Das Bunzlauer Opitzdenkmal
Dietmar Plate. Veröffentlichung in der Bunzlauer Heimatzeitung im Mai 2016
Hundert Jahre nach dem Tode von Martin Opitz hielt in Leipzig der höchst angesehene Literatur-Professor Johann Christoph Gottsched eine Rede, in der er Opitz als den Vater der Dichtkunst benennt, über allen Dichtern der Welt stehend. In derselben Rede rügte er die Stadt Bunzlau, die einen solchen „Heros“ hervorgebracht hätte, aber nicht einmal einen kleinen Stein zu seinen Ehren gesetzt hätte und diesen großen Mann nicht zu würdigen wüsste. Der Zeitpunkt hätte nicht ungünstiger gewählt werden können, denn nach dem kurz zuvor am 2. Mai 1739 erfolgten großen Stadtbrand hatten die Bunzlauer ganz andere Sorgen als die Ehrung eines Dichters.
Es dauerte dann noch einmal über hundert Jahre, bis der „Boberschwan“ von seiner Heimatstadt gebührend gewürdigt wurde. Und wieder kam der Impuls von außen. Im November 1860 trat der Dichter und Schauspieler Carl von Holtei (* 24. Januar 1798 † 12. 2. 1880) seine Reise durch Schlesien an, die er als Anhang seiner Biographie „Die vierzig Jahre“ unter dem Titel „Noch ein Jahr in Schlesien“ veröffentlichte. Am 27. März 1861 um 10 Uhr abends wurde er auf dem Bunzlauer Bahnhof empfangen. Der große Opitz-Verehrer begab sich bereits den nächsten Tag auf dessen Spuren, wanderte zur Löwenberger Landstraße wo sich damals schon der Opitz-Stein befand. Von Holtei schreibt: „Nachdem ich einigermaßen Ordnung gemacht, meinen Schreibtisch eingerichtet, ließ ich mich vom schönen Wetter in‘s Freie locken. Ich fragte mich zum Löwenberger Thore an die Wiese hinaus, wo einst Martin Opitz, als dort noch Waldung stand, oft auf einem großen Steine geweilt, der bis in unsere Zeit seinen Namen trug und Opitz-Stein hieß; wo Er die ersten Verse ersonnen, aus denen deutsche Poesie neu geboren ward. Ein Rathsherr – man nannte mir ihn – fand besagten Opitz-Stein würdig, dem allgemeinen Besten zu dienen, und verwendete denselben praktisch, indem er ihn sprengen, zertheilen und endlich stückweise zum Chausseebau zerklopfen ließ. Als sich einige Stimmen gegen solchen Vandalismus murrend erhoben, haben sie die letzten größeren Ueberreste gerettet, zusammengestellt, Rasen darüber gewölbt und Bäume umher gepflanzt. Gottes Lohn über diejenigen, so dies fromme Werk vollbringen halfen.“
Der besagte Stein war 1849 an der Ecke Löwenberger Straße – Löwenberger Landstraße gefunden worden, wo sich die Firma Andreas Gansel (später Lepski) befand. An dieser Stelle soll sich der Dichter Opitz gern aufgehalten haben. In den „Bunten Bildern aus dem Schlesierlande“ wird er so beschrieben: „Genannter Stein war ein an der Straße nach Löwenberg liegender Granitblock, an dem Opitz oft auf seinen Gängen gerastet haben soll. Am 13. August 1849 war derselbe von Arbeitern zertrümmert worden, um ihn zum Chausseebau zu verwenden. An seine Stelle wurde ein anderer Stein gesetzt, der eine kleine, zum Ausruhen einladende Plattform bildet, jetzt durch einen Erdwall umfriedigt und außerhalb desselben mit Eichen umpflanzt ist.“ Das Bunzlauer Stadtblatt schreibt 1927: „Nun wird es vielleicht interessieren, was der Februar vor 75 Jahren brachte. Wie wir da lesen, wurde am 4. Februar 1852 von der Verschönerungs-Deputation zur Erinnerung an den ersten deutschen Dichter Martin Opitz, genannt „Boberschwan“, an Stelles des sogenannten Opitzsteines drei Eichen gepflanzt, und unter eine dieser Eichen ein Gedicht sowie ein kurzer Auszug aus der Biograpie des Dichters und einige geschichtliche Notizen über die Stadt Bunzlau in einer fest zugespundeten Flasche gelegt. Das Gedicht stammte von einem Dr. Eschenbach.“
Das Fehlen einer würdigen Gedenkstätte für den großen Dichter irritierte Carl von Holtei sehr, und so nahm er sich der Sache an. Seinen ersten Vortrag am 4. April im Rathaussaale nutzte er, um auf Martin Opitz hinzuweisen. Er tat das so vehement, das die dem Thema eher kühl zugewandten Bunzlauer nun geradezu begeistert von der Idee eines Opitzdenkmals waren. Als er auf Bitten einiger Bunzlauer am 26. April 1861 noch einmal an den Bober zurückkehrte, wurde er schon von einem fünfköpfigen Opitz-Komitee empfangen. Die Komitee-Sitzung fand am nächsten Vormittag im „Kronprinz von Preußen“ statt, Holtei schlug dabei vor, das Opitzdenkmal mit dem damals gerade begonnenen Neubau des Gymnasiums in Verbindung zu bringen. Diese Idee fand allseitige Anerkennung und wie die Geschichte uns lehrt, wurde es auch genauso umgesetzt. Sein am 27. April erfolgter zweiter Vortrag in Bunzlau, diesmal in dem zwei Jahre zuvor eingeweihten Theater, umfasste eine Einleitung über Opitz und mehrere seiner schönsten Gedichte. Die große Versammlung erhob sich auf Holteis Bitte und stimmte in ein Hoch auf sein heiliges Andenken ein. Keine Rede ist in den Aufzeichnungen Carl von Holteis davon, daß er den Ertrag seines Vortrages, immerhin 109 Thaler, dem Opitzfonds zu Verfügung stellte. Als erste Folge seines Einsatz wurde am vermeintlichen Geburtshause von Opitz, am Hause Zollstraße 1, unter Leitung des Schulvorstehers Matthäi eine Marmortafel angebracht. Die Tafel trug die Inschrift: „Hier wurde Martin Opitz von Boberfeld am 23. Dezember 1597 geboren.“ Das Haus trug die Inschrift „Sebastian Opitz 1620“, was Matthäi zu der Vermutung verleiten lies, daß es sich dabei um den gleichnamigen Vater von Martin Opitz handelte. Laut Dr. Ewald Wernicke waren diese beiden Herren aber nicht identisch, er nennt als eigentliches Geburtshaus das Haus Nr. 1a in der Großen Kirchstraße.
Bis zur Entstehung der bekannten Opitz-Büste in den Promenaden-Anlagen am Gymnasium dauerte es noch einige Jahre. Wie es mit der Arbeit des Opitz-Komitees weiter ging, entnehmen wir der Chronik von Dr. Wernicke. Am 25. August veröffentlichte der Oppelner Oberlehrer Ochmann ein kleines Büchlein über den Rebus, dessen Ertrag er dem Opitz-Komitee überwies. Am 26. Februar 1865 schließlich legte es seine Funktionen nieder wegen Teilnahmslosigkeit des Publikums. Offensichtlich hatte sich die anfängliche Begeisterung der Bunzlau schnell gelegt, die Spenden flossen eher spärlich. Die Druckkosten und Porto hatten die Spendeneingänge zuletzt überschritten. Der Kassenbestand von 119 Thaler wurde dem Bürgermeister zur Aufbewahrung übergeben. Erst am 9. Januar 1870 nahm die Kommission ihre Arbeit wieder auf. Im Jahre 1866 entwarf der Kreisbaumeister Wronka ein Opitzdenkmal, das Gipsmodell wurde ab 8. April 1867 im Rathaus ausgestellt. Die „Provinzial Zeitung für Schlesien“ berichtet darüber im Jahre 1866: „Unser Opitz-Denkmal steht zwar noch immer nicht auf dem für dasselbe langst bestimmten Gymnasialplatze, aber doch ist das Projekt um einen wesentlichen Schritt seiner Verwirklichung näher gerückt. Nach einer vom Kreisbaumeister Wronka entworfenen Zeichnung ist von dem Bildhauer Michaels in Breslau ein Modell in Gyps angefertigt, daß heute hier angekommen. Dasselbe besteht aus einem schlanken vierseitigen Postament mit vorspringenden Ecken. Von dem also gebildeten 4 Feldern sind drei vorläufig leer, und trägt daß eine die Widmung in schöner Lapidarschrift. Die Büste des Dichterfürsten ist nach einem Titelkupfer eines seiner Werke gezeichnet und modellirt, beides zusammen ungefähr 2 Fuß hoch. In der Ausführung jedoch ist das Postament auf 12 Fuß und die Büste auf 3 Fuß berechnet. Das Postament in harmonischer Architektur mit dem schönen Gymnasialbau, wird das Ganze einst eine herrliche Zierde nicht des kürzlich zu einem Park umgewandelten genannten Platzes, sondern für unsere Stadt überhaupt aufgeben.“
Weitere zehn Jahre später, im Juli 1877 erfolgte endlich die Enthüllung des Denkmals, die finanziellen Mittel reichten letztlich nur für eine Büste auf einem Sockel. Der Breslauer Bildhauer Michaelis hatte die Büste aus karrarischem Marmor gefertigt, sie stand auf einem Postament aus poliertem Granit. Als Vorlage diente ihm ein von dem Breslauer Maler Bartholomäus Strobel im Jahre 1637 geschaffenes Gemälde, das sich im Besitz des Vereins der Schlesier in Danzig befand. Es galt als relativ getreues Bildnis des Dichters aus seinen letzten Lebensjahren. Eine Kopie davon hing im Parterrezimmer des Bunzlauer Museums. Aufgestellt wurde das Denkmal etwa 20 m östlich des Gymnasiums in den dortigen Parkanlagen. Im Winter wurde die Marmorbüste in Stroh eingewickelt und durch eine hölzerne Hülle vor dem Zerspringen geschützt. Auf den Bildhauer wird leider nicht genauer eingegangen, ich kann also nur vermuten das es sich um den 1889 verstorbenen Hermann Michaelis handelt. Es ist auch nicht eindeutig ersichtlich, ob sich Michaels an das Gipsmodell von Stadtbaumeister Wronka gehalten hat oder einen eigenen Entwurf gewählt hat.
Die Enthüllung des Denkmals fand am 1. Juli 1877, vormittags um 11 Uhr statt. Anwesend waren die Behörden und die Schüler und Lehrer aus allen höheren und niederen Schulen Bunzlaus. Für die Musik der Festhymne war der Herzog Ernst von Sachsen verantwortlich, den Text schrieb der Redakteur des Bunzlauer Intelligenzblattes, Cäsar Lax. Der Stadtkämmerer und spätere Bürgermeister Paul Salomon hielt die Festrede, der Bürgermeister Julius Stahn sprach das Schlusswort. Der Gymnasial-Oberlehrer Dr. Rhode hatte eine Ode in lateinischer Sprache geschrieben, die zur Melodie des „Integer vitae“ gesungen wurde. Am Postament konnte man lesen: „Martin Opitz von Boberfeld“.
Was die Finanzierung dieses Denkmals betrifft, so war man da recht phantasievoll. Zum Beispiel versuchte man offensichtlich, kleine Gips-Modelle zu verkaufen. Mir liegt ein kleiner blauer Zettel vor, der vermutlich als Werbeblatt oder als Beigabe zu dem Modell gedacht war. Gedruckt wurde der Zettel in der Druckerei des „Niederschlesischen Couriers“, der zweiten Bunzlauer Tageszeitung. Das Blatt muss vermutlich irgendwann in der Zeit von der Enthüllung des Denkmals 1877 und dem 1880 erfolgten Tode Carl von Holteis entstanden sein. Modelliert wurde die Büste vom Schöpfer des Originals, dem Bildhauer Michaelis, es hatte eine Höhe von 40 cm. Der auf dem Blatt erwähnte Herr Endenthum war der erste Inspektor des Bunzlauer Gaswerkes, der erforderliche Gips wohl ein Nebenerzeugnis dieser Anstalt. Der Gas-Inspektor Endenthum galt schon zu seinen Lebzeiten als ausgesprochenes Original, es ist auch durchaus möglich, das er dieses Geschäft auf eigene Rechnung gemacht hat. Wenn also irgendwo eine kleine Büste des Martin Opitz in Gips auftauchen sollte, dann ist es gut möglich das es ein Exemplar aus dieser Reihe ist. Eine Erwähnung findet dieses „Geschäftsmodell“ sonst an keiner anderen Stelle. Wie viele man davon absetzen konnte, ist leider auch nicht nachvollziehbar.
Die Opitzbüste überstand die Stürme des Frühjahrs 1945 nicht und wurde ausgelöscht wie so viele andere Denkmäler der Stadt Bunzlau.