Die staatliche keramische Fachschule in Bunzlau

Veröffentlicht von Milan Koncz am

Erstveröffentlichung: Der Stein der Weisen. Illustrierte Zeitschrift zur Verbreitung volkstümlichen Wissens. 3. Jahrgang. 1926

Seit alter Zeit ist die schlesische Töpferei in aller Welt berühmt. Jede Hausfrau kennt das gediegene „Bunzlauer Geschirr“ mit seiner warmen braunen Glasur, seinem unverwüstlichen hart gebrannten Scherben und seinen einfachen, unendlich gemütlichen Formen und Linien. Zu eigentlich künstlerischer Gestaltung und Ornamentik, wie sie z. B. das altdeutsche Rheinische Steinzeug aufweist, ist die Schlesische Töpferei in alter Zeit wenig vorangeschritten, ihr Hauptreiz blieb Form, Farbe und Gediegenheit.

Gleichwohl machte sich gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ein Niedergang bemerkbar, sowohl technisch wie geschmacklich. Es war weniger ein Zurückgehen als vielmehr ein Stocken, man war abseits der Kulturzentren, weder mit Wissenschaft und Technik noch mit den Entwicklungen des Kunstgewerbes mitgekommen. Zu jener Zeit nun herrschte im Preußischen Ministerium für Handel und Gewerbe das eifrigste Bestreben, durch Förderung alteingesessener Industrien kulturell und wirtschaftlich neue blühende Mittelpunkte zu schaffen, von denen Belebung und Kräftigung nach allen Seiten ausstrahlen sollten. Handwerker-, Kunstgewerbe- und Spezialfachschulen erstanden, meist unter fruchtbarem Zusammenwirken von Ministerium und Verbänden oder örtlichen Verwaltungen.  – Die Ministerialräte Dönhoff (heute Unterstaatssekretär), von Seefeld (heute Ministerialdirektor) und vor allem auch der weltbekannte Hermann Muthesius, der selbst als produktiver Künstler auf dem Gebiete moderner Landhausbauten Unvergängliches geleistet hat, sie schufen in den Zeiten zwischen 1890 und 1910 eine geniale Organisation des gesamten gewerblichen Unterrichtswesens, die aufs glücklichste Freiheit, Eigenart und lebendige Bodenständigkeit der einzelnen Anstalten zu bewahren und doch das Ganze nach großen gemeinsamen Gesichtspunkten zu leiten wußte. In diese Zeit fällt auch die Gründung der Staatlichen Keramischen Fachschule in Bunzlau, die 1897 ihrer Bestimmung übergeben wurde.

Gründung und Einrichtung wurden einem Chemiker der Berliner Porzellanmanufaktur, Dr. W. Pukall, übertragen, der dann die Schule ein Vierteljahrhundert als Direktor geleitet und ihr zu einer sehr geachteten Stellung verholfen hat. Welche Kunstfertigkeit in alter Zeit unter den schlesischen Töpfern in Uebung war, kommt durch unsere Abbildung des berühmten „großen Topfes“ zum Ausdruck, der „hundert Scheffel Erbsen mißt“. Die alte Kunst, technisch und geschmacklich auf die Höhe der Zeit zu bringen, war zunächst die Aufgabe der neu gegründeten Schule. Sie sollte einen sowohl chemisch-Technisch wie auch künstlerisch ausgebildeten Nachwuchs heranbilden, aber auch durch eigenes produktives Schaffen Vorbilder technischer wie künstlerischer Art ins Leben rufen.

Die Anstalt hat die Aufgabe prächtig gelöst. Seit den ersten Jahren dieses Jahrhunderts wurden die wunder-hübschen braunen Feinsteinzeugservice für Kaffee, Mokka und Tee, die Garnituren, Vasen und Dosen wieder allgemein bekannt im Haushalt wie im Gasthausbetrieb. Sowohl die Mischungen für Ton- und Glasur, die Farb- und Brenntechniken, wie auch die neuen gefälligen Formen sind auf die unzähligen Anregungen der Schule zurückzuführen.

Doch erwies sich in der Folgezeit dieser Aufgabenkreis bald als zu eng und dadurch als zu unfruchtbar. Heute arbeiten die Schule und ihre Lehrwerkstätten nicht mehr aus-schließlich für die Bunzlauer Töpferei, sondern für die gesamte keramische Industrie Deutschlands. Ihre Absolventen betätigen sich entweder als keramisch-Chemische oder künstlerische Kräfte, vielfach in leitender Stellung, in der ganzen Porzellan-, Steinzeug- und Steingutindustrie, ferner zum Teil auch in der Baukeramik, der Fabrikation feuerfester Waren und in der Glasur- und Farbenfabrikation. Die Wirkung der Anstalt auch in eigenen, produktiven Arbeiten, erstreckt sich weit über die Grenzen Deutschlands.

Je nach Werdegang und der Anlage der Schüler, die sich aus solchen mit elementarer, mit sechsklassiger, aber auch mit neunklassiger und akademischer Vorbildung bunt zusammenmischen, verlegt die Schule den Schwerpunkt der Ausbildung entweder in die chemisch-keramische Abteilung oder in die Abteilung für Gestaltung und Dekor.

Verlangt wird ein Jahr Praxis, die Unterrichtszeit selbst ist auf zwei Jahre festgesetzt. Der Studiengang ist individuell, modern, gewissermaßen nach dem Prinzip der Volkshochschule organisiert. Eine freie, fruchtbare Arbeitsgemeinschaft verbindet Lehrer und Lernende.

Unsere Abbildungen geben ein deutliches Bild der Gliederung der ganze Schule, aber auch des farbigen, frohen Lebens, das in ihren Räumen herrscht.

Praktische Betätigung und wahre Freude am Arbeiten sind die Grundzüge der ganzen Erziehung.

Für viele dürfte besonders die große Bedeutung der Chemie und überhaupt der Naturwissenschaften für die Keramik etwas Neues sein.

Jeder Schüler arbeitet vom ersten Tage ab praktisch im chemischen Laboratorium und wird Hand in Hand mit diesem Praktikum durch Vorträge in Chemie, Physik, Gesteins- und Bodenkunde mit den Grundlagen alles Naturgeschehens so vertraut gemacht, daß ihm die Vorgänge beim Brand der Scherben, Glasuren und Farben klar und verständlich werden.

Künstlerisch begabte junge Leute werden im Gestalten, Formen, Modellieren wie auch in der farbigen und malerischen Behandlung der Waren und Figuren ausgebildet.

Auch hier liegt der Schwerpunkt in der Praxis, und vor allem wird auf Einheit und Harmonie von Zweck, Form und Farbe das Hauptaugenmerk gerichtet.

So wie der keramische Chemiker in den künstlerischen Werkstätten sich grundlegende Anregung holen kann, so ist auch dem Maler und Modelleur Gelegenheit geboten, vom Chemisch-Technischen sich solche Grundzüge anzu-eignen, daß er seinen Arbeiten die Notwendig-keiten der Praxis zugrunde legt. 

Denn der Nicht-fachmann ahnt nicht, wie außerordentlich ver-schieden die Techniken und Möglichkeiten, also auch die Gestaltung und Farben-gebung, in den einzelnen keramischen Zweigen sich darbieten, sei es auf dem Gebiete des Porzellans und Steinguts, sei es bei der Majolika und der Ofenkachel, sei es in der Steinzeug- und der Irdengeschirrfabrikation, der Baukeramik und der Ziegelware. Darum ist die ganze Art des Unterrichts auch so vielgestaltig und schwierig, aber auch so lebendig und interessant. An der Spitze der Schule steht als Direktor ein Keramiker, der seit Jahrzehnten als wissenschaftlich und produktiv tätiger Fachmann im In- und Ausland bekannt ist, Herr Professor Dr. Eduard Berdel.

Ihm verdankt die Anstalt vor allem die moderne, individuelle Unterrichts-organisation und die frei-heitliche hochstrebende Art der Arbeits-gemeinschaft.

Als Studienräte und Professoren stehen ihm zur Seite zwei Chemiker und zwei Künstler, ferner sind noch drei Fachlehrer im praktischen Werk-stattunterricht tätig. Es interessiert vielleicht noch zu erfahren, daß eine gleiche Schule in Höhr bei Koblenz sich befindet, ferner zwei ähnliche Anstalten in Bayern: in Selb und Landshut. Allerdings ist die Organisation der letzteren beiden Anstalten etwas anders durchgeführt.

Gerade in der heutigen schweren Zeit sind solche Schulen von ganz besonderer Bedeutung.

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