Einiges über den Bunzlauer Boberviadukt

Veröffentlicht von Milan Koncz am

Erstveröffentlichung im „Heimatbuch des Kreises Bunzlau“. Erste Auflage. Selbstverlag der Herausgeber. Druck von L. Fernbach, Waisenhausdruckerei und Verlagsanstalt. 1925

Vorgeschichte:

Wer heute als Reisender den Boberviadukt überfährt, und das schöne Panorama von Bunzlau bewundert, die fruchtbaren Auen des Bobertals, sowie Schlesiens Stolz, das wunderschöne Riesengebirge, ahnt vielleicht nicht, daß dieser Viadukt als erstes Großartiges Bauwerk in Schlesien allgemeine Bewunderung erweckte und als eine Zierde der Provinz galt. Sein Wert liegt nicht in seiner Größe oder Höhe, sondern in der Gewissenhaftigkeit seiner Ausführung. Welche Lasten tragen und welchen Verkehr dieser Bau einmal in Zukunft bewältigen würde, daran hatte man beim Bau nicht geglaubt. – Ehe ich zu dem Bau selbst komme, möchte ich noch um einige Jahre zurückreisen.

Der Engländer Georg Steffensen erfand vor hundert Jahren die erste Lokomotive, welche imstande war, große Lasten auf Holz- oder Eisenschienen schnell fortzubewegen. 1819 fand seine erste Probefahrt statt, welche glänzend verlief. Vorher zweifelte man an dem Verstande des Erfinders. Man meinte, wenn die Bahnen schneller führen als ein Wagen, schade es den Reisenden; das Vieh würde scheu, die Bauern würden kein Land hergeben usw. –

In Deutschland erlebete man etwas Aehnliches. Carl August Borsig, Berlin-Tegel, der 1835 eine Lokomotiven-Bauanstalt gründete, war als einfacher Zimmermanns-sohn von Breslau mit dem Ratskellerwirtssohn Engelhardt Gansel aus Bunzlau nah Berlin gewandert, um die dortige Königl. Gewerbeschule zu besuchen; Borsig als Maschinenbauer, Gansel als Maurer. Während Borsig wie Krupp auf dem Gebiete des Lokomotiven- und Maschinenbaues Außergewöhnliches leisteten, hatte Gansel Gelegenheit, sich durch Ausführung großer Bauten einen Namen zu machen. Gansel war auch als einer der besten Schüler des Königl. Gewerbeinstituts in Berlin auf Staatskosten nach England gesandt worden, um dort den Mühlenbau zu studieren und darin in seiner Heimat vorbildlich zu wirken.

Ein neues industrielles Aufblühen Deutschlands konnte beginnen: Verkehrs-mittel waren geschaffen. – Nachdem 1835 in Deutschland die erste Bahn zwischen Nürnberg und Fürth begonnen hatte, schloß sich 1837 die Linie Leipzig – Dresden, später Berlin – Potsdam an, Frankreich und Italien blieben im Eisenbahnbau weit zurück.

Nun sollte Berlin mit Schlesiens Hauptstadt Breslau verbunden werden. Nachdem es während der Jahre 1837 – 1843 mehreren für den Bau der Eisenbahn von Berlin nach Breslau zusammengetretenen Gesellschaften nicht gelungen war, das erforderliche Baukapital zusammenzubringen, wurde im Jahre 1843 der Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahngesellschaft die Genehmigung für den Bau und Betrieb einer an die Berlin –Frankfurter Eisenbahn sich anschließende Eisenbahn über Liegnitz nach Breslau, sowie einer Anschlußbahn nach Görlitz bis zur sächsischen Landesgrenze, erteilt. Man stritt sich lange, ob die Bahn über Sagan – Sprottau – Haynau oder über Sagan – Bunzlau – Haynau gehen sollte. Am 13. 1. 1842 war bereits einer Gesellschaft die Konzession zum Bau einer Eisenbahn von Frankfurt über Guben – Sorau –Sagan – Sprottau – Bunzlau erteilt worden. Die Einmündung in Bunzlau war damals eine beschlossene Sache und sollte hier ein größerer Bahnhof als in Liegnitz entstehen. Bunzlau, als Stadt mit damals 6000 Einwohner, bot alles auf, die Bahn nach hier zu bekommen und hob in einer Eingabe von 13 Punkten die Vorteile dieses Planes hervorM vor allem das billige Holz- und Steinmaterial, welches die hiesige Gegend liefern und den Bahnbau billiger machen konnte. Wohl an 30 Steinbrüche wurden hervorgehoben, besonders die Spezialität zu Pflasterplatten für Hausflure, sowie Mühl- und Schleifsteine wurden erwähnt. Auch der gute Bunzlauer Ton wurde empfohlen zum Anstreichen der Lederkoppel für das Militär; sowie daß Vorhandensein von Eisenhütten und Getreide. Es wurde betont, daß Berlin und Frankfurt seine Sandsteine nicht aus dem Ausland, d. h. aus Pirna i. Sa. auf dem Wasserwege holen sollte, sondern auf dem kürzeren Landwege mit der Bahn aus Bunzlau. Bereits am 28. August 1843 wurde der Bau der 63,96 km langen Strecke zwischen Breslau und Liegnitz begonnen und am 19. Oktober 1844 erfolgte die Uebergabe für den öffentlichen Verkehr. Die Eröffnung der 45,31 km langen Strecke von Liegnitz nach Bunzlau erfolgte am 1. Oktober 1845. Am 1. September wurde erst der Görlitzer Bahnhof in Betrieb genommen. Seit 1860 erhielt die Bahn Doppelgleis. Auf der 1 1/2 Meilen breiten Wasserscheide zwischen Bober und Queis befindet sich der höchste Punkt zwischen Breslau und Berlin – 210 m über Meereshöhe.

Nachdem die hiesige Kämmerei zur Förderung der Eisenbahn dadurch bedeutende Opfer gebracht hatte (gegen 25000 Taler), daß sie das der Kämmerei gehörige, zur Bahnlinie wie zum Bahnhof nötige Gelände unentgeltlich bewilligt und außerdem die Entschädigung der ackerbauenden Bürgerschaft, deren Besitzungen die Linie berührte, übernommen hatte, nachdem alle diese Schwierigkeiten behoben waren, und die Bahnlinie feststand, schritt man zur Vergebung der Arbeiten. Man übertrug dem Maurermeister Engelhardt Gansel den Bau des Viaduktes im Entre-Prise, d. h. gegen Pauschalsumme.

Vom Bau:

Der Bau des Viaduktes begann am 17. Mai des Jahres 1844. Eine Kaution mußte gestellt werden. Bargeld schien damals auch zu fehlen. Statt der Kaution von 8000 Reichstalern wurde der Niederschlesisch Märkischen Eisenbahngesellschaft zu Berlin das weitbekannte Landhaus des Erbauers Baumeister Engelhardt Gansel verpfändet. Der Bau gedieh nun soweit, daß schon am 5. Juli 1846 die erste Probefahrt über den Viadukt von Bunzlau bis Sorau stattfinden konnte. Am 17. September 1846 kam das Königspaar von Berlin mit einem Extrazug auf dem hiesigen Bahnhof an und der König äußerte sich sehr befriedigt im Beisein des Erbauers über den von ihm besichtigten Viadukt.

Am 29. Juli 1853 besichtigten Königin Maria von Bayern und der Prinz Albrecht von Preußen bei ihrer Durchreise die Stadt, besonders den Viadukt, der neben dem großen Topf die größte Anziehungskraft bildete.

Die Erdauffüllung der Dämme mag wohl große Schwierigkeiten gemacht haben und dafür hat der  heutige Post- und Bahnhofsplatz – damals ein Kiesberg – seine Kiesmassen hergegeben. Die beiden Dämme sind 64 Fuß hoch (20 m) und ergeben westlich 88.000, östlich 60.000, zusammen 148.000 Schachtruthen (660.000 ccm) Erdauffüllung.

Vom Fundament bis zur Oberkante des Geländes sind 83 Fuß (826 m). Die Länge des Viaduktes beträgt 1556 Fuß (490 Meter). Er besteht aus 35 Bogen, darunter 7 Flußbogen (je 48 Fuß = 15 m weit) mit vollen Zirkeln, 20 mittleren Bogen (je 36 Fuß = 11,30 Meter) und 8 Anschlußbogen (je 18 Fuß = 5,65 Meter) breit. Die Pfeiler, darunter 3 Hauptpfeiler (Türme genannt), sind voll und massiv und haben eine Stärke von 12 Fuß = 3,75 Meter bei den Flußbogen, 10 Fuß = 3,15 Meter bei den Landbogen. 8 Fuß = 2,50 Meter bei den Anschlußbogen.

Die drei Hauptpfeiler kann man mit 92 Stufen von innen besteigen. In denselben sind drei Räume übereinander, wovon der oberste im Mittelturm als Wärterbude diente. Der Mittelturm ragt über die Bahn 13 Fuß empor und sollte als Telegraph dienen. Die Breite des Viaduktes beträgt 25 1/2 Fuß = 8 Meter. In demselben sind 7500 Schachtruthen = 33.400 cbm Mauerwerk enthalten, wozu 206.000 cbf = 6375 cbm behauene Werksteine, außerdem noch 2100 Schock = 126.000 Stück Bindesteine und 1200 Schock = 72.000 Stück rohe Wölbesteine geliefert wurden. Der Unterbau der Wasserpfeiler steht auf Pfahlrosten zwischen Spundwänden. Der Oberbau des Viaduktes ist folgendermaßen konstruiert:

Auf den Wölbungen der Pfeiler liegt ein 174 Zoll starker Asphaltguß, der allein 4000 Reichstaler kostete, darauf kam eine Schüttung Sand, dann eine Kiesbettung für den Oberbau, hierauf die Schienen für Doppelgleise, neben und zwischen denselben ein Steinpflaster zur Abführung des Wassers in den daneben angebrachten Rinnen. Der größte Teil der Sandsteine kam aus den Ganselschen Steinbrüchen in Dobrau, der andere aus Warthau und den der Kämmerei gehörigen Brüchen.

Es wurden je nach Bedürfnis beschäftigt: 2 Ober- und 17 andere Poliere, 250 Maurer, 350 Arbeiter. Auf der 1 1/4 Meilen langen Strecke der 3. Abteilung Bunzlau – Thomaswaldau wurden 1800 Erdarbeiter, auf der Strecke Hermannsdorf – Bunzlau bei der 4. Abteilung  1000/2800 Erdarbeiter gestellt. in dem Dobrauer Steinbruch von Gansel waren noch 300 Steinarbeiter, in den Städtischen Steinkammern 130 Steinarbeiter beschäftigt.

Durch diese große Arbeiterzahl aus allen Gauen Deutschlands zur Herstellung der Bahn schnellten die Löhne um etwa 1/3 plötzlich in die Höhe. Gar mancher Arbeitgeber war dieserhalb über die Herstellung der Bahn nicht gerade entzückt und es kamen andere Arbeiten in Rückstand. Die Maurer erhielten bei 12 Stunden Arbeitszeit 17 Silbergroschen, die Arbeiter 9 Groschen, also gerade die Hälfte der Gelernten.

Die ganze Bauzeit reichte vom Mai 1844 bis Juli 1846. Die Arbeiten an den Fundamenten dauerten vom Mai 1844 bis Juni 1845. Im Mai 1845 wurden die letzten Spundwände zu den Pfeilern im Mühlgraben gerammt. Die Wölbungen der Pfeiler begannen im Laufe des Sommers und endeten im November 1845. Vom September bis November 1844 mußte besonderer Umstände wegen Tag und Nacht gearbeitet werden, wofür doppelte Löhnung gezahlt wurde.

An Kalk war erforderlich: 12000 t Weißkalk (je 1 Taler 12 Silbergroschen), 2500 t hydraulischer Kalk (je 2 1/2 Taler), 400 t Zement (je 6 Taler). Die Fuhren für Sand und Steine kamen auf 20000 Taler. Das Baugerät einschließlich der Spundwände kostete 60000 Taler. Hundert Zimmerleute waren an dem Bau des Gerüstes unter Leitung von Zimmermeister Buchholz beschäftigt. Gegen 12000 Stämme zu 50 bis 80 Fuß (Länge 15 bis 25 m) wurde dazu verwendet.

Die Gesamtkosten für den Viadukt betrugen einschließlich aller Gehälter, sämtlicher Ober- und Unterbauten, Materialien, Fangdämme, Lieferung aller Arbeits- und Wölbungsgeräte, Maurer-, Steinhauer- und Handlanger-Lohngeldern ungefähr 400000 Taler.

Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß die Kosten dieses Baues in anderen Gegenden, wo das nötige Baumaterial erst aus der Ferne beschafft werden mußte, wohl das doppelte gekostet haben würden.

Während späterer Kriege ist der Viadukt, um ihn vor Sprengungen durch den Feind zu schützen, stets von Landsturmleuten bewacht worden. Es wäre auch schade, wenn ein solcher Bau der Vernichtung anheimfiel, der in solcher Schönheit kaum wieder entstehen könnte.

Drum, dreifach ist die Erhaltung der Werke unserer Väter wichtig; den sie dient:

„Der Vergangenheit, um zu ehren,

der Gegenwart, um zu lehren,

der Zukunft, um zu mehren!“ –

Im Museum zu Bunzlau befindet sich eine Sammlung wertvoller Bilder dieses Bauwerks vom Verfasser.

Peter Gansel (Heimatbuch des Kreises Bunzlau von Haude und Gocke im Jahre 1925)

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