Heimat-Erfahrungen und Heimat-Gedanken
von Peter Börner
Per E-Mail erhielt ich von Dr. Josef
Gonschior aus Ratibor, einem großartigen oberschlesischer Unterstützer der
Bunzlauer, freundlicherweise den Text seines kürzlich gehaltenen Vortrags „Joseph
von Eichendorff – seine Sehnsucht nach der Heimat“, verbunden mit einer naheliegenden
und doch schwierigen Frage: „Was ist
Heimat für Sie?“
Als Heimatvertriebener, Vorsitzender
einer Heimatgruppe und Beiträger für die Bunzlauer Heimatzeitung und als
gründlicher Mensch blieb mir nichts anderes übrig, als darauf eine Antwort zu
suchen. Das Ergebnis meines Nachdenkens könnte auch für Leserinnen und Leser im
Internet von Interesse sein, vielleicht sogar eine Diskussion anstoßen.
Was ist „Heimat" für mich…?
In unserer modernen, zunehmend
"globalisierten" Welt ist sie ein lieber,
unentbehrlicher, vor allem seelischer,
aber auch räumlicher Ort,
an dem ich Vertrautheit und Geborgensein erfahre.
Allerdings wird für mich wie alle sich
ihres Heimatvertrieben-Seins bewussten Heimatvertriebenen die Sache dadurch
kompliziert, dass wir mindestens zwei,
in der Regel mehr als zwei räumliche Heimat-Orte
haben. Das sind all jene Orte, wo die
Seele in der Kindheit und im jungen Erwachsen-Sein Wurzeln geschlagen
hat, Orte, die uns bis heute bedeutsam, ja wertvoll sind.
Beispielhaft nenne ich meine zahlreichen Lebensstationen:
1941-1946 Tillendorf und Bunzlau in Schlesien und Gablonz im Sudetenland
(Herkunftsort meiner Mutter, wo sie während des Krieges monatelang mit ihren
Kindern war), nach der Aussiedlung Freden a. d. Leine, Vasbeck im Kreis
Waldeck, Ludwigsburg bei Stuttgart, Ransbach im Westerwald, Holzhausen im Kreis
Biedenkopf, Velbert im Bergischen Land, Kaufbeuren im Allgäu, wo ich oft meine
sudetendeutschen Verwandten besuchen durfte, und ab 1961 die Studienorte Bonn
und Freiburg samt Umgebung, nachher die Wohnorte Bonn und Oberdollendorf (ein
Ortsteil von Königswinter) zwischen Rhein und Siebengebirge, St. Augustin,
Uckerath (ein Ortsteil von Hennef) und seit 1999 in besonderer Weise das
rheinische Städtchen Siegburg.
Die zweite Kompliziertheit dieses Heimatbegriffs folgt aus der ersten:
"Heimat" verbindet sich seit früher Kindheit für mich mit Verlust-Erfahrungen.
So wurde mir "Heimat" nicht nur durch das Herauswachsen aus der Welt
der Kindheit in die Welt der Erwachsenen, sondern auch durch die meist
auferlegten Ortwechsel immer wieder -
"Verlorene Heimat".
Freilich nicht ganz! Denn viele
prägende Eindrücke blieben dem Bewusstsein erhalten, und erhalten blieben mir
darin - Gott sei Dank - auch die damit eng verbundenen vertrauten, lieben
Menschen: vor allem die Eltern, Verwandten, Freunde (insbesondere
Klassenkameraden und Studienfreunde) und andere lange Weggefährten.
Außerdem brachte mir der äußere
Wechsel der Wohnorte neben dem Verlust stets eine nicht zu unterschätzende innere
Bereicherung: neue Erfahrungen, neue Aufgaben, an denen ich wachsen konnte,
wertvolle neue Bekanntschaften. Sie wurden allesamt Teil meines Bewusstseins
und insofern ein Stück innerer Heimat.
Zudem wuchs als Folge und vielleicht
auch als Ausgleichsversuch des Verlustes meine geistig-seelische Beheimatung in
der Religion und in unserer deutschen - übrigens von mir schon
immer als weltoffenen empfundenen! - Kultur und Geschichte. Das
geschah, wie mir auffiel, in ganz anderer Weise und Intensität als bei jenen
Menschen, die ein Leben lang mehr und weniger an einem Ort geblieben sind. So
wurden auch die Religion und Deutschland als Ganzes Heimat für mich! Meine
beiden Studien- und Lehrfächer Germanistik und Katholische Theologie passen
genau dazu. Diese geistigen Heimaträume habe ich nach dem Berufsleben
bewusst weiter "bewohnt" und "kultiviert", vor allem durch
Forschungen und Vorträge.
Die christliche Religion lehrte mich
auch - ganz wichtig! -, dass wir hier
letztlich nur "Fremde und Beisassen" sind (1 Petr. 2,11) sind und
dass unsere wahre Heimat im "Himmel" ist. (Das hat man übrigens
vielen Flüchtlingen nach der Vertreibung tröstend vor Augen gestellt.)
Für mein äußeres Heimatbewusstsein
haben sich zwei räumliche Bezugsgrößen im Laufe des Lebens besonders
ausgeprägt, und sie stehen, eine glückliche Fügung, durchaus in Verbindung
miteinander: Da ist Bunzlau in
Niederschlesien (die ursprüngliche Heimat-Erfahrung, die dann viel später durch
Reisen und neu gewonnene Freundschaften vor Ort, aber auch durch die Arbeit in
der Bundesheimatgruppe unerwartet belebt und intensiviert wurde). Und da ist
die in Jahrzehnten vertraut gewordene Landschaft an Rhein und Sieg mit Bonn, dem schönen Siebengebirge und Siegburg. Beide haben als "Heimat" für mich
gleichen Wert.
Meinen „Heimat-Bericht“ an Dr.
Gonschior schloss ich mit folgenden Sätzen:
Jetzt habe ich Ihnen in deutscher
Gründlichkeit und ostdeutscher Ernsthaftigkeit, verbunden mit einem slawischen
Anteil an Empfindsamkeit und Romantik (die deutsche Romantik ist ja nicht
unwesentlich auf östlichem Siedlungsboden erwachsen), meine Position dargelegt.
Ich sehe da durchaus eine Verwandtschaft zum Heimat-Erleben Josefs von Eichendorff
und von Ernst Moritz Arndt. (Mit beiden hatte ich mich zeitweilig näher
befasst.)
Hoffentlich konnte ich Ihnen Ihre
Frage nach meinem Heimatverständnis halbwegs klar beantworten: Heimat ist für
mich gewachsene, Geborgenheit und Freude vermittelnde tiefe Vertrautheit mit
und Liebe zu persönlich wichtig gewordenen Orten, Personen, Zeiten und
Gegebenheiten.
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