Die Bunzlauer Chronik des Friedrich Holstein
Artur Schiller. Erstveröffentlichung: Bunzlauer Stadtblatt 16. 12. 1924 und 23. 12. 1924
Wenn schon die zuletzt gedruckte Chronik der Stadt Bunzlau von Dr. Wernicke (1884) die Bürgerschaft der Stadt so interessiert, daß kürzlich das Exemplar der Volksbibliothek als völlig zerlesen gemeldet werden mußte, so ist es bedauerlich, daß die nur handschriftlich vorhandene Chronik Holsteins bisher nicht gedruckt werden konnte, die als die Hauptquelle der älteren und ältesten Bunzlauer Stadtgeschichte anzusehen ist und auch für Schlesien und darüber hinaus von Bedeutung ist.
Wenn wir alte Städtebilder betrachten, so fallen uns fast stets die übermäßig hoch gezogenen Befestigungs- und Kirchtürme auf, die die damaligen Zeichner den Städten der Wahrheit zuwider verliehen, um dieselben bedeutender erscheinen zu lassen. Ebenso nehmen es die alten Geschichtsschreiber mit der Wahrheit nicht sehr genau. Sie scheuten nicht davor zurück, besonders über das Alter der Städte wie der Adelsgeschlechter Märchen zu erfinden. Der dreisteste Lügenschmied war bekanntlich in hiesiger Gegend Abraham Hosemann aus Lauban, der 1611 mit einer gefälschten Chronik von Bolkenhain begann, der er noch viele gleiche folgen ließ. Eine neuere, kritisch gesinnte Zeit hat ihn denn auch gründlich enttarnt. Holsteins Stadtgeschichte steht dazu in wohltuendem Gegensatze. Er will die Wahrheit sagen und berichtet in fesselnder und treuherziger Art und Weise. Er ist uns darum so lieb. Friedrich Holstein war am 23. Dezember 1546 in Bunzlau geboren. Sein Vater und sein Großvater hießen Kaspar, seine Mutter Margarete geb. Schäffer. Am letzten Sonntage nach Dreifaltigkeit 1584 hielt er als evangelischer Geistlicher hier in der jetzigen katholischen Kirche seine erste Predigt. Bald darauf wurde er zum Pfarrdienste bestätigt. In jener Zeit wird er auf Grund damals noch vorhandener älterer Aufzeichnungen eine geschichtliche Arbeit geschrieben haben. Merkwürdigerweise berichtet er aus der Zeit seiner hiesigen Amtsführung äußerst wenig über miterlebte Bunzlauer Vorkommnisse und erzählt meist nur, was draußen in der großen Welt vor sich ging. In großer Bescheidenheit gibt er in seinen Aufzeichnungen keine Kunde über seine eigene Person und nur sehr wenig aus seinem Leben. Wir wissen beispielsweise nur, daß an Mariä Lichtmeß, am 2. Februar 1600, während einer seiner letzten hiesigen Predigten, im neuen Marstalle Feuer ausbrach, wodurch der Gottesdienst gestört wurde.
Holstein beendete seine chronikalische Arbeit Anfang 1600 und folgte sodann einem Rufe nach Schweidnitz. Am Sonntage Judika, dem 19. März 1600 hielt er seine Valetpredigt, und am 22. März ging er nach Schweidnitz. Seine Stelle blieb 3/4 Jahre unbesetzt, während welcher Zeit sich die Diakone Johannes Froben und Esaias Gerlach in den Pfarrdienst teilten. Am 25. März 1600 predigte er das erstemal in Schweidnitz.
Holsteins Chronik ist sodann für die Zeit von 1600 bis 1642 von einem Anonymus unter dem Titel Continuatio = Fortsetzung weitergeführt. Unbestritten ist in dem Chronisten „der Schulen allhier Kollega“ (Lehrer) Christoph Buchwälder erkannt worden, der 1612 ein Eckhaus bei der Pfarrkirche bewohnte, das er im Jahre 1604 von unserem Holstein für 350 Taler gekauft hatte. Buchwälder hat seine Ansicht über die Undankbarkeit der Stadt Bunzlau gegenüber Holstein, den man aus Bunzlau hatte fortgehen lassen, in folgendem Distichon niedergelegt:
Holstenium hunc vili poterat retinere Bolesla;
Causa: propheta sua nil valet in patria.
(Bunzlau hätte diesen Holstein mit geringem Opfer zurückhalten können; der Grund ist: Der Prophet gilt nichts im Vaterlande.) Wernicke meint aber (S. 282), daß das nicht ganz zutreffe; der Magistrat hätte sich genug Mühe gegeben, Holstein wiederzubekommen.
Tatsächlich sind im Jahre 1607 vom Rate von Bunzlau ernstliche Anstrengungen zur Zurückberufung Holsteins gemacht worden, was aus dessen Briefen vom 24. und 30. August und 4. September 1607 hervorgeht, die bei Wernicke abgedruckt sind, der vom 4. September sogar als Faksimile (hinter S. 284). Man kann die Hoffnung haben, daß es nach diesem Schriftbilde noch einmal gelingen wird, die Urschrift der Chronik festzutstellen.
Wernicke bespricht unter den Quellen seiner Chronik (Seite IV) folgende Exemplare von Holstein:
1. Das im Staatsarchive zu Breslau, das er wohl zu Unrecht als wahrscheinliches Original bezeichnet. Dort ist der „Bunzlauischen Pfarrchronik“ des Erzpriesters Menzel auf Seite 77 bis 127 ein Bruchstück von Holstein angehängt, das nur bis zum Jahre 1567 reicht. Wernicke selbst hat im Jahre 1888 nach seiner Pensionierung dieses Heft an das Staatsarchiv verkauft.
2. Das Exemplar der Universitätsbibliothek zu Leipzig. Dieses Abschrift ist alt; der Einband, ein Halbpergamentband, kann sehr wohl aus dem Ende des 17. Jahrhunderts stammen. Sie ist von einer großen Anzahl verschiedener Hände geschrieben und umfaßt 439 Folioseiten. Die Urkunde gehört zu den älteren Beständen der Bibliothek. Ueber ihre Herkunft ist nichts bekannt.
3. Wernicke erwähnt ferner (S. 432) eine Holsteinsche Chronik in der Gräflich Schaffgotschschen Bibliothek in Warmbrunn. Der erwähnte Erzpriester Mentzel reiste im Sommer 1727 mit dem Bunzlauer Stadtvogt Müller nach Warmbrunn und Hermsdorf, wo er auch die gräfliche, damals schon bedeutende Bibliothek besichtigte. Unter anderem sah er auch eine Holsteinsche Chronik und traf, als er das Buch öffnete, „justement auf die Historie vom Katzenjammer auf dem Pfarrhofe“. Im 16. Jahrhundert hatte nämlich eine von einem Altaristen gereizte Katze diesem den Hals durchgebissen, so daß er sterben mußte.
In diesem Exemplare sollen auch einige Zeichnungen, Bademägde darstellend, von der Hand es Cisterziensers P. Spengler, einem geborenen Bunzlauer, angebracht gewesen sein.
Erwähnte Chronik, eine Foliohandschrift des 18. Jahrhunderts von 172 Seiten, an die sich bis Seite 237 die Continuatio anschließt, ist noch in besagter Bibliothek in Warmbrunn vorhanden. Irgendwelche Zeichnungen sind jedoch darin nicht zu finden.
4. Schließlich erwähnt Wernicke (auf Seite 448) ein in Jauer vorhanden gewesenes Exemplar, das der Fiscal Schindler 1732 dem Erzpriester Mentzel lieh. Letzterer fertigte daraus 20 Seiten Auszüge. Der Verbleib des Buches ist unbekannt.
5. Bei Erscheinen seiner Chronik kannte Wernicke drei in Bunzlau befindliche Exemplare von Holstenius. Er erwähnt zunächst das noch im Besitze des Ratsarchivs befindliche Stück, das hervorragend schön ist. Die Handschrift, 482 Folioseiten umfassend, ist klar, schön und gleichmäßig geschrieben. Der Einband ist braunes Leder. Die Zeit der Abschrift ist die Mitte des 18. Jahrhunderts. Welche Gründe Wernicke dafür hatte, dieses unser Hauptexemplar als eine Abschrift der Leipziger Handschrift zu bezeichnen, können wir nicht erkennen.
Es ist vielleicht interessant, wenigstens von diesem Stücke den Titel hierher zu setzen:
„M. Friderici Holstenij, Pastoris primum Boleslaviae dein Svidnicensis Buntzlauische Chronica seu (oder) Annales der Stadt Butnzlau im Jauerischen Fürstenthumbe, abgeschrieben von Christoph Buchwäldern. Civem et Senatorem Boleslav. = aet = 74 (im Alter von 74 Jahren), und contiuirt von einem Anonymo ab anno 1600 – 1642 ex Schedis Elia Schartz ex posteris holstenij, qui feri Solus 1641 Super erat.“ Dieses Exemplar und mehrere andere haben eine teilweise lateinische Vorbemerkung, in der der Abschreiber angibt, daß sich das Original in den Händen eines Bunzlauers Elias Niger (Schwartz) befunden habe, der von Holsteins Nachkommen fast allein übriggeblieben sei. Sein Sohn, ein Bunzlauer Töpfer, habe das Buch als seinen größten Schatz mit Argusaugen gehütet. Einem dreisten Jungen (satis puer) sei es aber gelungen, ihm doch das Buch zwecks Abschrift zu entwenden. Der Mund des Abschreibers (meo ore dormiente) habe bei dieser Tat geschlafen. Es läge nahe, hier eine kritische Besprechung der sehr verschiedenen Vorbemerkungen der Holstenius-Exemplare folgen zu lassen. Vielleicht findet aber hierin einmal ein Philologe den Stoff zu einer Doktordissertation.
6. Ein weiteres Bunzlauer Exemplar bezeichnet Wernicke als im Privatbesiz befindlich. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir meinen, daß es das hübsche Stück ist, das zurzeit Herr Hofmaurermeister Peter Gansel in Bunzlaus besitzt. Es ist ein Verdienst dieses bekannten Sammlers und Forsches, daß er schon vor Jahren, als hier noch wenig Interesse für Geschichte der Stadt herrschte, begonnen hat, Objekte, die für Bunzlau wichtig sind, literarische Erzeugnisse und Keramiken, vor der Verschleppung nach außerhalb zu bewahren.
In dem Ganselschen Exemplar ist der Abschreiber M. G. B. Scharff und die Jahreszahl 1696 der Abschrift deutlich zu ersehen.
7. Schließlich erwähnt Wernicke das schöne und von einem gebildeten Manne geschriebene Exemplar der hiesigen, nicht unbedeutenden Waisenhausbücherei. Er gibt dieser Handschrift bei Zweifelsfällen wiederholt den Vorzug. Den am Schlusse des Buches stehenden Nachtrag von 1741 werden wir unten abdrucken.
8. Nicht gekannt hat Wernicke den Holstenius, den die hiesige katholische Pfarrbücherei seit langem ihr eigen nennt. Das Exemplar enthält 354 foliierte Seiten. Es ist nicht frei von Irrtümern. Als Abschreiber ist unter dem 23. September 1741 Franz Anton Rother bezeichnet. Darunter steht:
„Stephan, Cantor“; das ist also der Letztabschreiber. Franz Ignaz Stephan war hier um 1758 katholischer Kantor und Schulrektor (Bergemann, Chronik von Bunzlau, Abt. IV S. 34, Wernicke S. 491).
9. Im September 1902 kaufte der Magistrat Bunzlau von der Berliner Buchhandlung Artur Lotz ein Foliobuch, einen Torso der Holsteinschen Chronik von 66 Seiten, worin auch eine Beschreibung und Geschichte der Stadt auf 67 Seiten enthalten ist. Die Verkäuferin hatte angegeben, daß dieses Buch aus der Bücherei des August Sadebeck in Reichenbach in Schlesien stamme. Das ist ein Nachkomme des Sadebeck auf Schobergrund.
Das Papier der Handschrift ist stark gelblich. Der Einband enthält die nicht zum Inhalte passende Rücken-Notiz:
„Manuskript Jauer und den Bergbau betreffend.“
Unter dem Titel steht, ohne daß etwas von diesen Städten zu finden ist:
„Auch etwas von Sagan – Glogau“.
Dieses Exemplar ist schon 1841 in den Publikationen der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur erwähnt.
10. Schließlich besitzt das Bunzlauer Ratsarchiv noch eine Holstenius-Abschrift auf 325 Quartblättern in schlichtem schwarzen Einbande. Die Schrift ist sehr flott und hat modernen Duktus. Das Alter der Abschrift dürfte etwa auf 1810 anzusetzen sein.
11. Neuerdings hat Universitätsprofessor Geheimer Medizinalrat Peiper in Greifswald, desen Vorfahren zahlreich und in Bunzlau angesessen und vielfach Tuchmacher waren, mitgeteilt, daß sich in den Händen seines Schwiegersohnes, des Kreismedizinalrates Otto Peiper in Greifswald, ein Holstenius mit folgendem Titel befinde:
„Aus etlichen alten und neuen Verzeichnissen zusammengezogen durch Herrn Friedericum Holstenium, gewesenen Pfarrer allhier zum Buntzel, abgeschrieben Anno Christi 1737 den 24 Martij durch Samuel George Peipern.“
Der Schreiber war der im Jahre 1720 geborene Urururgroßvater des Professors Peiper.
Die Foliohandschrift ist sehr gut geschrieben umfaßt auf 342 Seiten nur die Zeit bis 1582.
12. Auch die Staats- und Universitätsbibliothek Breslau besitzt einen Holstein. Dieser stammt aus den von der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur übernommenen Handschriften. Dieses Exemplar umfaßt 73 Blatt in Quart. Eine lateinische Einleitung geht dort dem Texte nicht voran.
Die genannte Bibliothek kennt ebenfalls die Urschrift der Holsteinische Chronik nicht, ist aber auch der Ansicht, daß das Exemplar des Staatsarchivs diese nicht ist.
Das Auskunftsbureau der deutschen Bibliotheken zu Berlin hat sich in neuester Zeit erfreulicherweise für die Frage der Holsteinischen Chronik interessiert und eine allgemeine Umfrage an alle deutschen Bibliotheken wegen weiterer Exemplare erlassen, wenn auch bisher ohne Erfolg.
In der „Schlesischen Zeitung“ haben wir kürzlich (26. Oktober 1924) für eine Drucklegung des Holstenius eine Lanze gebrochen. Schon Wernicke war im Eingange seiner Chronik dafür eingetreten. Holstein ist es jedenfalls wert, unter die schlesischen Geschchtsschreiber (Scriptors rerum Silesiacarum) von dem Verein für Geschichte Schlesiens zu Breslau aufgenommen zu werden, und wir sind verpflichtet, diesen Plan mit allen Kräften zu unterstützen.
Als Anhang bringen wir die Notizen, die die Bunzlauer Waisenhaushandschrift auf ihrem letzten Blatte enthält.
Anno 1741.
Es ist zu beklagen, daß dasjenige, was ich nun an die etliche funfzig Jahr merckwürdiges auf Notirt, nicht umständlich hat hier können ein getragen werden, unsern Nachkommen zum Andenken, es wehre auch gewiß geschehen, wenn nicht die hefftige Feuersbrunst, womit uns der liebe Got heim gesuchet wegen unserer Sünden Anno 1739 de 2. May. die unsere liebe Stadt in etlichen stunden völlig außgebrand, biß auf die Pfarrkirche und 5 Häuser beym Oberthor nebst einer Seite von 11 Häusern und Stockhaus Von Nicolaithor bis auff den bader Plan alle Schriften nebst den unsrigen verzehrt. Indessen habe ich doch etwas weniges, so mir noch ungefähr wißent, obschon nicht ordenlich wollen auff zeignen.
Anno 1683 stund ein großer Cometstern mit einemsehr langen Schwantz am Himmel, der gleichen sind der Zeit in Deutschland nicht mehr gesehen worden, und drauff balt belagerte der Türck Wien mit fast 200000 mann, ward aber Von den Christen durch göttliche Hilffe schändlich geschlagen, jedoch Viel Christen in die Sclaverey.
Anno 1689 wurde Mainz und Bonnen wieder er obret Von der Kayserl. Armee unter Comando des Hertzogs Carl von lothringen, und das letzte auch des damaligen Chur Fürsten von Brandenburg.
Anno 1691 den 19. August ist die große Schlacht bey Salancament (= Salankemen, Türkei) gewßen, wo bey ich selber war. Das Comando hatte Printz Ludwig von Baden: in Ziglers Schau Platz (ein geschichtliches Buch) ist da Von eine wahr hafftige nachricht.
Anno 1692 im May ist groß Waradrin(Großwardein) Von General Häußler eingenommen worden, und zogen die Türcken auß mit allen Ehren Zeichen, so ich gesehen.
Anno 1695 ist am 21. Sebtembr. daß Vetteranische Corps bei Lugosch (Lugos in Ungarn) Von der Türckischen Haupt arme geschlagen worden (vergl. auch die sog. Vetteranihöhle an der Donau vor Orsova) dar bey alles Ver Lohren gegangen, und wir nichts alß daß Leben dar Von gebracht, den 4ten Tag bekahmen wir gegen abent Brodt; Vorigetage da wir Keins hatten, schmeckten die Holtzäpffel, alß sonsten die Borßtorffer. Biß wir aber die wein berge bey Saswarosch (Sasvár) wieder er reichten, da wahr wieder guthe Zeit.
Anno 1697 wurde der Churfürst Von Sachsen, Friedrich August: Zum König in Pohlen er wählet, nach dießem ging zwischen Ihm und dem König von Schweden der Krieg an, welcher etliche Jahre dauert, und gingen blutige Schlachten bei buntschöff (Pintschow, Pinczów in Polen), Frauenstadt und ander orthen Vor, es wurde auch bei der ersten der Hertzog Von Holstein beym Köng er schoßen, Viel Sachsen und Mosckowitter sind geblieben. Da die Sachsen von Frau Stadt geflohen, haben Sie hier (in Bunzlau) beym Schieß Hause gelegen.
Anno 1700 Freytags vor Simon Judae (22. Oktober) wurden hier 2 Diebe gehangen der Alte Hanß genand, so betteln gegangen, und der gewessene Scholtz von Uttig George weiß, so in Tillendorf oben bey Bergmann bekommen wurden. (Siehe Wernicke S. 403) Anno 1702 abent Vor Lichtmeß brandte die Hoffemühl (Obermühle, jetzt Concordia) ab.