Ein besinnlicher Gang durch die Waisen- und Schulanstalt und ihre Geschichte

Veröffentlicht von Milan Koncz am

Erstveröffentlichung in „Der Bunzlauer Kreis an Bober und Queis“. 2. völlig neu bearbeitete Auflage 1964. Herausgegeben von der Bundesheimatgruppe Bunzlau in Siegburg

Nach der Jahrhundertwende hatte die Stadt mit ihren Häusern längst die Waisen- und Schulanstalt umschlossen; einst aber lag das „Waisenhaus vorm Bunzel“ weit außerhalb der Stadtmauer neben dem berühmten Queckbrunnen, der die Bürger mit Wasser versorgte. Damals führte ein Feldweg die kleine Anhöhe hinauf, oben stand links vom Wege das Anwesen des Getreidehändlers Otto und rechts das Haus des Maurermeisters Gottfried Zahn, das er 1733 erworben hatte. Heut gehen wir  eine breite Straße hinauf, die 1936 unten durch einen Zaun mit Tor abgeschlossen wurde.

Der Eingang zum Waisenhaus. Aus Bildsammlung Bgm. Richter.

Dahinter sehen wir links zuerst das sogenannte Gottwald’sche Haus. Gottwald war um 1850 der städtische Rohrmeister, der den Queckbrunnen betreute und im flachen Teich daneben – zuletzt war dort der Spielplatz der Eichendorffschule – die hölzernen Rohre für die Wasserleitung bereithielt. Sein Haus war eines der schönsten in Bunzlau, gefällig durch seine Rokokkoformen, die Blumengehänge zwischen den Fenstern und am Gesims. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts wurde es vom Seminar angekauft und gehörte seitdem zur Anstalt. 1945 haben es Granaten in einen Schutthaufen verwandelt. Schräg gegenüber führt eine Steintreppe mit flachen, geschwungenen Wangen ins Krankenhaus der Anstalt. Im Erdgeschoß war vorn die Bäckerei untergebracht, dahinter wohnte der Anstaltsbäcker. Die Kranken, sofern es solche gab, lagen droben im ersten Stock, betreut von einem Wärter, in den letzten Jahren von einer Schwester. Gleich rechts neben der Haustür wohnte in seinem Ruhestand der alte Hausmeister Hermann Brettschneider, der in der Anstalt geboren war und ihr sein ganzes Leben gedient hatte (gestorben am 26. 9. 1940), ein Muster von Zuverlässigkeit und Pflichttreue. Er wurde von früheren Schülern der Anstalt zuerst aufgesucht und begrüßt, wenn sie wieder einmal in ihre alte Anstalt kamen. Sein Großvater war 1826 als Hausmeister angestellt worden, sein Vater 1845. Das Krankenhaus wurde 1823/24 erbaut auf dem Platz der Stallgebäude, die zu Zahns Wirtschaft gehörten. Diese wurden nicht mehr gebraucht, weil die Anstalt damals die eigene Feld- und Viehwirtschaft aufgab und ihre Äcker verpachtete.

Wir stehen demnach auf Zahns früherem Wirtschaftshof, wenn wir am Krankenhause vorbei zum nächsten Gebäude weitergehen. Hier wurde sein Brunnen erst vor 30 Jahren zugeschüttet. Er lag vor der Tür des sogenannten Roten Hauses, wie er einst bequem vor Zahns Haustür gelegen haben mag. Hier stand also Zahns Haus. An dieser Stelle begann das große Werk, von dem 200 Jahre lang Segen ausgegangen ist. Hier nahm Zahn 1744 für die eigenen Kinder einen Lehrer an und gab damit den Bewohnern der oberen Vorstadt zu einem unentgeltlichen Unterricht auch ihren Kindern gern Gelegenheit. Dann baute er sein Haus langsam aus, bis es außer seiner Wohnung im Erdgeschoß darüber Kammern für Waisen enthielt. Hier hat er dann nach Überwindung vieler Widerstände am 18. 3. 1754 die ersten Waisen aufgenommen. Nachdem er 1758 gestorben war, beanspruchte seine Familie das Haus, aber die Anstaltsleitung kaufte es 1762 für 2100 Taler und verwendete es als Wirtschaftsgebäude, bis es 1795 wegen Baufälligkeit abgerissen werden mußte. Im gleichen Jahre trat das große, lange, massive Haus an seine Stelle, vor dem wir jetzt stehen, das immer noch „Rotes Haus“ hieß, obwohl es diese Farbe nur bis 1853 getragen hat. Wir werden es nachher betrachten.

Wenn wir weitergehen, betreten wir den Anstaltshof in der Mitte einer langen Viereckseite. Schräg links fällt uns ein Denkmal auf, „Jesus, der Kinderfreund“, von Professor Peter Breuer, Weihnachten 1902 aufgestellt, als Geschenk des Preußischen Kultusministeriums. Am Hause dahinter sehen wir neben der Tür zwei Marmortafeln. Wir lesen auf der linken: „Von dem Maurermeister Gottfried Zahn auf den alleinigen Fond der göttlichen Barmherzigkeit errichtet im Jahre 1755. Psalm 103,2“, und auf der anderen: „Zur Königlichen Anstalt erhoben von Friedrich Wilhelm III. 1803. Sprüche Sal. 16,15“. Das erklärt uns den preußischen Adler mit der goldenen Krone über der Haustür. 1902 schickte man sich also an, ein 150- und ein 100jähriges Jubiläum zu feiern. Das Denkmal stellt in Überlebensgröße dar, wie der göttliche Herr drei Kinder behütet, die sich in seinem Schutz wohlfühlen. Gewiß die rechte Erinnerung für alle, die an einer Waisen- und Schulanstalt erziehen und erzogen werden. Die Gruppe ist aus einem Block rein weißen, feinkörnigen Marmors gehauen, den der Künstler selbst in Carrara ausgewählt hat. Er hat dann den rechten Platz auf dem Anstaltsgelände gesucht und ihn vor der schmalen Mitte, zwischen den Flügeln dieses Gebäudes gefunden. Wie das Haus diese Gruppe einrahmt, so soll es auch christliche Liebe umschließen. Denn dieses Gebäude, das sogenannte „Alte Haus“, ist das Waisenhaus, das Zahn zu bauen begonnen hat, um seinen Waisen ein eigenes Heim zu bieten. Er plante ein Gebäude, nicht wie es seine geringen Mittel gerade noch zuließen, sondern im Vertrauen auf Gottes Hilfe so groß und so geräumig, wie er es für seine Waisen wünschte. Er begann nur mit dem linken Flügel. Zuerst entstand hier ein großer Andachtsraum, der keller- und Erdgeschoß einnahm, mit gewölbter Decke auf viereckigen Pfeilern. Hier predigte später Ernst Gottlieb Woltersdorf, der zweite Geistliche der Stadt, der Direktor des Waisenhauses nach Zahn, bei solchem Zulauf, daß sich die Hörer auf dem Hof vor der offenen Tür drängten. Der Bau, in den Jahren des Siebenjährigen Krieges mühsam weitergeführt, wurde 1764 vollendet. Dann enthielt er die Wohnung des Direktors, eines Lehrers, der Waisenmutter, dazu Wohn- und Schlafräume für alle Waisen, deren zwei Gruppen oder Familien später die Namen „Zahn“ und „Woltersdorf“ führten. 1841 wurde es um 1 1/2 Stockwerke erhöht und flach mit Zinkplatten gedeckt. Nach den Freiheitskriegen waren inzwischen die Andachten und die Gottesdienste in den großen Betsaal des Nachbargebäudes verlegt worden, man brauchte den Kellerraum nicht mehr dafür. Man unterteilte ihn durch eine hölzerne Zwischendecke und erhielt über Lagerkellern einen großen Schlafsaal. 1929 wurde die Decke massiv eingezogen, unten eine Heizung für alle Häuser eingebaut und darüber Wohnraum geschaffen. Schon 1925 hatte man dem Dach die alte Sattelform gegeben, dabei das ganze Haus mit einem vorkragenden Gesims aus Sandstein umzogen und so den bescheidenen Bau aus karger Kriegszeit den anderen Häusern angeglichen. 1841, mehr noch 1929 wurde der große Hof geebnet. Dabei ist leider die (vermauerte) Tür des alten Anstaltsraumes zur Hälfte in der Erde verschwunden, womit diese ehrwürdige Stätte der Erinnerung viel verloren hat. Hier an dieser Ecke steckt auch der Grundstein im Mauerwerk, der einst mit großer Feierlichkeit angelegt worden ist. 1929 hat man ihn vergebens gesucht, aber seine Inschrift ist bekannt, sie lautet in deutscher Übersetzung: „Unter göttlichem Walten, als Friedrich II. König von Preußen und oberster Herzog in Schlesien, Rostkovius und Köhler Bürgermeister dieser Stadt, Järschky und Woltersdorf Pastoren, Gottfried Zahn Waisenvater waren, während in ganz Europa Frieden blühte und das Licht der reinen Lehre strahlte, ist der Grund zu diesem Haue gelegt. 5. 4. 1755.“ Nun hütet ihn die Erde weiter, sonst hätten ihn wohl die Polen entfernt, wie sie die Tafeln und den Adler beseitigt und das Denkmal an den Eingang des neuen Friedhofes am Wehrberg versetzt haben.

Das neue Klassenhaus. Aus Bildsammlung Bgm. Richter.

Von diesem Haus führt ein Durchgang über drei Torbogen ins Nachbarhaus. Er stammt aus der napoleonischen Zeit. Damals war die Anstalt als Lazarett belegt. Im Konferenzzimmer im ersten Stock wurde operiert und verbunden. Um die Kranken leichter in die Räume des anderen Gebäudes bringen zu können, legte man behelfsmäßig diese gedeckte Brücke an, die dann vor der Jahrhundertfeier 1853 massiv ausgebaut wurde. Bis zuletzt hieß sie „Der Franzosengang“. Er beschwört sehr ernste Bilder: wie der Direktor mit seinen Waisen 1813 flüchtet, jedes mit zwei Broten, einem Töpfchen Butter und einem Säckchen Salz, wie sie, ihrer Lebensmittel beraubt, zurückkehren und alles zertrümmert, verwüstet, leer finden, wie ringsum in den Wachtfeuern Möbel, Bücher und Akten in Flammen aufgehen, wie sich dann eine typhöse Seuche verbreitet, so daß täglich zwanzig Leichen im Hof liegen,- und die flehendlichen Bitten des Direktors werden von Napoleon nicht beachtet! Ein Denkmal kriegerischer Tage ist dieser Franzosengang. Seine grauen Sandstein-quadern scheinen von einem römischen Kastell zu stammen.

Das Nachbarhaus ist mit drei Stockwerken auf hohem Sockel das größte und vornehmste im Viereck des Hofes. Schwache Pilaster gliedern leise die stattliche Front von 17 Fenstern, die Mitte wird durch gebogene Fensterstürze, vor allem durch das feine Portal in spätbarocken Formen über der Freitreppe mit durchbrochenen Wappen und Pinienzapfen hervorgehoben. Angehörige der schlesischen Adelsfamilie von Richthofen haben das Geld zu diesem Bau vorgestreckt. 1777 begonnen, wurde er 1779 zur 25-Jahrfeier eingeweiht. Damals hatte sich die Anstalt bereits einen Namen erworben. Vornehme Familien wollten ihr ihre Söhne zur Erziehung anvertrauen. So brauchte man ein Haus für die zahlenden Zöglinge, daher der Name „Pensionärshaus“ im Gegensatz zum Waisenhaus oder „Neues Haus“ – Altes Haus. Durch das Portal trat man in einen Empfangsraum mit hübscher Stuckdecke, von dem aus die steinerne Treppe in einem Ausbau in der Mitte der Hinterfront nach oben führte. In den beiden unteren Stockwerken wohnten links und rechts je eine Knabenfamilie von etwa 20 Schülern, deren Räume das Amtszimmer ihres Lehrers einschlossen. Die Familien hießen nach den damaligen Wohltätern der Anstalt, den vom Staat gesetzten Kuratoren, die selbstlos und gewissenhaft gesorgt haben, die Edelleute Callenberg, Richthofen, Tempsky, Stolberg.  Das dritte Stockwerk wurde von dem großen Saal für Andachten, Feiern, Examen eingenommen. Familienlehrer zu sein, ist kein leichtes Amt. Anfangs mußten alle Lehrer, bis auf den Direktor, unverheiratet bleiben. Als nach den Freiheitskriegen der Anstalt Pestalozzi-Schüler als Lehrer überwiesen wurden, waren 1815 Henning und Kawerau und 1820 Zehme verheiratet. Als Kawerau 1828 Direktor wurde, erwirkte er, daß alle Lehrer heiraten durften. Man hoffte, daß durch die Frauen der Lehrer die Erziehung der Schüler gewinnen würde. Um Wohnungen zu schaffen, wurden 1819/20 nach Osten zwei dreistöckige Flügel angebaut. So hatte jeder der vier Familienlehrer seine Wohnung in nächster Nähe seiner Knabenfamilie. Außerdem war noch Platz für zwei weitere Wohnungen. Jeder Flügel bekam eine hölzerne Treppe. Aus der Wohnung im Erdgeschoß des nördlichen Flügels wurden 1851 Wasch-, Dusch- und Baderäume geschaffen. Nachdem der Betsaal 1917 durch die Aula im neuen Klassenhaus ersetzt war, wurde er 1925 aufgeteilt. Es entstanden in der Mitte zwei Schlafräume und an den Ecken des Hauses zwei Lehrerwohnungen. Schließlich wurden 1934 für die bisherigen drei Aufgänge zwei geräumige, moderne Treppenhäuser zu beiden Seiten der Rückseite angefügt. Dann war dieser repräsentativste Bau der Anstalt aufs beste ausgenutzt und hergerichtet. Er sah aus wie das Schloß eines wohlhabenden Landedelmannes. Das größte Fest, das der Betsaal gesehen hat, war sicher die Erhebung zur königlichen Anstalt am 3. 8. 1803, dem Geburtstag des Königs. Wie einst der große Friedrich dem entschlossenen Willen Zahns freie Bahn gewährt hatte, so hat sein Großneffe Friedrich Wilhelm III. das Bestehen der Anstalt gesichert, indem er die Schulden auf die Staatskasse übernahm und laufende Zuschüsse zusicherte. In dankbarer Erinnerung daran stand die Büste des Königs in der mittleren Fensternische des Betsaales. Deshalb breitete auch an diesem Portal der preußische Adler seine Krone über jeden, der hier aus- und einging. Links daneben verkündete eine Tafel: „Deo et Patriae in memoriam L(iber) B(aron) Richthofianum MDCCLXXIX“. Rechts hielt eine Tafel den Dank für die gründliche Erneuerung des Hauses aus staatlichen Mitteln vor dem Jubeljahr 1954 in Erinnerung. Wie am Alten Haus besonders die Gründung der Anstalt auf Gottvertrauen bezeugt wurde, so hier am Neuen Haus vor allem die Verbindung mit dem Staat.

Das „Gymnasiastenheim“

Dem Pensionärshaus gegenüber steht das schon erwähnte „Rote Haus“, ebenso langgestreckt, aber nur Zweistöckig. Hier waren außer Wohnungen im im ersten Stock die Rendantur, die Kasse, Vorratsräume, Bücherei und Sammlungen untergebracht und vor allem ein für das Bestehen des Waisenhauses nach den Teuerungsjahren von 1772/73 in den nächsten 30 Jahren ganz besonders wichtiges Unternehmen, die Druckerei. 1767 machte der Kurator Freiherr von Grünfeld dieses hochherzige Geschenk, und damit konnte die Anstalt das in der Stiftungsurkunde verliehene Privilegium, eine Druckerei und Buchhandlung auf eigene Kosten halten zu dürfen, endlich ausnutzen. Bis dahin hatte Bunzlau keine eigene Druckerei, alles mußte in Jauer gedruckt werden. 1774 entschloß sich der Direktor Christian Ludwig Woltersdorf, der jüngere Bruder und Nachfolger von Ernst Gottlieb, zum Besten der Anstalt eine Zeitschrift herauszugeben. Diese „Bunzlauer Monathsschrift zum Nutzen und Vergnügen“ wurde eines der  ersten Unterhaltungsblätter Deutschlands, kam auf 4000 Bezieher und hat sich 34 Jahre in Blüte erhalten, bis zur Franzosenzeit. Als sie einging, verlor auch die Druckerei ihre Bedeutung für die Anstalt, sie wurde daher 1817 an die Stadt verpachtet, weil man die auch die Räume für andere Zwecke brauchte. 1816 war inzwischen ein Volksschullehrerseminar der Anstalt angeschlossen worden. Die Seminaristen hatten im Waisenhaus die Möglichkeit, die unterrichtliche und erzieherische Einwirkung geriefter Pädagogen auf Kinder zu beobachten. Aber da die Knaben erst mit neun oder zehn Jahren eintraten, fehlte der Umgang mit den ersten Schuljahren. Daher wurde im Mai 1818 eine besondere Seminarschule für arme Kinder der Obervorstadt eingerichtet. Sie gewährte freie Lernmittel und wurde daher Freischule genannt. Besondere Verdienste um sie erwarb sich in jahrelanger, treuer Arbeit Dr. Johann Heinrich Krüger, dem die Stadt 1835 das Ehrenbürgerrecht verlieh. Die Schule hat bis zur Auflösung des Seminars 1925 bestanden. Nun betrachten wir das Haus gegenüber dem Alten Hause, das zuletzt das Heim der Gymnasiasten unter den Schülern war. Wir wissen schon, daß früher hier das Haus des Getreidehändlers Otto stand. Wie froh war Zahn, als dieser katholische Mann es ihm in Verständnis für die Pläne des Nachbarn anbot! Zahn hoffte damit seine Stiftung von seinem eigenen Hause unabhängig zu machen. So kaufte er es 1754 für geliehene 600 Taler. Er begann es sofort umzubauen, aber schon im nächsten Jahre genügte es nicht, er entschloß sich zum Neubau gegenüber, und als der 1764 vollendet war, riß man das Otto’sche Haus ab. Ein halbes Jahrhundert später wollte die preußische Regierung das Schulwesen des Landes nach den Ideen Pestalozzis gestalten. Seine Gedanken für Volksbildung und Jugenderziehung, seine hingebende Liebe und selbstlose Begeisterung sollen den neuen Weg für die Bildung des neuen Geschlechts weisen. Schon 1809 waren junge Männer  nach der Schweiz geschickt worden, die während einiger Jahre in seiner Nähe in seinen Geist hineinwachsen sollten. 1815 wurde dann die Bunzlauer Anstalt dazu bestimmt, die Pflanzstätte für diesen neuen Geist zu werden durch den neuen Direktor, Karl Friedrich Hoffmann, einen Verehrer Pestalozzis, und drei Pestalozzijünger, Dreist, Henning und Kawerau, zu denen später noch zwei kamen, Dr. Küger und Zehme. Am 14. 10. 1816 wurde das Volksschullehrerseminar von Liegnitz hierher verlegt, und dann machte das eifrige Wirken dieser Männer das Bunzlauer Waisenhaus zu einer segensreichen Stätte praktischer Durchführung Pestalozzischer Ideen. Das Seminar brauchte Raum. 1823/24 – also gleichzeitig mit dem Krankenhaus – wurde auf dem freien Platz des Otto’schen Hauses das zweistöckige Klassenhaus mit sieben großen, hellen Unterrichtszimmern errichtet, mit einem Musiksaal, der auch als Zeichensaal diente, mit Bücherei und Lehrmittelzimmer, der Direktorwohnung und zwei Zimmern und einem Schlafsaal für Semiaristen. 1850 baute man im Dachgeschoß einen Physiksaal mit Sammlungsraum ein. In diesem Hause sind bis zur Auflösung des Seminars 1925 1545 Lehrer ausgebildet worden. Die Zahl gibt eine Vorstellung von der Bedeutung der Bunzlauer Anstalt für Schlesien. Dazu fühlt der aufgeschlossene Beobachter an dieser Stelle den Geist, den die jungen Lehrer von hier mitnehmen und weitertragen sollten; denn genau gegenüber dem Portal des Seminars liegt der Eingang des Alten Hauses mit dem Christusdenkmal, den Tafeln und dem staatlichen Adler. Hier lebt die Erinnerung an das Gottvertrauen, die Staatsgesinnung und die edle Humanität Pestalozzis, denen sich Gründer, Leiter und Lehrer verpflichtet fühlten.

Wohnzimmer „Tempski“

Die schmale Nordseite des Hofes zwischen dem Alten und dem Klassenhause schließ das Speisehaus ab. Sein Kellergeschoß auf der Hofseite ist von außen, von der Nordseite her, Erdgeschoß. Da zieht eine Talsenke vorüber, in der eine Wasserader vom Drüsselberg zum Queckbrunnen läuft. Als im Herbst 1837 der Grund gegraben wurde, versiegte der Queckbrunnen, es entstand ein Streit mit der Stadt, der nur durch die persönliche Vermittlung des Oberpräsidenten von Merckel beigelegt werden konnte, der gerade auf seinem Gut Thomaswaldau weilte. Tag und Nacht mußten alle Arbeiter angestrengt schaffen, dann floß die Quelle wieder, bis der Queckbrunnen 100 Jahre später endgültig versiegte, weil das städtische Wasserhebewerk den Zufluß weiter draußen anschnitt. Die unteren Räume des Hauses enthalten die Küche, die zuletzt mit allen modernen Einrichtungen einer großen Gemeinschaftsküche versehen war, und weitere Vorratsräume, die sich in die Keller des Klassenhauses hineinzogen. Das nächste Stockwerk nahm der große Speisesaal ein, der seit 1853 mit der Küche durch einen Aufzug für die Speisen verbunden war. Darüber wohnten eine Lehrerfamilie, die Küchenvorsteherin und ihr Personal. Vor der Jahrhundertfeier erhielt das Haus ferner einen kleinen Giebel im breiten Dach der Hofseite mit einer Uhr, die die Stunden schlug. Damit war ein langer Wunsch erfüllt. Bis dahin zeigte alle Augenblicke eine von den drei Glocken am Speise-, am Pensionär- und am Klassenhause einen Abschnitt im Tagesablauf an. Freilich machte die Uhr das Läuten nicht ganz überflüssig, man hörte es als Ruf zu den Mahlzeiten bis zuletzt über die ganze Stadt. Die Polen haben Giebel und Uhr entfernt.

Die gegenüberliegende Schmalseite des Hofes wurde seit 1844 durch einen massiven Bau zur Aufbewahrung von Brennmaterial abgeschlossen. Daneben blieb eine verschließbare Durchfahrt von der Schützenstraße her. Die Gebäude sind also zu recht verschiedenen Zeiten entstanden. Das sieht man ihnen an. Man vergleiche Freitreppe und Eingang am Neuen Haus und am alten Klassenhaus; sie sprechen dort von Barock und hier von Klassizismus. Die schlichten Wände des Alten Hauses lassen die karge Zeit des Siebenjährigen Krieges erkennen, das ansehnliche Pensionärshaus verrät seine adlige Herkunft, das Rote Haus zeigt wirtschaftliche Sparsamkeit, das alte Klassenhaus die ernste Würde seines Auftrages. Und doch machte der ganze Hof einen einheitlichen Eindruck. Der Zweck bestimmte die Bauform. Künstlerischer Schmuck fügt sich sparsam in die klar gegliederten Fronten; alle sind einfach, aber mit sicherem Willen geformt. Hier lebte schlichter, sachlicher, preußischer Geist, genau wie einst im Hofe des großen Potsdamer Waisenhauses. Dort wie hier traten über ein Jahrhundert lang die Waisen in militärischen Uniformen an, an Festen exerzierten sie mit Fahne und Musik. Vergangen Zeit – aber sie klingt nach in der ernsten Geschlossenheit des großen Vierecke.

Der Speisesaal

Nun gehen wir unter dem Franzosengang hindurch auf die Siegeseiche von 1871 zu, die sich zu einem mächtigen Raum mit voller Krone entwickelt hat. Seit alter Zeit lag hinter dem Alten Hause ein Hausgarten – in den ersten Jahren betreute hier jeder Schüler ein Beet – und der Wäscheplatz. Daran vorüber führte einst der Weg ins freie Feld. Zahn gehörte das Land bis etwa zum höchsten Punkt rechts, auf dem heute Bänke unter schattigen Linden zum Verweilen einladen. Anschließend hatte die Stadt am 26. 10. 1759 den Besitz der Anstalt wesentlich nach Osten hin erweitert, um deren wirtschaftliche Grundlage sichern zu helfen. Als das Waisenhaus 1823 die bäuerliche Eigenwirtschaft aufgab, legte man hier einen Spielplatz und einen Garten mit Hecken und Bäumen für die Schüler an. Der größte Teil dieser Anlagen wurde fast 100 Jahre später Baugelände für das neue Klassenhaus und Tummelplatz für die Schüler in den Pausen, nur die schönen Linden sind noch erhalten. Die große Ackerfläche, die sich weit hinaus am Schützenplatz entlangzog, gestalteten Gärtner von den königlichen Schlössern in Potsdam zu einem Garten, in dem zu beiden Seiten eines langen Mittelweges die Lehrer ihre Parzellen bebauten. Damals wurde auch der Schützenplatz mit Bäumen aus den königlichen Baumschulen bepflanzt. Zur gleichen Zeit entstand ein Turnplatz, für den die Stadt 1822 Land nördlich vom Lehrergarten geschenkt hatte.

Marmorgruppe „Jesus der Kinderfreund“

Als in der  Mitte des Jahrhunderts nach einem Besuch von Professor Maßmann aus Berlin das Turnen der Anstalt neu belebt wurde, bekam  der Platz neue Geräte und im letzten Jahrzehnt vor 1900 auch eine Turnhalle. Nach der Jahrhundertwende machten die wachsende Schülerzahl und die moderne Unterrichtsweise mehr und größere Unterrichtsräume nötig. Trotz des Krieges wurde der Bau des „Neuen Klassenhauses“ im Herbst 1914 begonnen und im März 1917 bezogen. Regierungsbaumeister Clingestein schuf einen mächtigen Hakenbau an Waisenhaus- und Schützenstaße, gegenüber der Keramischen Schule, fest und solide gebaut, in schlichten aber würdigen Formen, die an die alten Häuser anklingen. Das nördliche Erdgeschoß nahm die Freischule auf, das östliche die Mittelschule. Im ersten Stock bekamen Seminaristen und Präparanden ihre Unterrichtsräume. Darüber lagen Aula, Musiksaal, Zeichen-saal und ein Chemie/Physikzimmer mit Sammlungsräumen. An den östliche Flügel schloß sich das Wohnhaus des Direktors. Nur wenige Jahre war das Haus so belegt, weil von 1920 ab die Lehrerbildungsanstalt abgebaut wurde. Die freiwerdenden Räume bezog die seit Ostern 1923 wachsende Aufbauschule. Außerdem entstand der Plan, das Gymnasium, das seit 1921 wieder zur Anstalt gehörte, wie schon von 1886 bis 1906 , aus seinem Gebäude in der Stadt in das große Klassenhaus aufzunehmen. Dafür wendete der Staat 1929 eine halbe Million Mark auf. Der nördliche Flügel wurde um mehrere Fensterachsen verlängert, der andere Flügel aufgestockt, so daß ein zweiter Zeichensaal, ein Erdkundelehrraum mit Sammlungszimmer und für jedes der drei natur-wissenschaftlichen Fächer Physik, Chemie und Biologie Lehr-, Übungs- und je drei Sammlungszimmer entstanden, alles neuzeitlich aufs beste eingerichtet. Auch die Turnhalle wurde erweitert. Dusch- und sonstige Nebenräume wurden angebaut. Das Gelände bis zum ehemaligen Galgenhügel wurde angekauft und nun ein großer, moderner Sportplatz geschaffen mit Aschenbahn und Übungsstätten, auch Tennisplätzen. Das neue Klassenhaus entlastete die alten Gebäude wesentlich, so daß nicht nur die Schülerzahl des Alumnats erhöht, sondern auch die Belegung der Räume gelockert werden konnte.

Der Hof der Waisenanstalt. Aus Bildsammlung Bgm. Richter.

So hat sich das Waisenhaus im Laufe von fast zwei Jahrhunderten aus einem kleinen, ärmlichen Anfang zu einer der größten Schulanstalten unserer Heimat entwickelt, weil es immer bemüht mit den jeweiligen Anforderungen Schritt hielt. 1945 waren alle seine Einrichtungen auf der Höhe der Zeit.

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