Der Gasthof zum goldenen Engel

Veröffentlicht von Milan Koncz am

Artur Schiller. Erstveröffentlichung Bunzlauer Stadtblatt, 14. Februar 1931

Der Goldene Engel vor dem ersten Weltkrieg

Um mit einem Schema aufzuwarten, so herrschte von 1000 bis 1200 der romanische Stil, von 1200 bis 1400 die Frühgotik, von da bis 1500 die Spätgotik. Bei dem romanischen Stil denkt man zuvörderst an den Rundbogen, bei der Gotik an den Spitzbogen. Es würde hier zu weit führen, diese geschichtliche Fortentwicklung des näheren schildern. Der Name „gotisch“ sollte zunächst eine herbe Kritik sein; wir verbinden damit jetzt den Begriff des Edlen, des Erhabenen. Ein italienischer Kunsthistoriograph, Giorigo Bafani, hat den Namen im ersteren, tadelnden Sinne aufgebracht, indem er einmal schrieb, die Kirchen des Mittelalters seien so barbarisch gebaut, als wenn die Goten, diese Feinde aller Kultur, die in Italien viele Verheerungen angerichtet haben, die Erbauer gewesen wären. Über die Entstehung des gotischen Stils haben sich von jeher unzählige Gelehrte den Kopf zerbrochen. Architekten wie Chateaubriand, Bischof Warburton und andere sind auf die naive, aber poetisch anmutende Idee gekommen, das Rippensystem der Gotik aus der Nachahmung des Geästes nordischer Laubwälder herzuleiten. Es gibt einen alten Stich, auf dem ein mit Kappe und Schurzfell bekleideter Baumeister sinnend dasteht und die Kronen zweier unweit voneinander aufgewachsenen jungen Bäumchen mit einer Hand zusammenfaßt; er hat soeben den Spitzbogen erfunden! Für diesen baulichen Gedanken haben wir in Bunzlau zwei Beispiele, das Portal der ehemaligen Stadtwaage am Nordflügel des Rathauses, besonders aber das schöne Portal des Gasthofs „Zum Goldenen Engel“, das bisher gegen das herrliche Renaissanceportal an der Südseite des Rathauses etwas zurücktrat, auf das wir aber heute hier die Aufmerksamkeit lenken wollen.

Gaststube und Gasthof zum Goldenen Engel

Die Baumtheorie ist hier reizend versinnbildlicht. Linker Hand stehen zwei junge Birken- oder Weidenbäume, die sich bereits am Kämpfer verästeln. Die beiden rechts befindlichen Bäume sind widerstandsfähiger; der Hauptbaum biegt sich gleichmäßig bis zur Verflechtungsstelle. Kurz vor dieser zweigt je ein Seitenstamm ab, der aber auch schon kräftiger ist, so daß er, realistisch richtig, bei der Zusammenfassung knicken muß. Die Bäumchen, die das Portal der Stadtwaage bilden, überschneiden sich ganz regelmäßig. wir können mit Recht annehmen, daß beide Portale von demselben Steinmetzen geschaffen worden sind.

Bis 1922 direkt über dem Portal des „Engels“, seitdem an die Fensterreihe des ersten Stocks hinaufgerückt, befindet sich das hübsche Bild eines geflügelten, vergoldeten Rokokoengels. Erhat die Jahreszahl 1776.

Rechts vom Portal liegt jetzt in der Tiefe des Hauses der Pferdestall mit seinem Tonnengewölbe, der noch von Moritz Kranz in seiner Jugendzeit bis an den Markt reichend beobachtet worden ist.

Die Hauptfassade mit ihren zweimal zwei Fensterachsen wirkt wie zwei verbundene schmale Häuser, wie wir sie  ja mehrfach noch am Markt haben. Die Spitzen der zwei schmalen Fronten sind aber in ihren Bekrönungen aneinander angenähert, um anzudeuten, daß es sich doch nur ein einheitliches Haus handelt. Ästhetische und praktische Gründe (Brandabwehr) ließen es in früherer Zeit nicht zu, daß man verschieden hohe Dächer nebeneinander setzte.

Die acht Fenster lange Seitenfront in der Bahnhofstraße bietet außer einem gekoppelten Fenster im zweiten Stock, das einen Erker vertritt, baulich nichts besonderes.

Marknordseite mit dem Gasthof zum goldenen Engel

Nun wollen wir versuchen, in die verworrenen Notizen über die Besitzer des „Engels“ in älteren Zeiten etwas Ordnung zu bringen. Hier soll 1538 das Gefolge des Kaiser Ferdinand I. logiert haben. In der Nacht zum 1. September 1581, dem Tage Ägidi, einem Freitag, war durch große Fahrlässigkeit des Fleischers Anders in der Hundegasse (Bahnhofstraße) ein Feuer ausgekommen, das die dritte Ringseite und überhaupt sechzig Häuser in der Stadt und neun Basteien in Asche legte. Der Brandstifter wurde aus der Stadt verbannt und angewiesen, seine „Besserung anderwärts zu suchen“. Die Stadt erhielt von außerhalb nicht unbedeutende Hilfsgelder, so von dem in Bunzlau geborenen Breslauer Bischof Martin Gerstmann nicht weniger als 500 Taler. Auch der Landesherr, Kaiser Rudolf II., gewährte der Stadt Hilfe. Selbstverständlich war auch der „Engel“ von dem Feuer betroffen worden. Es ist anzunehmen, daß das Gebäude in seiner jetzigen Form aus dieser Zeit stammt. Der Wirt des Gasthauses war damals Bartholomäus Wolfram; Pächter scheint Zacharias Waltsgott gewesen zu sein.

1587 wird David Holzmann als Gastwirt genannt. Im Jahre 1588 war schon wieder Barth. Wolfram Wirt. Bei ihm logierte der Bürgermeister Sebastian Malderzick aus Pitschen, der sich nach der Verwüstung dieser Stadt durch die Polen am 27. Januar 1588 hierher gerettet hatte. Er hatte all sein Hab und Gut verloren und mußte demnächst aus der Herberge ausgelöst werden. Der Handelsmann Barthel Wolfram war noch 1594 Besitzer. Er war der Schwiegervater des Bunzlauer Ratsherrn Joh. Tscherning. Letzterer wurde später Bürgermeister in Haynau und Amtmann auf dem Gröditzberge; er starb 1636. Am 30. Mai 1607 starb Barthel Wolfram in Kossendau am Schlage (Wernicke S. 294). Hierbei widerspricht sich Wernicke einmal selbst, wenn er (S. 16) sagt: „B. Wolfram besitzt den Engel noch 1610“.

Am 14. September 1610 wohnte Matthias, der neue böhmische König, in Bunzlau auf dem Schlosse. Aus seiner Begleitung logierte der Wiener Bischof Glesel in der „Fortuna“ bei Nik. Froben, der oberste Kanzler bei Gastwirt Kaspar Scholz dem Älteren im „Engel“, der päpstliche Nunzius nebenan.

Am 14. September 1622 verkaufte Elias Wolfram, wohl ein Nachkomme des Barthel Wolfram, die Gastwirtschaft an Zacharias Waltsgott, den wir schon oben erwähnten.

Als im Jahre 1622 der Galgen, wie ortsüblich, mit großem Gepränge repariert wurde, zog die ganze Bürgerschaft, geführt von dem Bürgermeister, in die Stadt ein, wo drei Salven abgegeben wurden. Der Hauptmann Joh. Ender begab sich nach Auflösung des Zuges mit den direkt beteiligten Mannschaften zum Freibier in den „Engel“.

Damals war das Geschäft wohl wegen der Kriegsläufe nicht gut gegangen und das Gasthaus an einen gewissen Jäcke (Zeche?) verkauft worden sein. Jäcke geriet in Konkurs. Im Stadtarchiv (II 40 Nr. 31) befindet sich ein Vertrag vom 25. Mai 1628, nach dem der Gläubigerausschuß des Jäckeschen Konkurses (fünf Personen) den Gasthof am Ringe, nächst Kaspar Senfftlebens Hause belegen, nebst allem Inventar, den Garten in der „Ziegelgasse“ unter dem Hoppeberge in der Aue sowie das Scheunengärtchen samt Scheuer und den „Heltern“ – gemeint sind Fischhälter – an den vorgenannten Elias Wolfram für 2000 Taler Schlesisch verkaufte. Zu Weihnachten 1629 waren 1300 Taler zu legen und der Rest in Jahresraten von 125 Talern an den folgenden Weihnachtsterminen.

Der Ratskellerpächter Joh. Zepperling bekam am 21. September 1657 die Pacht des Ratskellers gegen Zahlung eines Jahreszinses von 88 Talern um ein Jahr verlängert. Dieser Kellerpächter besaß außerdem den Gasthof zum „Engel“, der im Dezember 1659 in den Besitz des Glasers Radenthaler überging.

Am 8. Dezember 1672 verkaufte eine Frau Martin Opitz an Andreas Böhm um 1000 Taler und dessen Witwe am 13. Juli 1675 an Kaspar Scholz, den Jüngeren, für 1100 Taler. Dieser erlebte bei sich 1688 eine prächtige Taufe der Helene Elisabeth, Töchterlein des Hans Heinrich von Gleditz aus Seebnitz. Die heilige Handlung, bei der fünf Paten fungiert hatten, war in Thommendorf vorgenommen worden.

Blick auf den Obermarkt

Nun taucht das Ehepaar Ahn als Engelswirte auf.

1728 wurde in Bunzlau ein evangelischer Advokat aus Lauban, ein Verwandter der Gastwirtin Ahn, beerdigt.

Die Eheleute Ahn haben wahrscheinlich dem Gasthause den Namen „Goldener Engel“ gegeben. Bergemann (III. Bd. S. 155) läßt die oben vom Jahre 1683 erwähnte Taufe noch im „Weißen Engel“ stattfinden.

1737 war Gottfried Weinknecht Gastwirt im „Goldenen Engel“. Am 9. Januar dieses Jahres erhängte sich G. Fr. Prowe, ein Gefreiter, der dort mit seiner Frau im Bürgerquartier gelegen hatte, in der von ihm bewohnten Schlafkammer.

Seine Frau schnitt ihn sofort ab; er konnte aber nicht am Leben gehalten werden. Darauf wurde der Leichnam durch den Abdecker in einen Sack gesteckt, heruntergeworfen, auf einen Karren gelegt und unter dem Galgen begraben, nachdem man den Kopf mit einem Grabscheite abgestoßen hatte. Das war damals so Sitte.

Nach dem großen Stadtbrande vom 2. Mai 1739 verkaufte Christian Weinknecht (ein anderer?) das Gasthaus an Anton Matthäi mit sechs Biergerechtigkeiten. Anton Matthäi verdanken wir das schöne Wirtshausschild von 1776. Von Anton Matthäi ging es in die Hände von dessen Witwe Johanne Elisabeth, geb. Weidner, über, die es am 15. März 1796 an ihren Sohn, den Fleischer Johann Gottfried Matthäi, für 3000 Taler verkaufte. Zu dem Hause gehörten mehrere Ackerstücke, so der sogenannte Hoffmannsche Acker am Königsfleck (zwischen Kaninchenberg und Alt-Jäschwitzer Kunststraße), der Schöpfische Lohgarten. Eine Scheuer mit Schöpfenstall besaß der Wirt mit seinem Bruder Johann Christian gemeinschaftlich.

Von Johann Gottfried Matthäi überkam die Besitzungen dessen Sohn, der Ökonom Karl Friedrich Matthäi, am 5. Mai 1848. Seit 1859 sind dessen Witwe und vier minderjährige Kinder eingetragen. 1867 wurde Vorwerksbesitzer Joh. Gottfried Söhnel Besitzer.

Vier Jahrhunderte sind über die altehrwürdige Gaststätte und ihre verschiedenen Schicksale dahingegangen. Aber noch jetzt atmen die Räume, seit über zwanzig Jahren gepflegt von einem freundlich Wirtspaare, die Gemütlichkeit, die sie stets den Gästen so anziehend machte.

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