Die Bunzlauer Bühne
„Der Bunzlauer Kreis am Bober und Queis“. 2. völlig neu bearbeitete Auflage 1964. Herausgegeben von der Bundesheimatgruppe Bunzlau in Siegburg.
Die Bunzlauer waren stolz auf ihr Theater. Es war klein, es hatte nur 400 Sitzplätze, aber es war ein richtiges Theater mit hufeisenförmigem Zuschauerraum mit Parkett und zwei Rängen, mit einem Orchesterraum, der für 24 Musiker Platz bot, mit einer gut ausgestatteten Bühne, Samtvorhang und eisernem Vorhang, und eisernem Bühnenportal, mit Beleuchtungsbrücke und leistungsfähiger Beleuchtung, Schnürboden und Rundhorizont. Dieses Theater war der Sitz einer Wanderbühne, die für viele niederschlesische Städte Bedeutung hatte. Bunzlau als Mittelpunkt eines schlesischen Spielkreises: das war das Ende einer jahrhundertelangen Entwicklung. Wir werden sehen, wie unsere kleine Stadt sich immer bemüht hat, am Fortschritt des deutschen Theaterwesens teilzuhaben.
Die ersten Nachrichten über dramatische Kunst auf deutschem Boden betreffen geistliche Spiele. Die Kirche war bemüht, den einfachen Menschen, die nicht lesen konnten, die wichtigsten Tatsachen der Heilsgeschichte bildlich und plastisch vor Augen zu stellen. Noch wertvoller waren ihre dramatischen Vorführungen, wie sie z. B. in den Spielen von Oberammergau heute noch fortleben. Die Holsteinische Chronik gibt zwei Hinweise auf solche Aufführungen in Bunzlau. Da spricht der Ratsherr Anshelm Scholz 1515 in seinem Brief an den Rat von einem Passionsspiel, da lesen wir 1523, daß alljährlich am Himmelfahrtstage ein geistliches Spiel üblich war. Als späten Nachklang der altehrwürdigen, ernsten „Mysterienspiele“ am Ort müssen wir die bühnenmäßige Darstellung des Leidens Christi in der berühmten Singspieluhr ansehen, die der Bunzlauer Tischlermeister Hermann Jakob in den Jahren 1784 bis 1797 schuf.
Die nächste Form des Bühnenspiels in Deutschland waren die humanistischen Schülerkomödien. Der Rektor der hiesigen Lateinschule, der vor allem in dieser Hinsicht bemüht gewesen ist, war Valentin Senftleben, der der Schule von 1606 bis 1614 vorstand. Er war der verehrte Lehrer des Bunzlauers, der ganz bedeutenden Einfluß auf die Bühnenkunst für lange Zeit gehabt hat: Martin Opitz. Zwei Formen des dramatischen Spiels gehen auf ihn zurück: das Schäferspiel und die Oper. Aus Bunzlau ist freilich nichts zu berichten von Schäferspielen und Opernvorstellungen, und doch fühlen wir uns beteiligt, weil am Anfang dieser Theaterkunst der Name Martin Opitz steht.
Was für Spiele damals in kleinen Städten wie Bunzlau über die Bühne gingen, verrät eine Bemerkung in einem Protokollbuch von 1732. Da spielte eine Wandertruppe im Rathaussaal „Komödie“ unter großem Beifall des Volkes, und angeheiterte und maskierte Störenfriede trieben dabei ihre Possen. Damit sind wir in der Blütezeit des Wanderschmierentheaters. Angefangen hatte es mit den Reisen englischer Komödianten, die ihre Kunst zum Unterschiede von allen bisherigen Spielen erwerbsmäßig trieben. Sie durchzogen seit 1586 ganz Deutschland mit ihren bunten Lappen, blutigen Greueln und schmutzigen Possen. Eine sehr wichtige Person war dabei der Narr, auch Hans-Wurst oder Pickelhäring genannt. Die rasch aufgeschlagene Bühne war mit den einfachsten Mitteln der in England üblichen Form nachgeahmt. Das wichtigste Spielfeld war ein breites Podium, das ohne jede Ausstattung jeden beliebigen Ort bedeuten konnte. Hinten war es durch einen Vorhang abgeschlossen, hinter dem eine zweite, viel kleinere Spielfläche lag, die sogenannte Unterbühne, die man bei Zimmerszenen verwendete. Die Decke der Unterbühne, die sogenannte Oberbühne, diente ferner zur Darstellung von Vorgängen auf Wällen und Mauern. Ob je eine solche Bühne einmal in Bunzlau aufgeschlagen wurde, wissen wir nicht. Und doch hat unsere Stadt ein wertvolles Zeugnis für ein solche „Shakespeare-Bühne“ besessen: unsere Spieluhr. Im dritten Bilde aus dem Leiden Christi, das das Verhör vor Pilatus darstellte, sah man in der ersten Szene auf der Vorderbühne die Juden vor dem Gerichtshaus. Darauf hob sich der Vorhang im Hintergrund, und nun spielten die beiden folgenden Szenen, die Handwaschung des Pilatus und die Geißelung Christi, auf einer kleinen, etwas erhöhten Hinterbühne. Anschließend erschien der Ganz zur Kreuzigung über diesen beiden Spielflächen, gleichsam auf einer Oberbühne. Wer weiß, wo Meister Jakob so viele Jahre später eine alte Form der englischen Komödiantenbühne sah, nach der er dann seine Spieluhr baute, damit er mehrere Bilder auf engem Raum darstellen konnte. Seit 1650 waren die Engländer verdrängt. Nun zogen deutsche Berufsschauspieler durchs Land, hatten von italienischen Wandertruppen noch eine zweite komische Figur, den Harlekin, übernommen. Sie zogen mit ihren Karren von Stadt zu Stadt, vom Bürgertum gemieden wie die Landstreicher, und boten, was das Publikum in jener verwilderten Zeit nach dem Dreißigjährigen Kriege willig machte, den Hut des einsammelnden Spaßvogels mit klingender Münze zu füllen. Sie traten auf als Akrobaten, Seiltänzer, Sänger, Fechter, Zauberkünstler und … Schauspieler. Sie spielten schaurige Mordgeschichten, „Haupt- und Staatsaktionen“ von Königen und Räubern, von Schändung und Wahnsinn, dazu tolle, derbe Possen in wildem Durcheinander. sie spielten auf freien Plätzen, in Buden und Scheunen, wenn es hoch kam, auch in Rathausälen – wie 1732 in Bunzlau. Leider wissen wir nichts Genaueres darüber, weil die bessere Gesellschaft „keine Notiz davon nahm“.
Zeitlich das nächste Zeugnis für die Aufgeschlossenheit der Bunzlauer für die Bühnenkunst ist die schon zweimal erwähnte Sngspieluhr des Meisters Jakob in der Niederstadt. 1787 zeigte er ihre ersten Szenen. Sie hat uns in dieser Abhandlung zuerst an die alten Mysterienspiele erinnert, dann die Shakespearebühne vor Augen gestellt. Man muß über den Kunstgriff des einfachen Mannes staunen, die alten Kreuzwegstationen im dramatischen Spiel für die Gegenwart lebendig zu machen, indem er sie auf die Bühne stellt, auf der seine Zeitgenossen herkömmlich „Spektakel“ sahen. Dadurch, daß er dabei in tiefeindringlicher Weise ernste Besinnung erreicht – denn so hat sie damals gewirkt, diese Spieluhr, vor deren Bildern die Russen 1813 andächtig niederknieten – hebt er das Bühnenspiel aus er entarteten Volksbelustigung auf die Höhe ergreifender, echter Kunst. Seltsam, wie der schlichte Handwerker damit unbewußt die Entwicklung kennzeichnet, um die sich die führenden Geister des Theaters und er Literatur – Gottsched, die Neuberin, Lessing, Goethe, Schiller – in diesen Jahrzehnten mühen. Noch in anderer Hinsicht eilt der praktische Mann seiner Zeit voraus. Wenn wir den Ablauf der Szenen genauer betrachten, die sich vor uns drehen, dann sehen wir, daß sie auf den Kreisausschnitten eines großen Rades aufgebaut sind, die nacheinander in das Tor des Bühnenvorbaues treten: das Prinzip der Drehbühne ist erfaßt und mit den primitiven Mitteln jener Zeit, mit Hebeln, Rädern, Wellen, Rollen und Gewichten an Bindfäden verwirklicht. Ist das eigene Erfindung des biederen Tischlermeisters? Woher hat er die Anregung? Das wird nicht zu klären sein,aber wir bedauern schmerzlich, daß dieses Kunstwerk, das Glanzstück unseres Heimatmuseums, sinnlos vernichtet worden ist. Wirklich ein unersetzlicher Verlust!
Wenn wir wissen wollen, was die Bunzauer in diesen Jahren auf der Bühne sahen, müssen wir in der „Bunzlauer Monatsschrift zum Nutzen und Vergnügen“ nachlesen, die seit 1774 in der Waisenhausdruckerei erschien. Da waren im Jahre 1796 zwei Vorstellungen einer Truppe in Bunzlau ausführlich geschildert. Am 2. 6. 1796 gab Schauspieldirektor Faller zu Ehren des Obristen von Pellet, des Kommandeurs der Garnison, eine Festvorstellung. Sie begann mit einem Prolog, den Madame Faller proklamierte. Dann wurde das „Inkognito“ gegeben. Am 14. 6. 1796 wurde der neue Ratsherr Liebner gefeiert, wieder durch einen Prolog und die Aufführung des Schauspiels „Das Bürgerglück“. Ein beeutungsvoller Wandel ist eingetreten. Das Theater steht in der Öffentlichkeit an geachteter Stelle, es ist gesellschaftsfähig geworden. 1804 bespricht die Monatsschrift die Tätigkeit des Direktors Butenop. „Wie bieder und rechtschaffen diese Familie außer dem Theater durch ihre stille, anständige und gute Lebensart die Herzen gewinnt!“ Deutlicher kann die Hebung der sozialen Stellung des Schauspielerstandes nicht ausgesprochen werden. Zwar waren die Bunzlauer Spieler nicht seßhaft, wie es bei den Truppen in größeren Städten um diese Zeit bereits üblich war, aber sie blieben doch einige Zeit am Ort. 1806 verweilte die Fallersche Truppe zwei Monate hier und gab wöchentlich fünf Vorstellungen. Vom Wandertheater fortgeschritten zur Theateraison, zur Spielzeit. Wir lesen die ersten Bunzlauer Theaterkritiken: 1804 „Herr Butenop ist ein wirklicher Künstler in seinem Fach, der auf großen Theatern gebildet, jedes Stück richtig studiert, in den Geist desselben eindringt, den Sinn und Ausdruck des Dichters erfaßt und durch lebendige, treue Darstellung in Wort und Handlung diese versinnlicht und so das Bild des Lebens, das ausgedrückt werden soll, rein vollkommen und richtig den Zuschauern vor die Augen stellt.“ Es ist nicht zufällig, daß bei oben genannten Stücken der Name des Dichters fehlt. In der vorangegangenen Zeit war alles Spiel Stegreifspiel, war die mimische Kunst unbeschränkt Herr der Bühne, sie schuf aus dem Augenblick, und wenn dem Spiel ein Text zugrunde lag, dann wurde er frei nach Vermögen und Laune gestaltet. Nun mußte die Schauspielkunst lernen, Dienerin der Dichtkunst zu sein, und der es sie vor allem lehrte, war kein geringerer als Goethe. Das ist sein Verdienst als Leiter des Weimarer Hoftheaters von 1798 bis 1817.
Sein Gehilfe dabei sei 1793, der 1817 mit ihm aus dem Amt schied, der Regisseur Anton Gnast, ein Schlesier, hatte seine Bühnenlaufbahn bei der Truppe in Bunzlau begonnen. Aus diesem Zusammenhange verstehen wir die Worte in der Kritik von 1804: „Jedes Stück richtig studiert .. Sinn und Aussage des Dichters erfaßt…!“ Wie genau läuft die Entwicklung der Bunzlauer Bühne neben der in Weimar her, natürlich mit weitem Abstand! Die Ausstattung der Bühne können wir uns kaum dürftig genug vorstellen, ob nun im Saal des Kronprinzen oder des Adlers oder im Rathause gespielt wurde. Wenn selbst Goethe und Schiller für den Krönungszug in der „Jungfrau von Orleans“ die Helme und Rüstungen aus Pappe schneiden und mit Gold- und Silberpapier überziehen ließen, wie mögen da erst die Ausstattungsstücke in Bunzlau ausgesehen haben! Noch im Frühjahr 1857, als Regierungsbaumeister Schiller seine junge Frau zum ersten Male in eine Vorstellung führte, standen die Kerzen an der Bühnenrampe in Tonklumpen, echt Bunzlau! Wir können aus auch kaum in eine Vorstellung jener Tage versetzen. Wenn die Studenten im Weimarer Theater die Wein- und Bierflachen von Mund zu Mund gehen ließen, so daß ihnen Goethe aus seiner Loge ein ärgerliches Wort zurief, da war es in Bunzlau erst recht üblich, sich nach Belieben zu unterhalten und sein Abendbrot zu verzehren, während am Schanktisch die Gläser klapperten. In der Pause wurde die schaulustige Menge durch Musik, kleine Singspiele und Ballette, auch durch Trapez- und ähnliche Künste unterhalten. Schwer und zäh hielt die Masse des Volkes an diesem „Theater“ fest, nur ganz allmählich stieg die Bühnenkunst aus der Niederung der alten Wandertruppe auf. So kommen wir in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Wie um die Jahrhundertwende die leichten und seichten Stücke von Kotzebue die Bühne beherrschten, so bereitete jetzt mit weniger bedenklichen Mitteln Benedix der Menge harmlose, ehrbare Theaterfreude, in dem er die lieben Verwandten, die bösen Dienstboten, die energischen Schwiegermütter, den zerstreuten Professor verspottete. Um diese Zeit spielte in Bunzlau oft die Theatergesellschaft Schiemang, deren Leistungen durch guten Besuch anerkannt wurden. Da war dann der Saal im Kronprinzen zu klein, obwohl er 1825 umgebaut worden war. So entstand im März 1857 der Plan ein Theatergebäude zu schaffen. „Die Kosten sollen etwa 3200 Taler betragen, welches Kapital sich durch die von Herrn Schiemang angebotene Pacht reichlich verzinst. Aber es dürfte dabei auch noch in Anschlag zu bringen sein der indirekte Nutzen für die Frequenz Bunzlaus, welcher als ein materieller Nutzen der Allgemeinheit zugute kommt. Das Theater hat aber auch den Beruf, als Mittelpunkt lokaler Geselligkeit zu dienen und zur sittlichen Bildung und Veredelung des Volkes beizutragen.“
1822 waren an der Nordseite der Stadt, zwischen den beiden Stadtmauern, zur Aufbewahrung der Ausrüstungsstücke für die Landwehr des Kreises ein Zeughaus erbaut worden. 1843 verkaufte es der Staat an die Stadt; seine Räume wurden dann als Schullokale und zu öffentlichen Versammlungen verwendet. Nun wurde eine Bühne angebaut und das Dach erhöht, um eine Galerie zu gewinnen. Das Weihnachtsfest 1857 bescherte den Bürgern den neuen Musentempel. Die Einweihungsfeier eröffnete ein szenischer Prolog „Die Bühnenweihe“ von Direktor Schiemang, in dem der Baumeister sein Werk der Kunst zum heiteren Schaffen übergab und der Schauspieldirektor diese der Gunst des Publikums empfahl. Dann wurde das vaterländische Schauspiel „Prinz Friedrich“ von Laube aufgeführt. Ein stürmischer Beifall dankte für Spiel und Ausstattung, die Kritik war mit rechten Bürgerstolz desLobes voll über Haus und Einrichtung. In diesem Theater fanden jährlich zwei Spielzeiten statt, die wegen der Kälte um ungeheizten Gebäude am Anfang und am Ende des Winterhalbjahres lagen, je von etwa fünf Wochen Dauer. Schiemang war in der ersten Spielzeit nach seinem Vertrage zu einer Kaution von 100 M und einer Pacht von 120 Taler verpflichtet, bei mindestens 30 Vorstellungen in der Spielzeit. So wurde denn fat täglich gespielt. Lustspiel und Posse herrschten. Erst auf Drängen der Kritik entschloß sich der Direktor, am 19. 2. 1858 „Hamlet“ zu geben, es folgten noch Schillers „Räuber“ und Freytags „Journalisten“. Bei einer solchen Vorstellung ging es damals zu wie bei einem Vereinsvergnügen, wenn es durch ein Laienspiel unterhaltender gestaltet wird. Zwischen den Akten spielte die Kapelle hinter geschlossenem Vorhang. Der Kellner drängte sich durch die Zuschauerreihen mit Erfrischungen. Manchmal knapperte auch dieser und jener Besucher am Programm, denn es war hin und wieder zur Förderung der Theaterfreudigkeit auf Oblatten gedruckt. Da fast täglich „Erstaufführungen“ waren, bestand die Vorbereitung in einer „Verständigungsprobe“. Dabei wurde oft das „Zusammenspiel“ gerühmt, sicher spielte dabei die wichtigste Rolle der Souffleur; deswegen hatte die Bühne – auch ein Zeichen der neuen Zeit im Theater – einen „Kasten“ für ihn. Mit ungehemmter Natürlichkeit folgten die Zuschauer jener Tage den rührseligen Stücken. Man muß an die heutigen Kindervorstellungen denken, wenn man sich die unmittelbare Wirkung vorstellen will. Bei besonderen Gelegenheiten entstand lebensgefährliches Gedränge, z. B. als am 25. 1. 1858 anläßlich der Vermählung des Prinzen Friedrich Wilhelm, des nachmaligen Kaisers Friedrich III. mit der Prinzessin Viktoria von England das Lustspiel „Zopf und Schwert“ von Gutzkow aufgeführt wurde. Außerhalb der Spielzeit gab es im Hause zugkräftige Sonderveranstaltungen, da tratenn Zauberkünstler und Hungerleider, Schnellfinger und Akrobaten, Seil- und Ballettänzer, Puppenspieler und Kunstturner auf, nicht zu vergessen fanden hier aber auch die höchst wertvollen Konzerte der Hofkapelle des Fürsten von Hohenzollern auf Hohlstein oder des Bunzlauer Kantors Knauer statt, der am 28. 12. 1864 den Niederschlesischen Sängerbund mit 20 Vereinen und 600 Sängern gründete. Höhepunkte im Leben dieses Theaters waren die Feiern von Schillers hundertstem Geburtstag am 10. 11. 1859 und Holteis Vortragsabend am 27. 4. 1861, bei dem er zur Sammlung für ein Opitz-Denkmal aufrief.
Aber nach einem Vierteljahrhundert war die Zeit dieses Hauses vorbei. Am 9. 12. 1881 fanden beim Brande des Ringtheaters in Wien mehrere hundert Menschen einen furchtbaren Tod. Die darauf ergangenen behördlichen Sicherheitsbestimmungen machten die Schließung des hiesigen Theaters notwendig. Das war ein schwerer Rückschlag. Während der folgenden Spielzeiten mußte wieder in Sälen gespielt werden, und nun ärgerten die alten Nachteile umso mehr. Nach lebhaften und aufregenden Erörterungen unter der Bürgerschaft und im Stadtparlament wurde am 11. 5. 85 der Umbau des alten Gebäudes beschlossen. Stadtbaumeister Dörich riß es bis auf die Umfassungsmauern ab und gestaltete das Innere neu, umschloß es mit anbauten für Wandelgänge und Treppen, für Garderoben und Lagerräume, erweiterte die Bühne nach hinten und gab ihr einen Schnürboden. Rund 49000 M gab die Stadt dafür aus. Am 30. 9. 86 stellte der königliche Baurat Schiller fest, „daß das Theater in allen seinen Teilen den Anforderungen genügt, welche die landespolizeilichen Bestimmungen an ein solches Gebäude stellen.“ Bei der Festvorstellung zur Einweihung am Sonntag, 3. 10. 1886, folgte einer Festouvertüre ein szenischer Prolog vom Schriftleiter des Bunzlauer Stadtblattes, Caesar Lax, „Des Hauses Weihe“ und darauf das Schauspiel in fünf Aufzügen „Valentin“ von Gustav Freytag. – In diesem Gebäude haben bis 1923/24 viele Direktoren mit ihren Truppen gespielt. Der Vertrag, den die Stadt mit Direktor Hohl zunächst für die nächste Spielzeit 1886/87 schloß, enthielt folgende Bestimmungen: er übernimmt Gebäude und Fundus mietefrei, auch ohne Lustbarkeitssteuer, er stellt eine Kaution von 1000 M und zahlt dan laufend zur Hälfte das verbrauchte Gas, die Bedienung der Zentralheizung und die Feuerwache. Dieser Vertrag ist den damaligen Stadtvätern hoch anzurechnen, da kann wohl von Kulturwillen der Stadt gesprochen werden. Er sollte „Schau- und Lustspiele, große Ausstattungsoperetten und Liebhaberspiele“ geben, er stellte sich eine Truppe von 15 Damen und 18 Herren zusammen. Die Preise der Plätze lagen zwischen 0,30 und 1,50 M, bei der Operette mit 0,25 M Zuschlag. Die Hauptsaison vom 3. 10. bis 29. 11. 86 brachte 43 Vorstellungen, darunter eine Oper (Preziosa, Das Nachtlager von Granada) und 14 Operetten. An Schauspielen wurde gegeben: Shakespeare, Die bezähmte Widerspenstige, Schiller, Maria Stuart, Kleist, Käthchen von Heilbronn, Freytag, Die Jourmalisten, Freytag, Graf Waldemar, Birsch-Pfeiffer, Mutter und Sohn. Unter den Lustspielen traten hervor L’Arronge, Hasemanns Tochter, und Dr. Klaus Der Weg zum Herzen. Als die Spielzeit mit dem Lustspiel „Die relegierten Studenten“ von Benedix schloß, brachen die Zuschauer in begeisterte Kundgebungen aus. Das finanzielle Ergebnis aber war unbefriedigent, obwohl das amüsierstück das ernste Schauspiel zurückgedrängt hatte. – Die Erfahrungen dieser Spielzeit waren bezeichnend für die folgenden Jahrzehnte. Die nächsten 35 Jahre sind ohne klare Linie, es zeigt sich ein unbefriedigende Schwanken. Es handelte sich dabei nicht nur um die Auseinandersetzung zwischen Direktor , Dichter und lustiger Person, wie wir sie von Goethes Vorspiel auf dem Theater kennen, wenn sie auch in dieser Zeit oft genug für die Öffentlichkeit entscheidend war, auch nicht um die finanzielle Grundlage, wenn diese Frage auch der Anlaß zur schließlichen Umgestaltung des Theaterwesens geworden ist, es geht um die Bedeutung der Bühne für das Volksleben schlechthin.
Zunächst noch standen die drei bestimmenden Faktoren, Stadt, Direktor und Publikum einander gegenüber oder doch getrennt. Die Stadtväter waren stolz darauf, ihren Bürgern ein Theater zur Unterhaltung und Belehrung zu bieten, aber höher stand ihnen die Rücksicht auf die sparsame Haushaltsführung der Gemeinde, und da vor jeder Spielzeit ein neuer Vertrag geschlossen wurde, hatten sie viel Gelegenheit, finanziellen Schaden möglichst von sich abzudrängen, der Direktor wollte schon aus fachlichem Ehrgeiz alle Wünsche erfüllen, aber vor allem wollte er verdienen, das Publikum war wohl theaterfreudig, aber nicht in der von der echten Kunst erwünschten Art, sondern herkömmlich oberflächlich und ausgelassen, zu gemütlich und derb zugleich. Es bedurfte jahrzehntelanger Erfahrung, bis ein befriedigendes Einvernehmen zwischen diesen Parteien erreicht war. Unverkennbar ist das Bestreben des Theaters, der wertvollen Kunst zu dienen, und die Kritik unterstützt es. Aber der Besuch entsprach nicht den Erwartungen. Da wurde denn das Schauspiel mit leichter Kost gemischt. Zur Feier des 90. Geburtstages von Moltke im Oktober 1890 wurde ein von Felix Dahn gedichtetes Fesspiel aufgeführt, das die patriotischen Bürger im Vorspiel nach „Walhalla 1870“ und im Hauptteil in „Moltkes Lager 1870“ führte. Hierauf schloß der Abend mit „Flotte Weiber“, Operettenposse in vier Akten von Leo Treptow und Görß. Solche für uns unmögliche Zustammenstellungen entsprachen dem Geschmack der Zeit. Oder es wurden klassische Dramen als billige Volks- und Jugendvorstellungen gegeben. Die Aufführungen ließen Sorgfalt vermissen, und der Magistrat beanstandete sie. Die Menge sollte durch Abwechslung angelockt werden. Immer neue Stücke ließen aber wenig Zeit zu Proben. Schon bemerkt die Kritik: „Bei der atemlosen Spannung des Publikums war umso mehr die Stimme der Souffleuse zu vernehmen, welche ihre Liebesdienste viel zu laut verrichtete.“ Das Publikum blieb dem Schauspiel gegenüber kühl, es verlangte musikalische Bühnenwerke. Als Direktor Pötter solche im Herbst 1889 brachte und dazu noch mehrfach neue und selbstgemalte Dekorationen beschaffte, mußte die Zeitung zwar anerkennen: „Wir haben es hier nicht mit einem sog. Opern- und Operettenensemble zu tun, sondern mit wirklichen Künstlern des großen Opernstils“, aber z. B. „Die weiße Dame“ von Boildieu brachte ganze 74 M Einnahme in die Kasse. Dieselbe Erfahrung machte Direktor Greiner, der von 1906 bis 1916 das Theater leitete. Schon 1891 wollte Direktor Karl die Zwischenaktmusik einsparen, sofort rügte es die Kritik als „Beweis von geringer Kulanz gegen das Publikum“, weil „die Pausen unter einer öden Leere litten“. Im Winter 1894 versuchte er es mit einem dringenden Aufruf zum Kauf von Abonnentenkarten, für das Dutzend der besten Plätze im Mittelbalkon zahlte man 15 M, für Sitzgalerie 3,50 M1 Und doch waren manche Vorstellungen nur von 40 oder 50 Personen besucht, manche fielen ganz aus. Also wurde seltener gespielt. Dafür war die Vereinigung von benachbarten Theatern in einer Hand günstig, mit Glogau oder Bautzen oder Zittau oder Görlitz. Man ging von der geschlossenen Spielzeit ab und gab immer nur einige Vorstellungen nach mehrwöchiger Pause. Ein beliebtes Mittel, um die Bühne immer wieder zugkräftig zu machen, waren dabei Gastspiele. Durch sie hatten die Besucher kleiner Bühnen die Freude, Künstler von Rang und Namen kennen zu lernen. Daher verpflichtete Bunzlau wie andere Städte die Direktoren vertraglich zu solchen Gastspielen, gewöhnlich zwei in der Spielzeit. Auch ganze Truppen spielten als Gast, so mehrmals die Tegernseer aus Egern, die bayrische Volkskunst durch Deutschland trugen. Etwas ganz besonderes war das Gastspiel des „Ersten Deutschen Hoftheaterensembles Meiniger Hofschauspieler“, das unter der Leitung von Direktor Mößl am 29.4. 1902 den „Erbförster“ von Otto Ludwig und am 30. 4. das Lustspiel „Ewige Liebe“ von Hermann Faber spielte. Die Meininger bemühten sich um ein möglichst naturgetreues Bühnenbild, sie verwiesen endgültig die Kulissenbühne von den Theatern. Es ist erfreulich, daß ein Streiflicht von der Musterbühne des Herzogs Georg II. von Meinigen auf diese Weise auch nach Bunzlau gefallen ist.
In diesen Jahren um die Jahrhundertwende hatte Direktor Hartmann aus Görlitz das Bunzlauer Theater mit übernommen. Als er nach Schluß der Spielzeit 1902 nach Leipzig ging, stellte ihm der Magistrat ein höchst ehrenhaftes Zeugnis aus: „Er hat sich als vorzüglicher Bühnenleiter bewährt, der wie kaum ein anderer die Eigenschaften für dieses Fach besitzt, Umsicht, praktischen Blick, Erfahrung, tüchtige Kenntnisse, hohe künstlerische Begabung. Unter seiner Leitung hat das hiesige Theater eine Höhe erreicht, welche mit der Leistung größerer Bühnen wohl konkurrieren konnte, ja diese häufig genug übertroffen haben wird.“ Solche Leistungen, vor allem im Gegensatz zum klingenden Erfolg, haben wohl bei den Stadtvätern die Einsicht reifen lassen, daß ein Theater kein wirtschaftliches Unternehmen ist, sondern daß bei ihm finanzielle Fragen zurücktreten müssen. Hartmann war daher nicht nur von allen Zahlungen befreit, sondern erhielt eine Barunterstützung von 450 M und so nach ihm dann jeder Direktor, der seinen Vertrag in bezug auf Zahl und Art der Vorstellungen erfüllte. Ein Erlaß des Preuß. Innenministeriums vom 5. 12. 1899 hatte ja auch allen Behörden nahegelegt, dem Theaterwesen die gebührende Beachtung zu schenken. – In den Sommern 1912 und 1913 spielte die Theaterdirektion Moosbauer-Remmertz aus Schweidnitz auf einer Naturbühne, wie sie nach der Jahrhundertwende an vielen Orten entstanden. Im vorderen Teil der Zeche war die Spielfläche hergerichtet, die im Grün der Bäume mit den Türmen der Stadt im Hintergrunde den Aufführungen einen recht stimmungsvollen Rahmen gab.
Während des Krieges wuchsen alle Schwierigkeiten. Sparsamste Spielführung schuf Unzufriedenheit bei Publikum und Presse. Bei dem Mangel an Heizstoffen blieb das Theater kalt. Die Preise stiegen, Theaterbesuch wurde Luxus. Der Kartenhandel gegen Nahrungsmittel verbesserte die Lage nicht. 1918 bis 1920 war das Theaterspielen für alle Beteiligten alles andere als eine Freude. Als Direktor Remmertz 1920 das Theater übernahm, waren die Verhältnisse reif zur grundsätzlichen Änderung.
Remmertz war bemüht, wertvolle Vorstellungen zu bieten. Doch die Geldentwertung nahm langsam aber sicher jede Möglichkeit des Aufbaus. Er sah als ersten den einzigen Weg zur Rettung: am 22. 12. 1921 legte er dem Magistrat den Entwurf eines Aufrufes zur Gründung einer Theatergemeinde vor, aber er fand keine Zustimmung. Darauf veröffentlichte er den Aufruf selbst, aber ohne Erfolg. Noch zeigten sich hier das Bestreben der Stadt, das Theater als Geschäftsunternehmen eines Privatmannes zu behandeln und sich vom Risiko freizuhalten. Der Bürgerschaft aber fehlte noch das Verständnis für das Theater als eine Kulturfrage. In beiden Hinsichten schuf die allernächste Zeit grundlegend Wandel.
Die Notlage zwang die Stadt, ihren Zuschuß zu erhöhen. Sie sorgte dafür, daß die Erhöhung der Eintrittspreise sofort den Schauspielern zugutekam, sie gab ihnen nach Schluß der Spielzeit noch eine Unterstützung. So trat der Rat immer mehr an die Seite und an die Stelle des Direktor, freilich mit der scheuen Vorsicht, die Verantwortung für unbegrenzte Freibeträge zu übenehmen. Da kam Hilfe aus dem Kulturwillen der Bürgerschaft. Seminaroberlehrer Dr. Alfred Schmidt hatte nach dem Kriege Freunde der Dichtkunst und der Musik unter dem Namen „Kulturpflege“ gesammelt, die sich in der Aula der Waisen- und Schulanstalt zu wertvollen Abenden zusammenfanden. Da wurde auch das Laienspiel mit bestem Erfolg gepflegt. Hier entstand das, was dem Theater fehlte, eine dankbare Kulturgemeinde.
So waren durch die Entwicklung, die drei für das Theaterleben der Stadt wichtigen Faktoren aufgeschlossen worden. Der Anstoß zu ihrem Zusammenschluß kam 1922 von außen her, von der Volksbühnenvereinigung in Berlin. Durch die Anlehnung an den großen Verband gewann die Kulturpflege Sicherheit und Förderung, das Theater erhielt durch eine Besuchergemeinde wirtschaftlichen Rückhalt, wodurch der Stadt die Sorge für das Theater erleichtert wurde: allen drei brachte der Zusammenschluß die Erfüllung ihrer Wünsche. Die am 7. 12. 22 gegründete „Freie Volksbühne Bunzlau“ belegte nun im Theater geschlossene Vorstellungen. Das war eine bedeutende Hilfe, aber die immer rascher fortschreitende Geldentwertung machte sie wirkungslos. Da öffnete sich ein Ausblick auf Staatshilfe. Das Finanzausgleichsgesetz vom Juli 1923 sicherte den Ländern und Städten einen Zuschuß des Reiches zur Besoldung ihrer Beamten und Angestellten zu. So hoffte man Reichszuschüsse zur Besoldung der am Theater Beschäftigten zu erhalten, wenn diese städtische Angestellte waren, das Theater also städtisch und kein Geschäftsunternehmen war. Also machte die Stadtverordnetenversammlung das Theater zu einem Stadttheater im eigentlichen Sinne, und Direktor Remmertz wurde Intendant. Aber die Reichszuschüsse wurden für das kleine Bunzlauer Theater verweigert, während die größeren in Görlitz und Brieg sie erhielten. Damit drohte die Auflösung. Sie war nur dadurch abzuwenden, daß man den Betrieb ganz auf Besucherorganisation aufbaute. Im August 1924 übernahm die Volksbühne die Verantwortung, Direktor Remmertz wurde ihr Geschäftsführer. Unter Verzicht auf eine eigene Truppe hoffte man mit Gastspielen der benachbarten Theater auszukommen. Aber nach der Umstellung auf Goldmark war das Geld so knapp, daß dieser Plan mißglückte. Da half der Verband der Volksbühnen vereine. In seinem bemühen, auch kleine Städte mit guten Bühnenspielen zu versorgen, belebte er den alten Gedanken des Wandertheaters. Sein „Ostdeutsches Landestheater“, das in Pommern, Schlesien und Sachsen spielte, gestützt auf Besuchergemeinden, gab im Winter 1924/25 auch in Bunzlau gute Vorstellungen.
Da immer mehr Städte bespielt werden wollten, entschloß sich der Verband, für Schlesien ein eigenes Wandertheater aufzustellen. Es gelang dem Magistrat und der Volksbühne Bunzlau durch Vertrag vom 28. 4. 1925, Bunzlau zum Sitz des „Schlesischen Landestheaters“ zu machen. Damit war die Zeit des Geschäftstheaters endgültig vorbei, Bunzlau hatte eine gemeinnützige Bühne, der Weg war frei zum Kulturtheater. Vier Jahre, von 1925 bis 1929 leitete es Direktor Heinemann.
In der ersten Spielzeit vom 16. 9. 25 bis 30. 5. 26 brachte es 24 Stücke heraus, die es in 197 Vorstellungen zeigte, davon 86 in Bunzlau. Es wurde außerdem in Neusalz, Löwenberg, Fraustadt, Sprottau, Reichenbach, Nimptsch, Groß Wartenberg, Schmiedeberg, Striegau, Freiburg, Neumarkt, Neurode, Waldenburg, Obernigk, Trebnitz, Guhrau, Görlitz, Hirschberg, Haynau, Sagan, Beuthen an der Oder, Krossen an der Oder, Freystadt gespielt. Überall mit gutem Erfolg. Der Spielplan brachte Shakespeare (Was ihr wollt), Schiller (Kabale und Liebe), Moliere (Tartuffe), Anzensgruber (G’wissenswurm), an modernen Werken Ibsen, Thoma, Romain Rolland, Max Halbe, Klabund, Ortner, Strindberg, Wilde, Schnitzler, dazu Lustspiele und Schwänke wie Schönthan (Raub der Sabinerinnen), Laufs (Pension Schöller).
Mit Beginn der Spielzeit 1929/30 wurde Dr. Pempelfort künstlerischer Leiter. In seinem Bemühen, die Leistungen seines Wandertheaters auf die Bühnen größerer Städte zu heben und möglichst immer das neueste zu bieten (Dreigroschenoper 1929) brachte er es zu staunenswerten Aufführungen, dabei verlor er die Fühlung mit dem Kleinstadtpublikum, so daß Protest aus der Bürgeschaft gegen Spileplan und Spielführung kam. Dadurch wurden manche Stücke nur in freien Vorstellungen, nicht als geschlossene Vorstellung für die Besuchergemeinde gegeben. Dadurch ließ der Besuch langsam nach. Dazu wirkte es sich höchst nachteilig aus, daß damals das gesamte öffentliche Leben unter der politische Verwirrung jener Zeit stand. Die Bunzlauer Theatergemeinde war ohne jede politische Bindung entstanden, nur zur Förderung der kulturellen Bestrebungen. So waren meist Bürgerliche beigetreten, und deshalb blieben Arbeiter fern. Rechtsstehende Bürger aber lehnten die „Freie Volksbühne“ ab, so daß im Odeonsaal die Wanderbühne des „Bühnenvolksbundes“ Gastvorstellungen gab, der anderwärts diese Kreise gesammelt hatte. Noch schärfer wurden die Gegensätze, als die „Deutsche Bühne“ im Odeon spielte, die Wanderbühne des Kampfbundes für deutsche Kultur, den Alfred Rosenberg 1929 gegründet hatte. Als sich 1932 eine Ortsgruppe dieser nationalsozialistischen Gemeinschaft gründete, verlor die Volksbühne an Mitgliedern. Sie verging mit der Zeit, er sie gedient hatte. Ihr Verdienst ist, daß sie den Gedanken einer solchen Besuchergemeinde als unbedingt notwendige Voraussetzung für ein Theater in unserer kleinen Stadt eingebürgert hat.
Wie auf allen Gebieten trat der Nationalsozialismus auch im Theaterwesen mit dem Anspruch auf, Erfüller aller Hoffnungen zu sein. Mit einem Achlage sollte die deutsche Nationalbühne verwirklicht werden, an die Lessing geglaubt, von der Schiller begeistert geschrieben hatte, die der Freiherr vom Stein schon 1808 nach seinem Entwurf für eine Verfassung in das Bildungswesen des Volkes einbauen wollte. Der neue Staat sicterte sich ein strenges Aufsichtsrecht über das gesamte Theaterwesen. Sämtliche Intendanten wurden vom Minister des Inneren Göring ernannt. Die „Deutsche Bühne“ wurde die einzige Besucherorganisation, alle anderen wurden ihr eingegliedert. In Bunzlau führte ihrer Ortsgruppe am 28. 7. 1933 eine Werbeversammlung im Stadttheater 900 Mitglieder zu; am 22. 9. 1933 leitete ein Fackelzug die Werbung für eine Jugendgruppe ein. Bunzlau wurde Sitz eines der drei Wandertheater der „Deutschen Bühne“ in Schlesien. Nach dem Vertrag der Landesleitung der Deutschen Bühne und der Stadt übergab diese das Gebäude und verpflichtete sich zu einem jährlichen Zuschuß von 5500 RM. Intendant Waechter eröffnete die Spielzeit mit „Wilhelm Tell“. Im Sommer des nächsten Jahres vereinigte Alfred Rosenberg die Deutsche Bühne mit dem Kampfbund für deutsche Kultur zur „Nationalsozialistischen Kulturgemeinde“, die außer der Bühnenkunst noch Musik, Film, Bildende Kunst, Vortragswesen, Schrifttum betreuen sollte. In der folgenden Spielzeit 1934/35 gab Intendant Waechter 117 Vorstellungen, davon 42 in Bunzlau, die anderen in Hirschberg, Lauban, Schreiberhau, Löwenberg, Landeshut, Haynau, Schmiedeberg, Neumarkt, Steinau, Kotzenau, Militsch, Weißwasser, Liebau; gespielt wurde u. a. Schiller (Maria Stuart), Kleist (Der zerbrochene Krug), Goethe (Laune des Verliebten), Laube (Die Karlsschüler), Presber (Das Frühstück von Rudolstadt), Halbe (Der Strom), Förster-Burggraf (Alle gegen einen, einer für alle), dazu die Lustspiele Impekoven (Liebe in Not), Ösau (Zehn Kinder), Hinrichs (Wenn der Hahn kräht), Müller und Lorenz (Christa, ich erwarte dich), Sturm und Färber (Extemporale). Das Vertrauen der Bürgerschaft sprach sich darin aus, daß die Mitgliederzahl der Besuchergemeinde über 1000 stieg. Es war eine Zeit der Zuversicht und Hoffnung. Aber das Reichstheatergesetz vom 15. 5. 1934 hatte alle Theater dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Goebbels unterstellt. Die Kunst wurde Dienerin des staatlichen Willens. Der diktatorisch regierte Staat begann das gesamte Volksleben politisch zu fesseln. Die bisher nur auf freiem Willen beruhende Vereinigung der Besucher wurde der Zuständigkeit Rosenbergs entzogen und dem Reichsorganisationsleiter Ley unterstellt, der sie der Vergnügungsorganisation „Kraft durch Freude“ in der Deutschen Arbeitsfront eingliederte. Da verschwand mit der Ortsgruppe der NS-Kulturgemeinschaft auch die Jugendbühne, weil der einzigen staatlichen Jugendvereinigung, der Hitler-Jugend. Auch die Erziehung der Jugend in künstlerischer Hinsicht übertragen wurde. Also wurde für Jungen und Mädchen Theaterbesuch als „Dienst“ angesetzt, und Kdf verkaufte die Eintrittskarten durch die Amtsverwalter in den Betrieben, auf diese Weise wurden auch Besucher aus dem Kreise herangeholt, in einer Zahl, wie es vorher nie erreicht worden war. Die alten, treuen Besucher lösten ihre Karten nun im freien Verkauf an der Kasse. Das Theater war immer voll. Als nach Beendigung des Polenfeldzuges Intendant Waechter mit seiner Truppe im Winter 1939 in Ostoberschlesien eingesetzt wurde, sah ihn die Stadt mit großem Bedauern scheiden. Bunzlau wurde zunächst von den Bühnen in Görlitz und Liegnitz mit Gastspielen bedient. Aber die Rücksicht auf den mühsam in den letzten Jahren um Bunzlau aufgebauten Spielkreis zwang dazu, diesem wieder eine neue Truppe zu geben. Dr. Doerry überwand mit Energie die unter den Kriegsverhältnissen nicht geringen Schwierigkeiten beim Aufbau des technischen und vor allem des künstlerischen Personals. Er eröffnete die Spielzeit 1941/42 am 24. 9. 1941 mit „Kabale und Liebe“ und erntete reichen Beifall der Zuschauer und hohe Anerkennung der geladenen Gäste aus Stadt und Provinz. Die Tradition war damit gesichert. Hervorzuheben wäre in diesem Winter noch eine gute Aufführung von Kleists „Zerbrochenem Krug“. In den folgenden Spielzeiten 42/43 und 43744 war eine Truppe trotz aller Bemühungen nicht in der gewünschten Zusammensetzung aufzustellen. Es fehlten vor allem jugendliche männliche Kräfte. Das war entscheidend für den Spielplan. So konnte Dr. Doerry erst wieder im Winter 1943 einen Klassiker herausbringen, und die Mühe lohnte sich. Grillparzers „Medea“ wurde 33mal gespielt, 16mal in Bunzlau, 13mal in Brieg, 3mal in Sagan. Diese Zahlen beweisen die treue Gefolgschaft der Besucher beim ernsten Bemühen der Theaterleitung, auch unter schwersten Umständen ein hohes Niveau zu halten. Freilich herrschte im übrigen in diesen Monaten steigender Kriegspsychose – in gleicher Weise bedingt durch die begrenzte leistungsfähigkeit der Spielschar, durch das Verlangen des breiten Publikums wie durch den Willen der nationalsozialistischen Propagandaleitung – die heitere Muse. Für die Staatsführung war das Theater nun ein Mittel, um das Volk von der drohenden Gefahr abzulenken und willig zu erhalten. Die Bühne – gehorsam wie alle anderen Organisationen des staatlichen Lebens – tat ihre Pflicht unter Einsatz der letzten Kräfte. Mit dem Ende der Spielzeit 43/44 fiel der Vorhang endgültig, denn die Vorbereitung der Spielzeit 44/45 mußte wegen der allgemeinen Schließung der deutschen Theater abgebrochen werden. Die weiblichen Mitglieder der Truppe wurden sofort dienstverpflichtet und zwar für eine körperlich viel zu schwere Arbeit in einem eisenverarbeitenden Betrieb, die Herren wurden beim Unternehmen „Bartold“ in der Gegend von Namslau zu Schanzarbeiten eingesetzt. Die Bühnenkunst ging mit dem gesamten Volksleben in der Verwirrung der Auflösung unter. Ehe nach der letzten „Medea“-Aufführung ein Jahr vergangen war, waren Darsteller und wohl die meisten Zuschauer in der gleichen Lage wie Jason und Medea: Vertriebene, die mit ihren Kindern in der Fremde um Schutz und Obdach bitten mußten. Das war das traurige Ende einer mehrhundertjährigen reichen Tradition.
Die aus der Heimat vertriebenen Bunzlauer begingen die 100-Jahrfeier ihres Stadttheaters bei ihrem Treffen Pfingsten 1958 in ihrer Patenstadt Siegburg mit Wehmut und Stolz: die Geschichte des Bunzlauer Stadttheaters ist ein kleines Beispiel für die deutsche Kulturleistung in Schlesien.