebrauchen, „darin, daß ein einzelner Mann, ein vermögensloser Mann, es im Vertrauen auf die göttliche Hilfe unternimmt, eine solche Anstalt in großem Stil zu gründen, ohne daß ein fixum und ein gewisser Fundus da ist, und daß diese Anstalt von einem Kreise Gleichgesinnter aus freien Liebesgaben unterhalten wird.“ Kein Wunder, daß je und je solche Glaubens- und Liebesarbeiten, besonders da sie den Anspruch eines göttlichen Werks erhoben, viel Feindschaft seitens der Welt, auch gar sonst christlich gesinnter Leute zu ertragen hatte.
Auch das Bunzlauer Waisenhaus mußte durch böse und gute Gerüchte immer wieder hindurch und mit ihm seine Gründer – jetzt müssen wir Woltersdorf mit nennen (Wolf schreibt in seinem Ehrengedächtnis: „So spottete man deiner redlichen Absicht und eines dazu untüchtigen Zahns.“ Letzterer aber bekannte seinem Seelsorger gegenüber in der Werdezeit: „Wenn der Herr durch mich untüchtigen Menschen etwas ausrichtet, so wird jedermann sagen müssen: Das hat Gott getan.“). Denn nach dem guten Ausgang in Berlin bekannte er sich rückhaltlos zu dem Werke und ward alsbald dessen unentwegter Anwalt. Er geht denn auch gegen „das schändliche Laster des Unglaubens“ kräftig zu Felde. „Der Unglaube wird mit allerlei tugendlichen Namen belegt. Er ist sehr weise, Vorsichtig, demütig und will Gott nicht versuchen, Jes. 7. 12 …“ Der Glaube dagegen müsse es sich gefallen lassen, mit dem Lasterkleide sträflichen Vorwitzes, des Hochmuts, unerlaubter Verwegenheit und mutwilliger Versuchung Gotte bedecket zu werden. „Wie selten ist doch der Glaube mitten unter uns Gläubigen1“ ruft er aus. Und wie erinnert er an Gottes köstliche Zusagen für den Glaubenden: Matth. 17, 20; Mark. 11, 24; Psalm 37, 4; Psalm 143, 19; Psalm 1, 3: „Und alles, was der Gerechte macht, das gerät wohl.“ Aber diesen Glauben hatte auch Woltersdorf erst lernen müssen. Nun er ihn gepackt hatte, folgte er dem sieghaften Triebe, rüstete sich „aber zugleich mit göttlicher Geduld und siegender Hoffnung, durch alle Proben auszuhalten und einmal das Ende des Glaubens davonzutragen. Denn:
Naturkraft fängt wohl vieles an,
allein sie läßt uns stecken.
Wer nicht beständig glauben kann,
der muß die Waffen strecken.
Wer Gottes Kraft nicht immer hat,
der wird gewiß noch endlich matt.“
Wie wunderbar hat der Herr den Glauben dieser beiden Männer gekrönt! Und wie ihr Herz erfüllt war von Dank ob des Herrn freundlicher Führung schon im Anfang, bezeugt des Waisenhauses Siegel, Psalm 103, 2: Lobe den Herrn meine Seele, und vergiß nicht, was Er dir Gutes getan hat.
Glaube wie ein Senfkorn: mehr begehrte Woltersdorf nicht. Senfkornartig wie das Reich Gottes selbst und alles, was in ihm dauerndes Wachstum gewinnen soll, ist der Beginn des Waisenhauses gewesen. „Es ist die Art des Schöpfers, daß Er aus nichts etwas und alles mache. Der Glaube siehet seine Lust daran.“ Grundsätzlich „werden wir niemanden,“ schreibt Woltersdorf, „um einen Beitrag ansprechen, ob wir gleich damit nicht Unrecht tun würden, 1. Tim. 6, 17 – 19 (noch viel weniger aber wir Jemanden für die Werke eigener Gerechtigkeit den Himmel versprechen, Gal. 2, 16), sondern wie der Anfang der zugeflossenen Wohltaten ganz freiwillig geschah, so wollen wirs auch zukünftig bloß der Herzen lenkenden Kraft Gottes überlassen.“ Und in der Vorrede zur zweiten Nachricht über das Waisenhaus (18. Oktober 1755) bitte Woltersdorf herzlich, daß, wenn jemand bei Erhalt dieser Zuschrift denken sollte, man wolle ihm damit etwas abfordern, er doch ja nichts geben möge. – Wie hat jedoch der Herr die Herzen nah und fern bewegt!
Von Nord, Süd, Ost und West,
selbst drüben her vom Meere
bringt tausendfache Lieb ihr Opfer dar.
Was so die äußre Versorgung betraf, so hatte Zahn schon vor dem Bunzlauer Magistrat erklärt, daß er sie der Vorsehung lediglich überlasse und daher keinen anderen Fonds angeben könne „als das Vertrauen auf den lebendigen Gott, der Himmel und Erde gemacht habe, der allem Fleisch Speise gibt, der dem Vieh kein Futter gibt, den jungen Raben, die ihn anrufen.“ Und dieser Fonds göttlicher Vorsehung und Barmherzigkeit, auf den die Anstalt von vornherein ausgesprochenermaßen und mit Bewußtsein gestellt war, hat nicht im Stiche gelassen.
Den beiden von Woltersdorf herausgegebenen ziemlich umfänglichen Nachrichten über die Anstalt ist jedesmal ein „Verzeichnis der eingelaufenen Wohltaten und Auszug des damit verbundenen Briefwechsels“ mitgegeben. Die Namen der Geber werden nicht genannt, viele sind auch nicht bekannt, und dieses wie auch die Zuschriften zeugen von dem Geiste, der die Wohltäter getrieben hat, daß die linke Hand nicht wisse, was die rechte tut. Etliches aus diesem Begleitschreiben mag im Anhang eine Stelle finden als Denkmal des Glaubens, der in der Liebe sich auswirken muß und bei jedem Dienst der Liebe allen darau erwachsenden Segen demütig und allein der Gnade Gottes zuschreibt. Auch einige Gaben führen wir auf, um zu zeigen, wie sich das Werk aufbaute auf stattliche Zuwendungen, sondern ebenso auch auf de Scherflein der Kleinen und Geringen. Aus einem Schreiben des A. St., ohne zweifel Abt Steinmetz im Kloster Bergen, sei hier eine Stelle hergesetzt: „Die letzhin überschickten Nachrichten von dem Waisenhause … habe allhier ausgestreuet, ob etwa der Herr das eine oder andere Herz zum Wohltun gegen dasselbe reizen wollte. Mein Wunsch ist, daß es arm und geschmähet bleibe, nachdem die Erfahrung an so vielen Orten gelehrt, daß die besten Anstalten ihre Frucht verlieren, wenn sie aus der seligen Kreuzesgestalt in ansehnliche Umstände versetzt wurden.“
Schon ehe eine erste öffentliche Mitteilung über das Waisenhaus erschien, waren in Bar eingekommen: 45 Reichstaler, 26 Silbergroschen, 1 Denar. „Gewiß ein schönes Kapitalt zum Anfang und mit so vielen herzlichen Segenswünschen. Gelobt sei der Herr, der da rufet dem, das nicht ist, daß es sei! Röm. 4, 17.“ In den folgenden 14 Monaten wurden dem Werke an barem Gelde allein ohne die andern Gaben „zugeworfen“: 1020 Reichstaler, 10 Silbergroschen, 4 Denar. „Ich meine,“ sagt Woltersdorf, „ es sei genug in solcher Zeit, so daß wir Ursach haben, niederzufallen und anzubeten …“ Und indem er aufs allerdemütigste und herzlichste allen den Freunden dankt und ihnen von Gott her ein voll gedrückt, gerüttelt und überflüssig Maß lebendiger Erkenntnis Jesu Christi, von glaube und Freude wünscht, so erbittet er für das Haus: „Uns aber wolle Er treu machen, daß wir alle Wohltaten (deren einige gewiß von solchen Händen kommen, die sichs aus dem Munde genommen und in brünstiger Liebe hergegeben haben) als vor seinen Augen anwenden.“
Wie gestaltete sich nun der Fortgang dieser Arbeit? –
Am 7. September 1754 durfte der Waisenvater dem Könige in seinem Lager zu Glogau eigenhändig unter nochmaligem Dank für die erteilte Berechtigung die im gewidmete „Erste Nachricht“ des Hauses als Druckschrift überreichen und konnte ihm mitteilen, daß die Zahl der Waisen sich auf 12 belaufe, daß ein anstoßendes Haus mit Garten für 480 Reichstaler erworben worden sei und die Berufung eines theologischen Kandidaten bevorstehe.
Es war nicht leicht, einen Kandidaten zu finden, er gewillt war, sich in die besonderen Auflagen, die mit dem Eintritt in ein solches Haus verbunden sind, zu schicken. Doch der Herr sorgte und führte der kleinen Anstalt nach inständigem Flehen in George Friedrich Hänisch (Er war am 13. September 1724 zu Rostock geboren. Am 4. Dezember 1754 trat er ein) einen zweiten Lehrer zu. In Hänisch hatte man den Mann gefunden, der sich in die Art und Absicht des Waisenhauses recht einlebte. Es lag Woltersdorf ernstlich an, den armen Kindern geistlich-leiblich aufzuhelfen, dann aber auch, das Schulwesen auf eine vorbildliche Höhe zu bringen. Welche hohe Meinung er in diesem Stück vertrat, mögen die Verse anzeigen, die er uf das Titelblatt der Ersten Nachricht setzte:
Schulen sind des Landes Herz,
daran Geist und Leben hänget;
Schulen sind ein Heiligtum,
da mans hohe Lied anfänget.
Schulen sind der Grund,
auf welchem aller Länder Heil besteht;
Schulen sind ja Gottes Tempel
und des Himmels Pflanzgebet.
In Schlesien lag das Schulwesen infolge der ehemaligen Bedrückung der Evangelischen noch immer darnieder. Längst bestand in der Bevölkerung der Wunsch – besonders bei denen, „auf welche noch ein guter Same von Schwenckfelds Zeit fortgeerbt war (Buquoi)“ –, das eine durchgreifende Verbesserung platzgreifen möge. Das stimmte mit dem Begehr des jungen Predigers überein; und nun hatten er den Mann zur Ausführung. Auch für die Landschulen wollte er tüchtige Lehrer heranbilden; zur Hebung des Choralgesanges legte er daher auch auf den Unterricht in der Musik großen Wert; ebenso wurde Instrumentalmusik getrieben.
Durch königliche Verfügung vom 3. Februar 1755 wurde die Anstalt von allen Lasten etwaiger Einquartierung befreit und bald darnach wurden ihr auch Gebäudesteuern, Zölle und anderer Schoß erlassen.
Der Ruf des jungen Glaubenswerkes und seiner Leiter hatte sich inzwischen durch die Bemühung naher und ferner Freunde durch die Gaue deutschen Landes, die Reichsstädte, aber auch nach Polen, Dänemark, sogar nach England verpflanzt. So mehrten sich sich die Liebesgaben, aber mit ihnen auch die Bitten um Aufnahme ganz armer und verlassener Kinder, deren Eltern nur ein Geringes für die Erziehung ihrer Kinder aufzuwenden vermochten. Zahn hatte bei jedem solchen Antrage große Freudigkeit; er wollte alles aufnehmen, sodaß Woltersdorf ihn schon vor Uebereilung warnte. Aber er sah die sich Meldenden als ihm von Gott zugeschickt an. Man tadelte ihn deshalb wohl und wie hin auf die Bedrängnis, in die das Haus je und dann kam. doch in Betreff der Brotsorgen war Woltersdorf, wenn er sie für die geringsten ansieht, mit ihm einer Meinung. So schreibt jener: „Es kommt mir all zu absurd und unerträglich vor, dem allmächtigen Schöpfer und dem, der seines Bluts und Lebens für uns nicht geschonet hat, nicht einmal zuzutrauen, daß Er den Magen füllen, den Erdenkloß bekleiden oder ein Haus bauen könnte. Wenn ich im Glauben bei mir selbst bin, wie kann ich anders denken? Soll es eine Verführung heißen, so muß ich bekennen, die Worte meines Herrn haben mich dazu verführt.“ So wuchs denn auch, dieses Vertrauen zu stärken, der äußere Segen, mit der weiteren Aufnahme von Kindern.
Wie im Halleschen Waisenhause, so bildeten sich von vornherein drei Arten von Zöglingen: Waisenknaben; Alumnen oder Freischüler; Kostgänger oder Pensionäre. Für letztere waren keine bestimmten Preise festgelegt; 12 – 30 Taler wurden bezahlt. Bis zum Herbst 1755 stieg die Zahl der Zöglinge auf 29, darunter 22 Waisen; dazu wurde die Schule von Bunzlauer Kindern besucht, wie auch von 12 Knaben aus Nachbardörfern. dieses war dem Magistrat anfangs kaum angenehm. So wollte er sich auch ein Aufsichtsrecht über die Waisenhausschule anmaßen. Beide Inspektoren gingen aber in einer Eingabe nach Breslau vom 17. August 1754 dagegen vor: Zahn werde sonst Mut und Freudigkeit genommen; die Anstalt unterstehe auch direkt dem Könige.
Mit besonderer Ehrfurcht gedenkt Woltersdorf der Aufnahme des 12. Knaben, eines verwilderten 15jährigen Judenjungen. Er kam, von seiner Mutter in Berlin vernachlässigt, in das Haus, um Christ zu werden, und Woltersdorf erlebte die Freude, daß er zum lebendigen Glauben kam.
„Der Unglaube mußte sich in seine gewöhnlichen Schlupfwinkel verkriechen,“ so hieß es bei Woltersdorf, als er am 5. April 1755 vor den Standespersonen Bunzlaus – Magistrat, Offizieren usw. – die Festrede halten konnte zur Feier der Grundsteinlegung eines Neubaus (des heutigen „alten“ Hauses) auf dem erworbenen Grundstück. Ueberaus zahlreich war die Beteiligung. Er aber predigte „Von dem Triumph des Glaubens über die Sprache des Unglaubens“ über Jes. 49, 26 – 31: Hebet Eure Augen in die Höhe und sehet! usw. Die lateinische Inschrift des Grundsteins lautet in deutscher Uebersetzung: Unter göttlichen Walten, als Friedrich II: König von Preußen und oberster Herzog von Schlesien, Rostkovius und Köhler Bürgermeister dieser Stadt, Järschky und Woltersdorf Pastoren, Gottfried Zahn Waisenvater waren, wurde, während in ganz Europa Friede blühte und das Licht der reinen Lehre strahlte, der Grund zu diesem Waisenhause gelegt.
Der Bau des Hauses wurde alsbald frisch und freudig in Angriff genommen und gedieh nach Maßgabe der eingehenden Geldmittel.
Wie der Herr zur rechten Zeit das Nötige zuführte, davon gibt Woltersdorf Zeugnis unterm 8. September 1755, als ihm von drei Seiten (5 und 1 und 64 Reichstaler 15 Groschen) zusammen stark 70 Taler zugingen, mit folgenden Worten: „Wir müssen gestehen, daß uns der heutige Tag durch diese große Hilfe Gottes ganz besonders erfreuet, aufgerichtet und zum herzlichen Lobe Gottes … mächtig ermuntert hat. Denn es kam diese Wohltat eben zur Zeit der Not, da der Waisenvater wegen des Baues verschiedenen schuldig war und schn eine Rede verlauten wollte: Es heißt, daß Gott diesen Bau führe, es werde aber wohl der – – – bauen, weil man nicht bezahlt würde. Solcher mund konnte nun gottlob sogleich verstopft und beschämt werden.“
Der Waisenvater ehrte in Woltersdorf seinen schätzenswaerten Freund und Ratgeber, der ihn vor manchen Fehlgriffen bewahrte, seine Eigenheiten und seinen Heldenglauben in die rechten Schranken wies. Aber mit vereinten Glaubenskräften standen sie zusammen in dem Werk, und das auch not, sonderlich wo zu äußerem Gedränge Trübungen im Innenbetrieb hinzukamen. Ein Waisenhaus ist eine Welt im Kleinen. So fehlt es allerweise unter klein und groß und zwischen beiden nicht an Gelegenheiten zu Reibungen. Die engen räumlichen Verhältnisse, das Ineinanderweben des Haushalts Zahns mit dem Treiben so verschieden gearteter fremder Kinder und die mangelhafte Schulung des Waisenvaters bei aller guten Absicht, riefen im Verkehr mit Lehrern und Kindern Irrungen und Mißdeutungen hervor, die hin und wieder der gedeihlichen Entwickelung der Anstalt gefährlich zu werden drohten. Da gab es denn für Woltrsdorf gehörige Nüsse zu knacken. Aber in der Ueberwindung so gehäufter Schwierigkeiten lag, wie immer, so auch hier, der Weiterbestand und Forgang der Arbeit begründet. Woltersdorf sah Satans Widerstand in solchen Verwicklungen. Aber sein Mut wächst um so mehr, und er schreit ihm gleichsam zu: Hier ist Immanuel. Und niemals ist ihm die Ueberzeugung entfallen, daß das Werk von Gott sei. „Ja, ich bin göttlich versichert, daß alle die vorgekommenen und noch vorkommenden Schwierigkeiten auf allen Seiten zum Besten dienen werden. Freilich muß man göttliche Werke ganz anders ansehen, as mit menschlichen Augen.“ So gelang es ihm denn nach und nach, dem Hause feste Ordnungen zu geben; 1757 bekam die Anstalt in der Witwe des Predigers Samuel Hoefer einen eigene Hausmutter, 1759 auch einen Oekonomen. Unter Mithilfe eines seiner Freunde, des Königlichen Justizrats Freiherrn von Richthofen, wurde unterm 29. April 1757 ein Reglement mit 32 Punkten aufgestellt, in welchem die verschiedenen Verhältnisse der Anstalt, Essen, Kleidung, Zimmerreinigung, dann Erziehung, Strafen, das Verhältnis der Inspektoren, des Waisenvaters und der Lehrer zueinander genau festgelegt werden. – Das Werk aber empfiehlt Woltersdorf der Fürbitte aller Gläubigen, auf daß die Leiter ausgerüstet würden mit einem unüberwindlichen Mut im Glauben, desgleichen mit Treue, Weisheit und tiefer Demut, damit sie in Furcht und Zittern handeln lernen.
Nun sehen wir, wie recht Woltersdorf mit seinem Zögern hatte. Jetzt in der Probe mußte es sich zeigen, ob nur eine schnelle verlohende Begeisterung ihn und den lieben Zahn zu dem Werk geführt hatte, oder ob die innere Kraft vorhanden war, derartiger Gespanntheiten Herr zu werden. Und in der Tat bewährte sich die Arbeit durch solche Prüfungen hindurch. Mit Bezug auf Woltersdorf sagte Buquoi, der später (1804) selbst Direktor der Anstalt wurde: „Er sah mit seinem ihm eigenen Scharfblick nicht bloß das allgemein Nützliche, sondern er drang tiefer ein. Ihm war in der Disziplin, in der Haushaltung und in dem ganzen Zusammenhang der einzelnen Teile nichts eine Kleinigkeit; ihm entging so leicht nichts.“ Mit liebevoller Klugheit wußte er Mißverständnisse zu begegnen und sie in Ordnung zu bringen.
Wie bitterernst es ihm war, wie sein Herz brannte vor Begierde, das Waisenhaus ganz der Ehre Gottes und zum Segen der Menschen zu heiligen, und alles, was dem zuwider strebte, daraus zu verbannen, bezeugt er in der Vorrede der zweiten Nachricht. „Ich finde mich gedrungen in meinem Geiste, mit Beihilfe aller Gläubigen und im Namen Jesu Christi, einen ewigen Bann und Fluch auf alle menschliche und unlautere Absichten zu legen, die bei diesem Werk aufkommen könnten, sie möchten nun aus meinem oder anderer Personen Herzen quillen und auf Ehre, Eigennutz oder Nachteil andere Schulen gerichtet sein. Gott lasse sie nimmermehr zu Kräften kommen und behüte die Sache vor interessierten Händen auch auf alle künftige Zeiten, Amen.“ –
Im Herbst 1755 war der Neubau so weit gefördert, daß der große Saal für Erbauungsversammlungen und öffentliche Prüfungen, die über ihm gelegenen drei geräumigen Klassenzimmer aber für den Unterricht in Benutzung genommen werden konnten.
1756 brach der siebenjährige Krieg aus, und es ist wie ein Wunder Gottes, daß die Anstalt den nun über sie hereinbrechenden Nöten und Drangsalen nicht erlegen ist. Auch die Stadt Bunzlau hatte viel zu leiden. Daß aber der Glaube um so mehr wächst und erstarkt je mehr der Prüfungen kommen, das durfte die kleine Streiterschar an diesem Werke in Bunzlau erfahren.
Gleich im Herbst 1757 bei ersten feindlichen Ueberfall wurde die Scheune des Waisenhauses in Brand gesteckt, und es ging der nicht geringe und so nötige Vorrat an Getreide, Stroh, Heu und Flachs verloren neben sonstigem Schaden der endstand. Doppelt waren diese Verluste, da eine Teuerung über Schlesien kam.
Doch lassen wir über weitere Heimsuchungen Woltersdorf selbst reden. Ueber die Begebenheiten in der zweiten Hälfte des Jahres 1758 schreibt er: „Die Schicksale unseres Waisenhauses haben eine Zeitlang mit den Geschichten Hiobs viel Aehnlichkeit gehabt. Es war nicht anders, als wenn Satan sich aufgemacht hätte, diese Anstalt Tag und Nacht vor Gott zu verklagen. Außer vielen Verhinderungen und äußeren Prüfungen mußte endlich auch diejenige hitzige Krankheit, mit welcher der Krieg so viele Orte erfüllet, ins Waisenhaus kommen. Der Stifter und Waisenvater, Herr Gottfried Zahn, war der erste, der daran starb, am 22. September (Zahn ist 52 3/4 Jahre alt geworden; am 25. September fand die Beerdigung statt). Nach seinem Tode griff die Krankheit dermaßen um sich, daß keine einzige Person in der ganzen Anstalt verschont blieb. Fünf Kinder starben in kurzer Zeit; doch nur eins an der Krankheit, zwei an andern Zufällen, und zwei an der roten Ruhr, welche dazu kam und das fast das Uebel ärger machte. Das Waisenhaus war zum Lazarett geworden. Auswärts hieß es schon, die Pest sei in diesem Hause. Einige Kinder, die vorzeitig nach Hause genommen wurden, pflanzten die Krankheit auf die Ihrigen fort. Sie bekam den Namen vom Waisenhause, und wir wurden zum Scheusal und Ekel unserer Nachbarn.“
Die Schule mußte geschlossen werden und kaum war noch eine Hilfskraft da, die sich der Kranken annehmen konnte. Es war eine freudige Fügung des Herrn, daß Woltersdorf etliche Monate zuvor seinen jüngeren Bruder Christian Ludwig ins Haus genommen hatte zum Lehrer seiner Kinder sowohl, als auch zur eigenen Unterstützung. Ihnen beiden lag schier allein die ganze Sorge um das Haus auf den Schultern.
Hierzu kam eine neue Prüfung. Zum Nachfolger des heimgerufenen Waisenvaters Zahn war der seit vier Jahren in dem Anstaltsleben erfahrene und bewährte Predigtamtskandidat Hänisch erkoren worden. Er war mit besonderen Gaben ausgerüstet, ein treuer Arbeiter, ein inniger Jünger Jesu und ein Freund der Kinder. Die Königliche Bestätigung der Ernennung (datiert vom 24. Oktober) war noch nicht eingetroffen, als auch er aufs Krankenlager geworfen wurde und unvermutet und schnell am 9. November, etwa sechs Wochen nach dem Hausvater Zahn, die irdische Hülle ablegen mußte.