Georg Buchler und die Bunzlauer Heimatkartei
Dietmar Plate. Erstveröffentlichung: Bunzlauer Heimatzeitung August 2020
Es ist in den letzten Jahren viel geschrieben worden über das zukünftige Schicksal der Bunzlauer Heimatstube. Es ist dann fast ausschließlich gesprochen worden über wertvolle Keramik, über Gemälde, Dokumente und dergleichen. Nun sind also die Bestände der Heimatstube in den Besitz des Hauses Schlesien überegangen. Aber noch immer befindet sich der größte Teil davon in den alten Räumen in Siegburg. Man konnte dann auch lesen, mit welcher Begeisterung sich die Abgesandten des Muzeum Ceramiki aus Boleslawiec – namentlich Frau Bober-Tubaj – mit der an sie abgegebenen Leihgaben befassten. Man erfuhr, wie dankbar man sich den Abgesandten der Heimatgruppe gegenüber zeigt, als man dort die neueste Sonderausstellung eröffnete. Und auch das Siegburger Museum hat sich schließlich doch noch interessiert gezeigt. Der aus meiner Sicht größte Schatz der Heimatstube wird aber niemals in irgendeinem Museum zu sehen sein. Er steht (Stand September 2019) im der Heimatgruppe verbliebenen Raume wenn man zur Tür hereinkommt, auf der linken Seite direkt am Fenster. Hüter und Bewahrer dieses Schatzes ist schon seit vielen Jahren Jochem Birk.
Sie fragen sich: Wovon spricht der Mann überhaupt? Auf der letzten Jahresversammmlung der Bundesheimatgruppe im September habe ich – unter „Aufsicht“ von Herrn Birk, zum ersten Male eine Schublade dieses Schrankes geöffnet. Darin befinden sich – ihrem gesetzten Alter angemessen – unzählige, nicht mehr ganz taufrische aber dennoch sich in bester Verfassung befindende Karteikarten. Nun sind Karteikarten nicht jedermanns Sache, und ich gebe zu, nicht jeder gerät bei deren Anblick in so schwärmerische Begeisterung wie ich. Auf Anhieb fällt mir dabei nur der Mann ein, der (wie oben erwähnt) dieses Archiv schon seit vielen Jahren hegt, pflegt und bis heute weiterführt: nämlich Jochem Birk. Von allem was sich in den Räumen der Heimatstube befindet, ist es meiner Ansicht nach in der größten Gefahr. Der gleichgültige Umgang mit „nur Karteikarten“ hat schon zum Verlust vieler historischer Werte geführt. Nun, so lange Her Birk und die anderen Vorstandsmitglieder der Heimatgruppe in Siegburg sich darum bemühen, muss man sich nicht wirklich Sorgen machen. Diese Karteikarten sind nicht mehr und nicht weniger als die Geschichte, das Gedächtnis der vertriebenen Stadt- und Kreis-Bunzlauer. Fein säuberlich auf den Karten eingetragen Namen, Daten und wenn vorhanden die ein oder andere Information über Menschen, die zum Teil schon seit vielen Jahrzehnten nicht mehr unter uns weilen. Diese „Heimatkartei“ steht ganz besonders für den Mann, der sie vor über siebzig Jahren begründet hat. Georg Buchler ist sein Name.
Ich denke, es ist an der Zeit mal an die meist schon vergessenen Menschen zu erinnern, die in den ersten Jahrzehnten die Heimatgruppen der Vertriebenen begründeten und mit Leben erfüllten. Kurt Hartmann, der langjährige Vorsitzende der Bundesheimatgruppe Bunzlau und der Bunzlauer Heimatgruppe in Frankfurt (verstorben im Februar 2015), fand in der Bunzlauer Heimatzeitung Ausgabe Februar 1983 würdige Worte für den oben erwähnten Mann. Der nun ungekürzt übernommene Bericht des Herrn Hartmann beschreibt Leben und Arbeit von Georg Buchler lückenlos, dem Bericht ist eigentlich nichts hinzufügen.
„Nach längerer Krankheit, aber einem langen und erfolgreichen Leben, ist am 16. 1. 1983 unser Heimatfreund Georg Buchler, Sparkassendirektor a. D., im Alter von fast 88 Jahren gestorben. Herr Buchler war am 15. 4. 1895 in Groß Eulau – heute Ortsteil von Sprottau – geboren worden. Nach der Schulzeit trat er als Banklehrling bei der Stadtsparkasse in Sprottau ein. Nicht lange nach seiner Lehrzeit wurde er zum Militär eingezogen und war auch im 1. Weltkrieg Soldat. Nach dem Kriege heimgekehrt, bildete sich Herr Buchler in seinem Beruf weiter. Durch erfolgreiche Teilnahme an einem Halbjahreskurs der deutschen Sparkassenschule in Hannover war seine berufliche Qualifikation soweit abgeschlossen, daß er am 1. 7. 1922 als Beamter von der Stadtsparkasse Bunzlau übernommen wurde. Von diesem Tage an wurde er Bunzlauer Bürger und sein Schicksal war von nun an mit unserer schönen Heimatstadt Bunzlau verbunden.
Die Stadtsparkasse Bunzlau wurde am 1. 1. 1923 mit der Kreissparkasse zur Stadt- und Kreissparkasse Bunzlau vereinigt. Auf Grund seiner überdurchschnittlichen Berufskenntnisse, die er bei der Währungsumstellung 1923/23 und die damit verbundenen Reichsmarkeröffnungsbilanzen unter Beweis stellen konnte, wurde er bereits 1925 zum stellvertretenden Leiter der Stadt- und Kreissparkasse ernannt. Herr Buchler war zu diesem Zeitpunkt erst 30 Jahre alt. Damit wurden nicht nur seine fachlichen Leistungen anerkannt, sondern auch zum Ausdruck gebracht, daß er das Vertrauen der Aufsichtsgremien besaß. Am 1. 8. 1941 wurde Georg Buchler auf Anordnung des Regierungspräsidenten in Liegnitz zum kommissarischen Leiter der Stadtsparkasse Grünberg bestellt und danach zum Sparkassendirektor ernannt. Mit den Abschlußunterlagen dieser Kasse ging er im Februar 1945 auf die Flucht und eröffnet in Oschatz (Sachsen) eine Ausweichstelle. Bald übernahm er noch zusätzlich die Ausweichstellen der Stadtsparkasse Liegnitz, der Stadt- und Kreissparkasse Bunzlau und der Kreissparkasse Liegnitz. Im August 1945 wurden diese Kassen bzw. Ausweichstellen geschlossen und Georg Buchler hatte die Riesenarbeit der Abwicklung zu übernehmen.
Obwohl er diese vielseitige und verantwortungsvolle berufliche Tätigkeit hatte, begann er bereits im März 1945 (!!!) mit dem Aufbau einer Heimat- und Verstorbenenkartei für Bunzlau. Auf seine Bitten erhielt er von allen Seiten – über die Zonen- und Ländergrenzen hinaus – Anschriften der vertriebenen Bunzlauer. Bereits im Dezember 1945 brachte er ein gedrucktes Verzeichnis mit über 2000 Anschriften der Bunzlauer Bürger heraus und hatte davon über 3000 Exemplare zum Versand gebracht. Zu dieser Arbeit und erstaunlichen Leistung unter damaliger russischer Besatzung gehörte ungewöhnlicher Mut. Georg Buchler wurde dann auch wegen des umfangreichen Briefwechsels mit dem Westen durch die russische GPU verhaftet und nach Hoyerswerda gebracht. Er kam aber später wieder frei, da er für die Abschlußarbeiten der o. a. Kassen benötigt wurde. Einer erneuten Verhaftung konnte sich Heimatfreund Buchler durch seine Flucht in den Westen im März 1950 entziehen. Er faßte in Frankfurt/Main Fuß und konnte beruflich wieder eine leitende Stellung bekleiden. Vom 1. 5. 1951 bis zu seiner Pensionierung im Juli 1960 war er Prokurist bei einer Frankfurter Baufinanzierungsgesellschaft. Gemeinsam mit dem früheren 1. Bürgermeister Burmann, der s. Zt. in Königstein (Taunus) wohnte und finanzielle Hilfe leistete, führte er das erste Treffen der Bunzlauer Heimatfreunde in Frankfurt/Main durch.
Auf Bitten der Bundesheimatgruppe des Kreises Sagan/Sprottau führte er ab 28. 4. 1956 auch für die Heimatfreunde dieses Kreises die Treffen in Frankfurt/Main durch. Bis zu seinem Abtreten im Jahre 1976, er war nun über 81 Jahre alt und gesundheitlich nicht mehr auf der Höhe, hatte er über 75 Treffen der Bunzlauer und 30 der Sagan/Sprottauer organisiert und durchgeführt. Sein in Oschatz begonnenes Werk, die Führung einer Heimatkartei, setzte er nach seiner Übersiedlung nach Frankfurt/Main erfolgreich fort. Besonders nach seiner Pensionierung konnte er sich dieser Arbeit noch intensiver widmen. Von 1972 bis 1976 hatte er in Fortsetzungen in der Bunzlauer Heimatzeitung ein Anschriftenverzeichnis der Bunzlauer mit über 105 Seiten veröffentlicht. Diese Heimatkartei, die von vielen anderen Heimatkreisen und Städten als vorbildlich bezeichnet wurde, aber selten erreicht, ist ein sehr wichtiges und wertvolles Werk. Viele Heimatvertriebene aus Stadt und Kreis Bunzlau konnten erst wieder zueinanderfinden über Herrn Buchler. Unzähligen Vertriebenen hat Georg Buchler zur Familienzusammenführung verholfen. Aber auch sonst stand er den Heimatfreunden mit Rat und Tat zur Seite. Ab 1953 war er auch als Gutachter für Bunzlauer Grundbesitz tätig. Sein großes und verdienstvolles Wirken für seine Heimat wurde allseits anerkannt. Für die viele selbstlose Arbeit wurde ihm 1966 vom Bundespräsidenten Lübke das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Auch als Familienvater hatte Georg Buchler sein Haus vorbildlich bestellt. Am 9. 9. 1923 heiratete er. Seine Ehefrau stammt aus dem Kreis Sagan/Sprottau und war eine geborene Irrgang. Die Goldene Hochzeit blieb dem Ehepaar versagt, da Frau Buchler im Februar 1971 verstarb – im 71. Lebensjahr. Aber auch Frau Buchler hatte noch erleben können, wie sich ihre Kinder, eine Tochter und zwei Söhne, glücklich verheirateten. Sie konnte als Omi noch ihre Enkelkinder erleben und Herrn Buchler war es noch vergönnt, seine Urenkel kennenzulernen. Die Beerdigung von Herrn Buchler fand am 20. 1. 1983 auf dem Waldfriedhof in Frankfurt-Schwanheim statt. Herr Pfarrer Hamann – Heimatvertriebener aus Schwiebus – hatte mit seinen tröstenden Worten auch einen Abriß des Lebensweges unseres Heimatfreundes Buchlers gebracht. Heimatfreund Hartmann, der auch im Namen der Bundesheimatgruppen Bunzlau und Sagan/Sprottau wie auch der gemeinsamen Heimatgruppe in Frankfurt/Main sprach, erwähnte noch weitere markante Punkte aus dem Leben des Verstorbenen. Hartmann betonte auch, daß die Heimatfreunde der Kreise Bunzlau und Sagan/Sprottau dem Heimatfreund Georg Buchler für sein Wirken und für seine aufopferungsvolle Arbeit zu großem Dank verpflichtet sind und ihm ein ewiges Andenken bewahren werden.“
Entgegen meiner Feststellung, das dem eigentlich nichts hinzufügen ist, möchte ich doch ein paar kleine Ergänzungen mitteilen. Das erwähnte erste Adressenverzeichnis trug den Titel: „1. Ausgabe (Januar 1946) des Bunzlauer Adressen-Verzeichnisses für alle bisher ermittelten Sparer-Umsiedler aus Stadt und Kreis Bunzlau in Schlesien“. Herausgeber war die „Stadt- und Kreissparkasse zu Bunzlau, Ausweichstelle Oschatz in Sachen“, Sparkassen-Leitung Georg Buchler. Aus diesem Verzeichnis der Kunden der Bunzlauer Stadt- und Kreissparkasse“ entwickelte sich also die Heimatkartei. Viele Jahre vor Begründung der Heimatgruppe Bunzlau in Siegburg und viele Jahre vor dem Erscheinen der ersten „Bunzlauer Heimatzeitung“. Die Heimatkartei ist bis heute die Grundlage für die Familiennachrichten in der Heimatzeitung. Vielleicht sollte man noch erwähnen, welche schweren „Kämpfe“ Georg Buchler durchzustehen hatte, lesbare und belastbare Daten von den Einsendern der verschiedensten Personenstandsmeldungen zu erhalten. Wie gut geht es uns doch heute im digitalen Zeitalter. Allerdings: Lesbar ist heute alles, aber mit der Rechtschreibung hat man heute mehr Probleme als damals. Erwähnt wird auch das in den Jahren 1972 bis 1976 in der BHZ veröffentlichte Adressen-verzeichnis. Auf das Bunzlauer folgten anschließend wiederum über Jahre hinweg zahlreiche Verzeichnisse aus den Kreisgemeinden. Ein erste umfangreiches Adressenverzeichnis wurde schon in den fünfziger Jahren veröffentlicht und basierte ebenfalls auf der Tätigkeit des Herrn Buchler. Ein Großteil der Personenstandsdaten stammen aus diesen Verzeichnissen und den Familiennachrichten die Teil bzw. Fortschreibungen der Verzeichnisse waren. Bemerkenswert ist, das für einen großen Teil der Bunzlauer Bürger das Adressenverzeichnis aus den siebziger Jahren die letzte von ihnen bekannte Meldung darstellte.
Zum Schluss dann noch ein paar persönliche Daten, die im Nachruf von Kurt Hartmann nicht erwähnt werden. Bis zu seinem Wechsel nach Grünberg wohnte Georg Buchler in dem ihm gehörenden Hause Moritz-Kranz-Straße 4. Seine letzte Wohnadresse war Frankfurt/Main. Seine Ehefrau Frieda Buchler geb. Irrgang war dort schon am 20. 2. 1971 verstorben. Die Tochter Friedhilde Schiller geb. Buchler wurde am 26. 11. 1924 geboren, und starb am 17. 10. 2018. Ihr Ehemann stammte aus Dobrau. Der Sohn Gotthardt Buchler lebte bis zu seinem Tode im Jahre 2005 in Bad Schwalbach. Eine Bemerkung von Karl Springer aus der BHZ 4/1975 bringt es auf den Punkt.
„Für die viele selbstlose Arbeit wurde ihm 1966 vom Bundespräsident Lübke das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Ab Dez. 1972 läuft nun im Heimatblatt ein neues Anschriftenverzeichnis der Bunzlauer, jede Nummer bringt eine Seite für die Sammlung, bis 1976 das Verzeichnis mit etwa 105 Seiten abgeschlossen sein wird. Es werden nicht viele schlesische Städte so glücklich sein, und das verdanken wir dem jahrelangen beharrlichen, fleißigen Einsatz von Georg Buchler. Er hat sich in der Geschichte Bunzlaus ein dauerndes Andenken gesichert, er hat sich um Bunzlau verdient gemacht.“